Sonntag, 21. Juni 2015

Alben und Songs des Jahres 2015 (Halbzeitstand)

1. Father John Misty - I Love You, Honeybear 
(Folk / USA)
Father John Misty ist das schräge Alter Ego von J. Tillman, der vorher unter seinem Namen und kurz als Teil der Fleet Foxes ernsthafte Folk Musik machte. Nach dieser bewussten Veränderung mit neuem Namen ist das zweite Album als Father John Misty eine große Überraschung. Es gibt immer noch jede Menge unerwartete, schräge Momente und Texte voller Zynismus, Ironie und Augenzwinkern. Gleichzeitig ist Honeybear jedoch ein unglaublich ehrliches Album über die Liebe geworden - von einem Mann, der es scheinbar nach wie vor nicht fassen kann, dass er die Liebe seines Lebens gefunden hat, obwohl er an diesen Liebeskram nicht wirklich glaubt...

2. Hop Along - Painted Shut 
(Indie Rock / USA) 
Die Erwartungshaltung war so groß, dass ich kurzzeitig wirklich Angst hatte Painted Shut endlich zu hören. Zum Glück war die Angst ausnahmsweise unbegründet. Hop Along haben ein wunderbares, unverwechselbares Album aufgenommen. Nach wie vor steht Frances Quinlan im Mittelpunkt und auch wenn es wirklich schwer fällt ihre Stimme zu beschreiben, eine andere wie ihre gibt es definitiv nicht. Sie singt kraftvoll, aber kratzig, oft scheint sich ihre Stimme zu überschlagen und doch hat sie die totale Kontrolle darüber. Auf jeden Fall singt Quinlan auch auf Painted Shut jede einzelne Zeile mit maximaler Überzeugung, voller Emotion und immer als ob ihr Leben davon abhinge. Dabei sind es nicht immer die großen, weltbewegenden Themen über die sie singt. Stattdessen sind es vermeintlich alltägliche Dinge, denen sie das nötige Gewicht verleiht.

3. Natalie Prass - Natalie Prass 
(Singer-Songwriter / USA)
Das Debütalbum von Natalie Prass ist ein typisches Trennungsalbum. Es ist traurig, wehmütig, anklagend und delikat. Die Songs handeln von schwieriger, zerstörerischer und zerbrochener Liebe. Doch entgegen dieses Eindrucks machen Prass und ihre Band zu keiner Zeit depressive oder gar düstere Musik für das stille Kämmerlein. Stattdessen gibt es hier überaus ambitionierte Popmusik voller Leben - verspielte und gleichzeitig große Songs, die sich trotz ihrer Themen immer mitreißend und lebensbejahend anfühlen. Es ist also entweder das fröhlichste Trennungsalbum oder das tiefgängigste Popalbum des Jahres. Eines der Schönsten ist es auf jeden Fall!   

4. Kendrick Lamar - To Pimp A Butterfly 
(Hip Hop / USA)
Gerade in der heutigen Zeit erscheinen nur wenige Alben, denen man ohne Übertreibung die Prädikate "wichtig" und "wegweisend" geben kann, doch To Pimp A Butterfly ist definitiv so ein Meilenstein. Kendrick Lamar verbindet seine persönlichen Erfahrungen als Rapper, Künstler, Schwarzer in Amerika mit einer beeindruckenden Analyse der schwarzen Erfahrung in der Gesellschaft. Dazu schrieb er ein anspruchsvolles, komplexes, progressives Rapalbum, das Kritiker begeistert und trotzdem Charterfolge feierte. To Pimp A Butterfly integriert Jazz, Soul, Spoken Word und viele andere Einflüsse zu einer Mischung, die ohne Widerspruch gleichzeitig als ein klassisches Rap-Album und so etwas wie "Post-Rap" gelten kann. Der Hörer kann lyrics, Themen und Hintergründe von Lamars studenlang analysieren, aber auch einfach äußerst unterhaltsame Songs genießen.

