Montag, 19. Dezember 2011

Meine Lieblingsmusik 2011 - Teil VI: Enttäuschungen & "Auch noch gut dieses Jahr"

Auch noch gut-sehr gut dieses Jahr:

Birdy – Birdy
(Pop/ Indie)


Birdy (Jasmine van den Bogaerde) gewann im Alter von 12 Jahren den britischen Musikwettbewerb "Open Mic UK" mit einem eigenen Song und wurde danach verständlicherweise sofort von einem großen Label gesignt. Richtig bekannt wurde sie danach durch eine Cover-Version von Bon Ivers Song Skinny Love. Es ist deswegen schwer die Künstlerin von ihrem Hype und ihrem extrem jungen Alter zu trennen. Doch auch ohne die vielen Vorschusslorbeeren, die sie allein durch die Tatsache erhält, dass sie erst 15 Jahre alt ist, bleibt ihr erstes Soloalbum eine eindrucksvolle Sache. Neben 10 Cover-Songs gibt es auch einen eigenen Song, dessen größte Leistung auf den ersten Blick scheint, dass er überhaupt nicht negativ auffällt neben Birdys Interpretationen von mehr oder weniger großen und etablierten Künstlern. Insgesamt zeigt das Album vor allem, dass „schön“ gesungene Cover nicht immer langweilig sein müssen, sondern Songs stattdessen im besten Fall eine veränderte oder auch ganz andere Wirkung geben können, ohne den Ursprungssong zu zerstören. Aus dem bereits erwähnten Skinny Love wird so eine äußerst dramatische, aber auf seine Weise ebenso traurige und berührende Klavierballade. Ebenso wird der erotische Chill-Out-Song Shelter von The xx ein mächtiges, flehendes Liebeslied (auch wenn der Text aus dem Mund einer 15-Jährigen etwas Unbehagen auslöst). Weitere Highlights sind die sanft elektronische Version von The District Sleeps Alone Tonight, die mich ehrlich gesagt mehr berührt als das Original und überraschender weise auch Birdys eigener Song Without a Word, eine Klavierballade im Großformat. Natürlich funktionieren nicht alle Songs so eindrucksvoll. Für ein The National-Cover fehlt Birdy dann doch die nötige Gravitas in der Stimme und so bleibt Terrible Love flach und weitgehend wirkungslos. White Winter Hymnal dagegen wirkt ohne die aufregenden Gesangsharmonien des Originals nicht so spannend. Aber insgesamt hat das Album eine erstaunlich hohe Trefferquote. Wenn man zynisch oder eher realistisch ist, wird klar, dass die junge Dame die zu covernden Songs sicher nicht alle selbst ausgewählt hat. Doch muss man ihr zu gute halten, dass sie alle Songs mit viel Gefühl und Überzeugung singt. Und da ist natürlich noch ihre Stimme, die vollkommen unabhängig vom Alter einfach nur sehr groß ist.
 
Tom Waits – Bad as Me  
(Blues/ Jazz/ "Tom Waits")


Und er hat es immer noch drauf...In seinem ersten Album seit 7 Jahren ist Tom Waits immer noch der alte und bestärkt damit das Image des größtenteils unfehlbaren Meisters, der sich im Gegensatz zu nahezu allen auch nur ansatzweise vergleichbaren Musikern auch nach 40 Jahren im Geschäft noch keinen wirklichen Fehltritt geleistet hat. Auch Bad as Me ist ein gutes Album. Natürlich wird Tom Waits nie plötzlich vollkommen andere Musik machen: Auch hier gibt es schräge Liebesballaden und noch schrägere, schnelle Nummern. Die unverkennbare Stimme klingt wie immer, fast noch etwas entfesselter und befreiter, jetzt wo Waits auch immer mehr so aussieht wie seine Stimme klingt (like it was soaked in a vat of bourbon, left hanging in the smokehouse for a few months, and then taken outside and run over with a car." - Daniel Durchholz). Vielleicht ist es besser nur das ungewöhnliche oder besser gesagt neue in dieser Sammlung an Ungewöhnlichkeiten zu erwähnen. Im flirrend-verträumten Talking at the same time singt Waits in einem hohen Falsetto, dass seine Stimme fast nicht wiedererkennbar macht, dem Song aber eine spannende Note verleiht. Die größte Überraschung ist aber der stampfende Anti-Kriegs-Song Hell broke Luce (ein cleveres Wortspiel: Link). Der Song ist selbst für Tom Waits-Verhältnisse verdammt dreckig, aber vor allem extrem wütend. Vor martialisch klingenden Percussion- und Gitarrenparts keift er aggressiv und zynisch über die schrecklichen Folgen des Irakkrieges. Der Rest von Bad as Me ist auf den ersten Blick nicht so auffällig, aber auf keinen Fall langweilig oder gar überflüssig. Insgesamt scheint der Sound hier etwas eingängiger zu sein, als auf vielen der Vorgängeralben. Das schräge, kratzbürstige wird aber so gut wie immer mit dem auf die absolute Essenz komprimierten Songwriting verschmolzen und schafft so erneut spannende Lieder aus dem seltsamen Kosmos von Tom Waits.