5. HVOB - Trialog 
(Deep House / Österreich)
Die Musik von HVOB ist eigentlich irgendwo zwischen Deep House und Minimal Techno anzusetzen, hat jedoch viel Raum für warmen Gesang und Popsensibilitäten. Den Mittelpunkt dabei bildet auch auf dem zweiten Album die wunderbare Stimme von Anna Müller. Sie klingt äußerst melancholisch, ohne dabei die Songs ihn düstere Gefilde zu ziehen. Es ist schwer zu beschreiben, wie sich diese Mischung aus emotionaler Wucht und tanzbarer Leichtigkeit anhört, die Wirkung auf den Hörer ist jedoch unmittelbar und hebt sich erfreulich ab von dem Klischee der kühlen elektronischen Musik, ebenso wie von der Substanzlosigkeit vieler Electro Pop-Bands.

6. Billy Woods - Today, I Wrote Nothing 
(Hip Hop / USA)
Der Titel Today, I Wrote Nothing klingt schon etwas absurd für ein Album mit 24 Songs, das vor Kreativität fast zu bersten scheint. Nach zwei gefeierten Alben, die bereits sehr unterschiedlich waren, entwirft Billy Woods hier eine Art Kurzgeschichten- und Vignetten-Sammlung in Rapform.
Sowohl sein langsamer Flow als auch seine dichten, vielschichtigen Texte machen diesen Ansatz äußerst erfolgreich, mit einer Trefferquote, von der andere Rapper nur träumen können. Woods ist ein geborener Geschichtenerzähler und hat eine Präsenz, die das Zuhören einerseits leicht macht, andererseits auch fast erzwingt.  

7. Zugezogen Maskulin - Alles Brennt 
(Hip Hop /Deutschland)
Wie ihr Name schon deutlich macht, sind Zugezogen Maskulin zutiefst im Deutsch Rap verwurzelt, grenzen sich aber auch bewusst und unbewusst bei jeder Gelegenheit von ihm ab. So wird aus Alles Brennt ein Album, das weitgehend ohne die üblichen Klischees und Probleme des Genres auskommt und sich stattdessen ebenso humorvoll wie intelligent mit Themen wie Nationalismus, Gentrifizierung, Flüchtlingspolitik und immer wieder der Rapmusik in Deutschland auseinander setzt. Statt dem erhobenen Zeigefinger oder Emo Rap gibt es aber hier zum Glück lieber schwarzen Humor, echte Wut und enorme Cleverness der beiden Rapper. Die Produktion dazu erinnert mich an amerikanische Trap Beats und Hudson Mohawke - ist also nicht bahnbrechend neu, aber äußerst effektiv und perfekt zugeschnitten auf die überdrehten Darbietungen von Testo und Grim104. 

8. Love A - Jagd und Hund 
(Punk / Deutschland)
Die Öffnung zum Pop ist bei Love A zwar auch der Hang zu eingängigen Melodien, viel mehr sind es aber diese großen, packenden Refrains in allen Songs, die schon beim ersten Hören einen tiefen Eindruck hinterlassen. Was aber Jagd und Hund und damit auch Love A so einzigartig macht, sind die schlauen, lustigen oder auch unvermittelt tiefgründigen Textzeilen, die diese ebenso kantige, wie eingängige Musik begleiten.  So kann es passieren, dass man beim Hören lacht, dann zustimmend nickt und Minuten später inne hält um nach zu denken. Das alles ist dann eben noch verpackt in energische Punk-Songs, bei denen sich Vertrautheit und Überraschung genau in der Mitte treffen.

9. Jenny Hval - Apocalypse, girl 
(Art Rock / Norwegen)
Jenny Hval macht experimentelle Popmusik, die sich trotz ihrer Seltsamkeiten und abstrakter Texte eine unerwartete Eingängigkeit bewahrt. Ihr neues Album Apocalypse, girl schraubt die Zugänglichkeit zugunsten von Improvisation und Experimentierfreude noch etwas weiter zurück. Doch auch hier schimmern funkelnde Melodien immer wieder durch und bilden einen faszinierenden Kontrast. Stimmlich ist Hval unverändert beeindruckend, aber sicher auch nach wie vor polarisierend. Ihr Gesang ist mal kindlich verspielt, mal flüsternd und unheimlich, dann wieder groß und beeindruckend. Er ist jedoch immer recht hoch und wird, ähnlich wie bei Joanna Newsom oder Björk, mehr als vielseitiges (und technisch äußerst beeindruckendes) Instrument eingesetzt. Das kann beim zuhören anstrengend sein, ist aber auch immer wieder absolut fesselnd. Die Texte der Songs sind dabei kaum konventionelle lyrics, sondern mehr vertonte Gedichte, abstrakte Traumbilder und durchdachte Provokationen. Darin geht es immer wieder um das Verhältnis der Geschlechter und Körper(bilder) im Kapitalismus - Themen, die neben vielen anderen, mit Humor aber auch in einer aufschreckenden Deutlichkeit behandelt werden.