O'Death – Outside 
(Folk/ Country) 

O'Death machen spannende Folk Musik zwischen Alternative Country und Indie Rock. Dabei verbinden die Jungs aus Brooklyn moderne Rock Elemente mit klassischen Instrumenten wie Fiddle und Banjo sowie einer mitreißend-düsteren Grundatmosphäre.
Aufmerksam geworden auf O'Death bin ich durch eine packende und eindringliche Akustik-Version ihres Songs Black Dress. Auf Outside gibt es eine voller instrumentierte Rock-Version zu hören, die fast genauso eindringlich ist. Auch die restlichen Songs bewegen sich auf ähnlichen Pfaden. Opener Bugs ist dabei der ruhigste und ungewöhnlichste Song. Das klingt, als ob Elliott Smith eine Country-Band gegründet hätte. Der Rest des Albums klingt ein wenig wie eine Mischung aus der Musik von Jason Molina und Woven Hand. Das Banjo steht oft im Vordergrund, wird aber perfekt ergänzt von dramatischer, manchmal aggressiver, immer aber mitreißender Rock Musik. Dazu nimmt auf dem Titelsong die E-Gitarre eine prominente Rolle ein, während bei Howling through gut integrierte, orientalische Elemente dem Song eine mysteriöse Aura verleihen. So klingen O'Death absolut authentisch und zu keiner Zeit wie eine hippe Band aus Brooklyn, sondern eher wie aus der dreckigsten, kargsten und ärmsten Ecke des amerikanischen Südens vergangener Tage.

Death Grips – Exmilitary  
(Hip Hop)



Exmilitary ist ein lautes und anstrengendes Hip Hop-Album. Hektische Hip Hop- und Dubstep-Beats werden untermalt von Wall of Sound-Noise-Attacken, die an eine tanzbare Version von Dälek erinnern. Da wundert es nicht, dass ein Teil von Death Grips (zumindest bei Live-Auftritten) Zach Hill ist, der hauptberuflich bei Hella und Marnie Stern an den Drums alle schwindelig spielt. Im Mittelpunkt bei Death Grips steht aber MC Ride, der weniger rappt, sondern viel mehr bellt, schreit und mit seiner tiefen Stimme viele andere „harte“ Rapper ziemlich lächerlich aussehen lässt. Die konstanten Noiseattacken und das Geschrei können manchmal zu viel des Guten sein, aber es ist auch erstaunlich was man aus diesem Crossover-Style alles heraus holen kann. Vom ultradüsteren Opener Beware mit seinem perfekt passenden Charles Manson-Sample über die schräge aber mitreißende Hymne Guillotine bis zum tanzbaren Rock-Rap von I want it (I need it). Zusammen mit den wirren Low Budget-Videos und den intensiven Live-Auftritten sind für mich als Hip Hop-Laien Death Grips mit das spannendste, was ich bisher dieses Jahr in diesem Bereich gehört habe.(kostenloser Donwload)

Radiohead – The King of Limbs  
(Indie/ Electronic)


Ich muss gestehen, dass ich die längste Zeit Radiohead weitgehend ignoriert habe, irgendwie auch aus Trotz. Sicher ich kannte Creep und ein paar Lieder von OK Computer, aber erst mit In Rainbows habe ich erkannt, was ich vorher alles verpasst hatte. In Rainbows eignete sich sehr gut als Einstieg, weil die Platte erstens umsonst und zweitens das eingängigste war, was Radiohead bisher gemacht hatten. Von dort aus habe ich mich dann rückwärts durch die Diskographie der Band gearbeitet und liebe mittlerweile fast alles von den Herren. The King of Limbs war zunächst eine Enttäuschung für mich. Es fehlte die Eingängigkeit von In Rainbows aber auf den ersten Blick auch das gewisse Etwas. Erst nach mehrfachen Versuchen schälten sich langsam einige aufregende Momente und schöne Melodien aus dem so unscheinbaren und sperrigen Album heraus. Das herzzerreißende Codex, das wie das noch traurigere Kind von Pyramid Song und Videotape klingt oder das von zappeliger Percussion in Bewegung gehaltene Little by Little. Dazwischen schleichen sich aber leider auch einige unnötige Sachen, eine Tatsache die besonders wegen der sehr kurzen Laufzeit von King of Limbs das Hörvergnügen etwas trübt. Insgesamt ist das Album somit nichts gänzlich neues, außer das es mehr Geduld von seinem Hörer erwartet, als seine Vorgänger. Auch ohne, dass sich Radiohead komplett neu erfinden sind sie zwar immer noch meilenweit von allen Nachahmern entfernt, aber King of Limbs bleibt ihr „schwächstes“ Album seit The Bends.

Clara Luzia – Falling into Place  
(Folk/ Singer-Songwriter)



Clara Luzia hat nicht wirklich eine „klassische“ Singstimme, aber auf jeden Fall eine Spannende. Sie klingt verspielt und quietschig, es bleibt aber trotzdem immer eine angenehme Kratzigkeit und spürbare Weisheit in ihren Texten und ihrer Stimme. Die Songs beginnen dann auch oft als trügerisch lockere Folk Songs mit akustischer Gitarre und Klavier. Meistens kommt dann aber mit einer ganzen Band und Streichern oder sogar elektronischen Elementen noch eine Ebene hinzu, die den Songs mehr Feuer und Drama oder aber eine eingängige Poppigkeit geben und natürlich dem ganzen Album auch eine erfrischende Vielfalt. Die Stimmung insgesamt schwankt immer zwischen augenzwinkerndem Humor und einer abgeklärten Melancholie. Luzias Texte sind dazu persönlich, direkt und werden auf diese ungewöhnliche Weise gesungen, die dafür sorgt, dass viele der Songs sich bereits beim ersten Hören in die Gehörgänge einbrennen.

Kimya Dawson – Thunder Thighs
(Singer-Songwriter/ Indie/ Pop/ Hip Hop)




Kimya Dawson erreichte Kultstatus als Teil von The Moldy Peaches und größere Popularität durch ihre Solosongs auf dem Soundtrack von Juno. Ihr neues Album Thunder Thighs ist eine merkwürdige Mixtur, die teilweise etwas verwirrt, aber doch meistens Spaß macht. Denn auf der einen Seite erzählt Dawson darin von ihrer neuen Rolle als Mutter eines jetzt 5-jährigen Sohnes. Dadurch entstand ein Song wie Mare and the Bear, ein niedliches Kinderlied, das sie gemeinsam mit ihrem Sohn und einem Kinderchor singt. Viele andere Lieder auf Thunder Thighs sind zwar nicht wirklich Kinderlieder, aber doch entspannte und schöne Folk-Songs, die eine Frau zeigen, die in ihrer Rolle als Mutter aufgeht und scheinbar ein Album für die ganze Familie geschrieben hat.
Doch gleichzeitig gibt es auf Thunder Thighs auch wieder sehr direkte, ehrliche Songs über Dawsons turbulente Vergangenheit, ihre Drogensucht und spitzfindige Beobachtungen über ihre Umgebung und die Gesellschaft insgesamt. Passend dazu ist Rapper Aesop Rock auf vielen der Songs zu hören und war offenbar auch intensiv in den Schreib- und Produktionsprozess einbezogen. Die ernste Seite von Thunder Thighs wird dabei am besten vom über 10-minütigen Walk like Thunder repräsentiert. Darin berichtet Dawson von einer eigenen Nahtoderfahrung nach einer Überdosis und von Freunden, die ungerechter weise viel zu früh sterben mussten. Der Song ist todtraurig, sorgt für unaufhörliche Gänsehautschübe und strahlt trotzdem leichte Hoffnung aus, wenn Kimya Dawson über die Kostbarkeit des Lebens philosophiert. Neben dieser Tour de Force wirken andere Songs leicht unscheinbar. Insgesamt ist die Vielseitigkeit des Albums zwar ein Spaßgarant, aber auch manchmal eine Schwäche. Es wirkt stellenweise wie drei oder vier Alben in einem und wild zusammen gewürfelt. Doch wenn man sich damit abgefunden hat, finden sich schon noch einige tolle Songs hier. Zero or Zillion klingt wie ein mehr ausgelassener Aesop Rock Song gerappt von Kimya Dawson, Miami Advice ist ein stampfendes, mitreißendes und verdammt scharfsinniges Lied inklusive Klavier, Background-Chor und eben wieder Aesop überall. Alle anderen Songs bewegen sich zwischen den bereits erwähnten Songstrukturen und Themen, erreichen aber nicht alle diese Klasse oder Eingängigkeit auch wenn die Texte überall sehr spannend und lustig sind.

Hail Mary Mallon – Are you gonna eat that? 
(Hip Hop)



Aesop Rock lässt sich Zeit mit einem Nachfolger für sein letztes Soloalbum None Shall Pass, das bereits 2007 erschien. Stattdessen produzierte er die Beats zu Felt 3, des letzten Kollabo-Albums von Slug (Atmosphere) und Murs, half bei der Band seiner Frau (Dirty Ghosts) aus und war intensiv in das neue Album von Kimya Dawson involviert. Und jetzt also Hail Mary Mallon. Aesops vertrauter Rapstil sorgt hier immerhin für eine schnelle Vertrautheit und auch sonst ist auf Are you gonna eat that? vieles altbekannt. Neben Aesop Rock rappt Rob Sonic, der leider nicht ganz so aufregend ist und dazu manchmal zu ähnlich klingt. Auf den besten Songs aber, etwa dem klassischen Kopfnicker Smock oder der lustigen Wortakrobatik von Grubstake ergänzen sich die beiden wunderbar und werfen sich die Raps gekonnt gegenseitig zu. Die größte Stärke neben dem offensichtlichen Talent der Beteiligten ist der Spaß, den man ihnen zu jeder Zeit anmerkt. Das sind eben keine Möchtegern-Gangster oder Superstars, sondern Vollblutrapper, die lieben, was sie tun. Das Ergebnis ist dann zwar nicht immer so gut und herrlich, verwirrend und seltsam wie die Solosachen von Aesop Rock, aber schlecht ist es natürlich auch auf keinen Fall. Die Musik ist auf jeden Fall eingängig und tanzbarer, dabei oft nicht so spektakulär, aber kurzweilig. Und das ist ja auch mal schön...

St. Vincent – Strange Mercy  
(Indie/ Singer-Songwriter)



Annie Clark von St. Vincent ist extrem hübsch, wirkt äußerst sympathisch und kann dazu noch richtig abrocken. Das war mein erster Eindruck als ich aufgrund unzähliger, überschwänglicher Kritiken für ihr neues Album Strange Mercy bei youtube recherchierte. Ich fand spannende Interviews in denen sie sehr entspannt rüber kam, ein Live-Cover von Big Black, bei dem sie eindrucksvoll ihren inneren Rocker raushängen ließ und natürlich dieses Lächeln und dieses engelsgleiches Gesicht. Davon geblendet, merkte ich erst später, dass Clark ambitionierte, fesselnde Popmusik macht. Ihre Stimme erinnert manchmal ein wenig an Björk und manchmal ein wenig mehr an Natasha Khan, immer aber nach einer fantastischen Sängerin. Sie singt viel über Einsamkeit, auch über Sex, jede Menge Themen, die einen spannenden Kontrast zu ihrer verschnörkelten, öfter trügerisch harmlos klingenden Stimme, bilden. Auch die Musik lebt von Kontrasten. Von himmlischen Streichern, zu kühlen Beats, zu rockigen Gitarrenriffs, zu fröhlichen Popmelodien gibt es alles, meistens im gleichen Song und immer meisterhaft zu mitreißenden Liedern vermengt. Der einzige Makel ist für mich, dass es stellenweise doch etwas zu perfekt und klinisch klingt...

Lento – Icon 
(Sludge/ Post-Metal)


Lento aus Italien sind auf meinem deutschen Lieblingslabel Denovali Records, eine Tatsache, die sie auch ungehört automatisch zu sympathischen Kerlen macht, die gute Musik machen. Denovali wird von Musik- und Vinyl-Liebhabern betrieben, die experimenteller Musik zwischen Drone, Doom Metal und Jazz ein zuhause geben und eine Möglichkeit ihre Musik schön gestaltet und zu äußerst fairen Preisen an die exklusive Fangemeinschaft zu bringen. Geld steht dabei weder für die Labelleute, noch für die Bands im Vordergrund; es geht immer um die Musik. Das gilt auf für Lento. Wie bei vielen ihrer Labelkollegen kann das gesamte Album in Top-Qualität kostenlos heruntergeladen werden. Für Fans und Sammler gibt es daneben aufwendig gestaltete Vinylversionen. Musikalisch sind Lento dabei für Denovali-Verhältnisse noch relativ konservativ, aber natürlich meilenweit vom Mainstream entfernt. Instrumentale, überraschend dynamische und schnelle Doom/Sludge-Hybride wechseln sich ab mit atmosphärischen Zwischenstücken. Das ist zwar nichts wirklich neues, aber durchaus spannend und effektiv dargeboten.

City and Colour – Little Hell  
(Folk/ Singer-Songwriter)



Es war nur eine Frage der Zeit bis aus dem kleinen Nebenprojekt von Dallas Green eine überaus erfolgreichere Solosache wurde, die ihm auch noch mehr Spaß macht als seine Hauptband. Nicht lange nachdem Little Hell erschien, lösten sich Alexisonfire auf. Was also als kleines Geschenk für Alexisonfire-Fans begann, die nicht genug von Greens Singstimme bekommen konnten, ist jetzt eine richtige Band – mehr oder weniger. Denn natürlich ist es, auch wenn es auf Little Hell öfter wie eine vollständige Band klingt, immer noch das alleinige Geschöpf von Green. Und mir gefallen dann auch gerade die intimeren Nummern, die fast nur von Dallas Greens engelsgleicher, melancholischer Stimme getragen werden. Als erstes fällt da Hope for Now auf, in dem bis zur zweiten Songhälfte todtraurigem Gesang nur ein zartes Keyboard an die Seite gestellt wird, bevor die Emotionen und damit auch die Musik ausbricht. Passend dazu singt Green über den Kontrast seiner eigenen Hoffnungslosigkeit zu der Hoffnung, die seine Musik anderen Menschen gibt. Die weniger spartanische Instrumentierung raubt anderen Songs leider oft etwas die Tiefe und die Emotionalität. Die Musik wirkt dann zu locker und überschreitet manchmal auch die Grenze von schönem Folk hin zu Country und seichtem Pop. Größte Ausnahme ist da die Vorabsingle Fragile Bird in der sich einer der typisch großen Refrains und Greens typisch große Stimme überraschend gut mit einem nervös-rockigen Rest des Songs vermischen. Einige andere Songs werden dagegen trotz oder vielleicht auch manchmal gerade wegen der unnachahmlichen Stimme schnell langweilig. Somit bleibt es zwar ein größtenteils gutes Album, aber ein wenig schade ist es dann doch, dass Alexisonfire dafür ganz vernachlässigt wurde.

Machine Head – Unto the Locust  
(Thrash Metal)


Nach den Nu-Metal-Alben The Burning Red und Supercharger hatten viele Fans Machine Head bereits abgeschrieben. Dann kam das überraschend heftige und vor allem uneingeschränkt gute Comeback-Album Through the Ashes of Empires in dem sich Machine Head auf ihre Stärken besannen ohne musikalisch zu stagnieren. Die noch größere Überraschung war dann aber fast das Nachfolgealbum The Blackening auf dem die Band eine noch nie zuvor da gewesene Spielfreude in einer Reihe von epischen Songs zeigte. Unto the Locust hat nun die undankbare Aufgabe auf diese beiden Großtaten folgen zu müssen. Dabei machen Machine Head eigentlich alles richtig. Die einzige Schwäche auf The Blackening waren die mitunter unnötig langen Songs. Auf Unto the Locust ist alles kompakter und noch abwechslungsreicher auch dank dem Gesangstraining von Robert Flynn. Es ist also ein durch und durch gutes Metalalbum, aber der Überraschungseffekt fehlt leider etwas, genau wie die Euphorie beim hören und letztendlich will der Funke leider nicht so ganz überspringen...

No Made Sense – New Season/ New Blues  
(Progressive Metal/ Sludge)


No Made Sense sind 3 Jungs aus Großbritannien, die progressiven Metal machen, der teilweise an Bands wie Meshuggah oder Mastodon erinnert, aber dabei immer eigenständig und auch direkter als diese Vorbilder ist. In ihrem zweiten (und leider vielleicht auch schon letzten) Album packen No Made Sense fast noch mehr in ihre Songs als auf das Debüt. Der Gesang wechselt im Minutentakt zwischen wütendem Geschrei, hymnehaften Gesang und eindrucksvoller Kopfstimme, während die Musik unverkrampft und größtenteils effektiv alles von Power Metal-Elementen über Sludge bis hin zu elektronischen oder orientalischen Spielereien zusammenwirft. New Season/ New Blues kommt vom Sound und Überraschungseffekt nicht wirklich an den grandiosen Vorgänger heran, ist aber trotzdem wieder ein spannendes Werk.

Slow Club – Paradise
(Indie/ Pop)

Slow Club sind ein junges Duo, die schrecklich ansteckenden Indie-Rock-Pop machen, immer zwischen tanzbaren Indie-Hymnen und zarten Akustik-Balladen. Wie auch schon auf dem Vorgänger wechseln sich größtenteils diese beiden Arten von Songs ab, aber trotzdem hat sich so einiges geändert. Das verspielte, niedliche im Sound ist zwar immer noch da, aber die Songs sind jetzt durchdachter, größer und haben insgesamt mehr Format. Achja und die Hits sind natürlich zahlreicher und noch viel ansteckender. Der erste Song Two Cousins ist auch gleich der Beste, eine simple Melodie, stampfender Rhythmus und absolutes Ohrwurmpotential. Da fällt still sitzen einfach schwer und auch für jemanden, der sonst zu fröhliche Musik nicht oft ertragen kann ist das einfach unwiderstehlich. Es gibt noch einige ähnlich mitreißende Nummern, der Rest des Albums besteht aus ruhigen, oft akustischen Indie-Songs, die leider nicht ganz so gut sind.

Childish Gambino – Camp 
(Hip Hop)


Ich kann nicht sagen, dass ich enttäuscht bin von Camp. Denn bis vor kurzem kannte ich Donald Glover, wie Childish Gambino im echten Leben heißt nur als Teil der hervorragenden Comedy-Truppe Derrick Comedy und dann als einen der besten Sachen in der momentan wohl besten Comedy-Serie im US-TV Community. Erst durch seine EP aus diesem Jahr wurde ich auch auf Donald Glover den Rapper aufmerksam und war mehr als angenehm überrascht. Glover verband dort das übliche Rapper-Bravado mit mit cleveren, witzigen auch selbstironischen lyrics, einem guten Flow und jeder Menge eingängiger Beats, Melodien und Hooks für die er größtenteils selbst verantwortlich war. Das es im gleichen Jahr noch ein Album geben sollte, erfuhr ich erst als es schon eine Weile erschienen war. Auf den ersten Blick sind alle Elemente wieder da und trotzdem ist Camp lange nicht so gut und stellenweise sogar regelrecht langweilig. Das Problem ist zuerst einmal das Format. Wo die EP eine knackige Angelegenheit ohne Schwächen war, wirkt das Album wie eine durchaus gute bis sehr gute EP gestreckt auf Albumlänge. Die guten Songs und Ideen sind verstreut zwischen so einigem, dass weder hängen bleibt noch Spaß macht. Insgesamt ist der Anteil von Hooks, Gesang und R& B deutlich gestiegen. Das ist einfach zu viel des Guten und man muss die Raps dazwischen teilweise richtig suchen. Bonfire und Backpacker sind die aggressivsten Songs und als gute Kopfnicker auch die Besten. Un das simple, aber bombastische, an Kanye West erinnernde You see Me punktet mit ansteckendem Beat und cleverer Wortakrobatik. Von den scheinbar unzähligen melodischen und gesangslastigen Tracks dazwischen fällt noch das abwechslungsreiche Outside und das nachdenkliche L.E.S. positiv auf. Der Rest klingt zwar sehr catchy aber einfach zu gleichförmig, auch wenn ich hoffe, dass es noch wächst und so lange lieber die EP weiter höre.
 

Enttäuschungen:

Wirklich schlecht (wohlgemerkt spreche ich hier nur von Musik der Bands, die ich wirklich gerne höre. Ansonsten wäre dieser Blogpost wohl endlos lang) fand ich dieses Jahr nur ein Alben. Die restlichen, hier vertretenen Alben haben eher meinen übergroßen Erwartungen und/oder ihren tollen Vorgängeralben nicht Stand halten können und sind im schlimsten Fall einfach durchschnittlich.

dredg – Chuckles & Mr. Squeezy  
(Alternative Rock/ Electro-Pop)


Musikalische Weiterentwicklung und kommerzieller Erfolg Hin oder Her: das neue dredg-Album ist einfach nur peinlich. Ich liebe die ersten drei dredg-Alben fast uneingeschränkt auch wenn sie sehr verschieden sind. Die raue Schönheit von Leitmotif, die progressive Perfektion von El Cielo und die mitreißenden Popsongs von Catch without Arms. Dann kam The Pariah, the Parrot, the Delusion, das leider ein wenig klang, als ob die Reste der vorherigen Alben mit dem Drang radiofreundlich zu werden vermischt wurden. Die Songs hatten teilweise noch die typischen dredg-Trademarks und natürlich Gavin Hayes' traumhafte Stimme, wurden aber vor allem auch live schnell langweilig und nervig. Für Chuckles & Mr. Squeezy haben dredg nun scheinbar auch das Spielen ihrer Instrumente weitgehend aufgegeben und sich stattdessen den Produzenten Dan the Automator ins Boot geholt. Das Ergebnis klingt wie ein elektronisches Mid-Life-Crisis-Soloalbum von Hayes, dessen Stimme hier auch nichts mehr retten kann und dessen Texte dazu noch teilweise Schlagerniveau nicht überschreiten. Der „beste“ Song ist eine verschandelte Erweiterung von The Ornament einem der schönsten Stücke des Live-Albums Live at the Fillmore. Den Rest des Albums am Stück zu hören, erfordert schon große Selbstbeherrschung. Ich kann nur annehmen, dass das Ziel von dredg war Elektropop mit Stadionrock zu verbinden. Eine Idee, die an sich schon gruselig ist, aber wenn dann noch bei gewollt auf Massentauglichkeit getrimmten Songs überhaupt nichts hängen bleibt, ist was schief gelaufen.

La Dispute – Wildlife  
(Screamo/ Post-Hardcore)



La Dispute erstes Album war eine lyrische Großtat und ein musikalisch von Anfang bis Ende fesselndes Screamo/Post-Hardcore-Album. Das erste Problem, dass ich mit Wildlife habe, stammt dann auch von meinen riesigen Erwartungen, die sich nicht abschalten lassen und von Anfang eine Enttäuschung wahrscheinlich machten. Aber ich habe es wirklich versucht und versuche es immer noch das Album zu mögen, es klappt nur einfach nicht richtig. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich abdrifte, das Interesse verliere und aus einem Song plötzlich drei oder vier geworden sind. Textlich sind die Songs noch immer interessant, teilweise sogar sehr gut. Der Fokus wurde dabei von verlorener Liebe auch auf allgemeinere Probleme sowie persönliche und gesellschaftliche Tragödien erweitert, was den Songs zwar manchmal die emotionale Unmittelbarkeit raubt, aber dafür für mehr Abwechslung sorgt. Doch auch wenn bei La Dispute die Texte immer sehr wichtig waren, muss natürlich auch die Musik und der Gesang stimmen und das ist bei Wildlife oft leider nicht der Fall. Beim Opener a Departure wirkt es zum Beispiel so, als ob Musik und Gesang überhaupt nicht zusammen gehören, ein Problem, das später noch häufiger auftritt. Andere Songs klingen wie blutleere Kopien von älteren Songs der Band. Die Musik wirkt oft entspannter, der Gesang dagegen monotoner und emotionsärmer. Natürlich gibt es auch gute Songs auf Wildlife. Edit your Hometown klingt nach fast radiofähigem Punk Rock, ist aber eine interessante Abwechslung. King Park dagegen lebt von gutem Storytelling, einem sich unermesslich steigernden Spannungsbogen und dem größten Gänsehautmoment des Albums. Hier machen La Dispute, was sie am besten können: leicht kitschige, aber mitreißende und effektive emotionale Breitseiten. Dasselbe gilt auch für I see everything, dass mit seiner Geschichte über den Umgang eines Elternpaares mit der Krebserkrankung und dem frühen Todes ihres Kindes, zwischen Verzweiflung, Trauer und Hoffnung hin und her schwankt und das lyrisch ergreifendste Lied auf Wildlife ist. Für jeden Höhepunkt stehen aber für mich auf der Cd mehrere Lieder, die leider einfach nicht zünden wollen und die Aufmerksamkeit nie wirklich halten können.

Defeater – Empty Days And Sleepless Nights  
(Hardcore)



Defeater machen momentan mit den emotional aufgeladensten und intensivsten Hardcore. Ihr erstes Album Travels erzählte die Geschichte eines jungen Mannes, der versucht einem Leben zu entkommen mit einer drogensüchtigen Mutter, einem trinkenden und prügelnden Vater und einem Bruder, der diesem väterlichen Vorbild nacheifert. Der Protagonist tötet im Streit den Vater und aus versehen später noch den Bruder, bevor er sich am Ende seines ziellosen und vergeblichen Lebens selbst umbringt. Empty Days and sleepless Nights erzählt nun die ebenso düstere und hoffnungslose Geschichte des Bruders, der bei Travels nur als tragische Nebenfigur vorkam. Die Geschichte und die Intensität mit der sie vorgetragen wird, sind immer noch auf altbekanntem Defeater-Niveau, aber die Dichte der Gänsehaut-Momente und sich für immer einprägenden Songmomente ist leider bei weitem nicht so hoch wie auf Travels oder gar auf der meiner Meinung nach noch um einiges besseren EP Lost Grounds, die dazwischen erschien. Das soll nicht heißen, dass Empty Days and Sleepless Nights schwach wäre. Defeater schaffen es immer noch eine Intensität in oft weniger als drei Minuten heraufzubeschwören, die mich noch lange danach aufgewühlt zurücklässt. Absolutes Highlight ist dabei für mich der finale Song White Oak Doors, der die Konfrontation der beiden Brüder auf einem Gleis beschreibt, während ein Zug, simuliert durch den hämmernden Rhythmus des Schlagzeugs, immer näher kommt. Der Song schwankt zwischen Trauer und Wut und steigert sich dabei unmerklich immer weiter bis er und damit auch das Leben des Protagonisten urplötzlich ein Ende findet. Die restlichen Songs können dieses Niveau nicht ganz halten und erfordern meiner Meinung nach noch stärker das lesen der Lyrics um besser zu wirken. Nach dem eigentlichen Ende der Geschichte gibt es noch vier akustische Lieder, die thematisch zwischen die anderen Songs gehören würden, aber einfach besser als separate EP oder gar unter einem anderen Bandnamen gewirkt hätten. So wirken sie einfach etwas fehl am Platz.

Florence and the Machine – Ceremonials  
(Indie/ Pop)



Es scheint das Ziel von Florence Welch gewesen zu sein den Bombast ihres Debüt-Albums auf Ceremonials noch flächendeckender ein zu setzen. Das Ergebnis sind im wahrsten Sinne des Wortes große Pop-Songs in deren Mitte sich Welch von einem epischen Refrain zum nächsten singt. Die Instrumentierung auf Ceremonials ist durchdachter, die Produktion besser, aber leider ist das ständige Bombardement mit maximalem Drama und dem ganzen Orchester irgendwann einfach zu viel des guten. Natürlich ist Ceremonials kein schlechtes Album. Welchs Stimme und ein paar richtig tolle Popsongs wie der Monsterhit Shake it out oder die ungewohnt düstere Powerballade Seven Devils sind mehr als genug das Album deutlich über den Durchschnitt zu heben. Aber die mangelnde Perfektion und Einheitlichkeit war eine der größten Stärken von Lungs und hier wurde das alles oft zu sehr glattgebügelt und im Dauerfeuerwerk des Bombasts ertränkt.

Eddie Vedder – Ukulule Songs  
(Folk)



Eddie Vedders Stimme ist toll und sein Soundtrack zu Into the Wild war wunderschön, aber 16 Balladen, bei denen die Ukulele die Hauptrolle spielt sind einfach zu viel des Guten und auch wenn schöne Nummern dabei sind, gehen sie ein wenig unter in der romantischen Eintönigkeit.

Lou Reed & Metallica – Lulu 
 („Avantgarde Metal“)



Dieses Album ist nicht wirklich eine Enttäuschung, denn wer hätte schon erwartet, dass bei dieser Kollaboration etwas gutes herauskommt. Viel mehr bin ich, wie die meisten anderen Fans der Beteiligten, eher entsetzt und peinlich berührt darüber wie tief diese Musiklegenden gefallen sind. Lou Reed hat durch seine The Velvet Underground-Vergangenheit für immer einen Ehrenplatz im Rockhimmel und hätte besser einfach den Rest seines Lebens danach abseits von der Musikwelt verbracht. Stattdessen entwarf er nach vielen anderen Merkwürdigkeiten jetzt Songs für eine Produktion von Lulu, nach Werken des Expressionisten Frank Wedekind. Was bisher noch ansatzweise interessant klingt, wird schnell absurd wenn Metallica auf der Bildfläche erscheinen. Ich bin früher großer Metallica-Fan gewesen und kann fast jedem Album der Band etwas abgewinnen, aber nach dem größtenteils grauenvollen St. Anger, der dazugehörigen öffentlichen Bandtherapie und zuletzt dem halbherzigen (und total überbewerteten) Fan-Anbiederungsversuch Death Magnetic ist die enorme Credibilty der Metalhelden mittlerweile nur noch ansatzweise vorhanden.
Deswegen schien die Ankündigung eines gemeinsamen Albums, inspiriert von einem deutschen Dramatiker, auch zunächst wie ein elaborierter Internet-Hoax. Doch nach gemeinsamen Lederjackenfotos, Interviews in denen alle Beteiligten vollkommen weltfremd vom größten, dass sie jemals produziert hätten, gefaselt haben und schließlich ersten Hörproben, ließ sich die Wahrheit des Ganzen nicht mehr verdrängen. Es ist klar, dass bei so vielen Plattenmillionären im Raum kein Plattenfirmenmitarbeiter etwas negatives sagen würde, aber gab es wirklich niemanden, der zu irgendeinem Zeitpunkt dachte „Das ist vielleicht nicht wirklich gut?“. Lou Reed klingt meistens, wie ein alter Mann, den man direkt aus dem Bett vors Mikrofon gezerrt hat mit Texten, die er noch nie vorher gelesen hat. Er Sprechsingt meistens taktfrei und gelangweilt, nur ganz selten erinnert er schwach an Johnny Cashs letzten Jahre. Die Wedekind-inspirierten Texte sind pseudo-intellektuell und statt provokant eher kindisch-profan. James Hetfield heult dazu gelegentlich durchaus kompetent unsinnige Textzeilen im Hintergrund („I am the table!“). Die Musik, die das ganze untermalt, ist zwar sofort als Metallica wieder zu erkennen, aber meistens auf simplem, repetitiven Re-load-Überbleibsel-Niveau. Es gibt durchaus interessante Momente, wo die Band aufdreht und Reed kurz aufzuwachen scheint, aber alles wird von den brutalen Songlängen und öden Wiederholungen zunichte gemacht. Insgesamt klingt das Album ein wenig wie das Ende des Garage Inc.-Covers Tuesday's Gone. Im vollkommen humorlosen Kontext eines Konzeptalbums zieht diese schiefe Gröhlmethode aber einfach nicht. Die Kombination aus spaßigen Momenten und die So-schlecht-dass-es-fast-schon-wieder-gut-ist-Qualität unterhalten zwar zuerst ähnlich wie ein spektakulärer Autounfall, aber im Endeffekt ist es eine traurige Angelegenheit, denn es sterben Menschen bzw. Musikerdenkmäler und man sollte sich schämen...

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