10. Liturgy - The Ark Work 
(Black Metal / USA)
Hunter Hunt-Hendrix ist nach wie vor ein größenwahnsinniger, pseudointellektueller Musiker, der mit seiner Band Liturgy zielstrebig den Hass vieler Black Metal-Fans auf sich zieht und die Kritikerwelt äußerst heftig in hypende Verehrung und aggressives Unverständnis spaltet.

Und auf dem neuen Album The Ark Work übertrifft er sich in dieser Hinsicht noch einmal selbst. Die Schreie der Vorgänger-Alben ersetzt er durch einen monotonen, manchmal hypnotischen Sprechgesang und der Sound zwischen Black Metal und Mathcore wird erweitert durch Bläser, Dudelsack, jede Menge Glockenspiel, prominente Hip Hop-Anleihen und eine gewisse wehmütige Grundstimmung. Doch hinter diesen auffälligen Neuerungen steckt der "typische" Liturgy-Sound mit Blastbeats (die Drums sind auch hier wieder absolut beeindruckend), Tremolo-Gitarren und repetitiven, sich stetig wandelnden Songstrukturen. Und wieder gelingt es Liturgy immer wieder eine fiebrige, überwältigende Intensität zu erreichen und das Grundgerüst des Black Metal zu etwas aufregendem, vollkommen Anderem zu formen. Dieser Eindruck kann sich jedoch ganz schnell wandeln - mit der falschen Stimmung oder einem anderen Blickwinkel wird The Ark Work zu einer anstrengenden und langweiligen Hörangelegenheit. Die Grenze zwischen aufregendem Geniestreich und prätentiösem Lärm ist bei Liturgy eben äußerst fließend und instabil.

Meine Top 30-Songs jenseits dieser Alben:  

 

1. Björk - Notget

2. Soap&Skin - Mawal Jamar

3. Purity Ring - Flood On The Floor

4. Kelela - A Message

5. Inner Tongue - Fallen Empire

6. Florence And The Machine - Which Witch

7. Earl Sweatshirt - Grief

8. Waxahatchee - Under A Rock 

9. Courtney Barnett - Pedestrian at Best

10. Lady Lamb - Spit Spat



11. Braids - Miniskirt

12. Laura Marling - False Hope

13. Foals - What Went Down

14. Viet Cong - Silhouettes

15. Caitlin Canty - Get Up

16. Wolf Alice - Giant Peach

17. Dan Mangan + Blacksmith - Mouthpiece

18. Self Defense Family - Talia

19. Eskimeaux - The Thunder Answered Back

20. Tyler, The Creator - Keep Da O's



21. Sophie Hunger - Heicho

22. Jamie xx - Girl

23. Tigran Hamasyan - Entertain Me

24. Brown Bird - Pale And Paralyzed

25. MS MR - Painted

26. Torres - Strange Hellos

27. Makthaverskan - Witness

28. Soak - Blud

29. Boosie Badazz - Hip Hop Hooray (Feat. Webbie)

30. Marriages - Southern Eye

Freitag, 5. Juni 2015

Alben des Monats - Mai 2015

Hop Along - Painted Shut
"By the time it’s old, a face will have been seen one and a half million times.
One million times. I don’t know why I worry, I mean maybe she didn’t recognize me."

Frances Quinlan begann Hop Along 2004 als akustisches Soloprojekt unter dem sperrigen Namen Hop Along, Queen Ansleis. Auch damals war Quinlans Stimme und ihre Texte schon bemerkenswert, ihre Musik aber noch nichts außergewöhnliches, oft ein wenig zu niedlich. Nichts ließ erahnen zu was Hop Along nach Kürzung ihres Namens und mit Hilfe einer richtigen Band und guter Produktion in der Lage waren. Das zeigten sie mit dem offiziellen Band-Debüt-Album Get Disowned 2012. Es ist ein Indie oder Punk Rock-Album mit einer Singer-Songwriter-Seele und für mich nach wie vor das beste Album dieses Jahres bei weitem, mit einem der emotionalsten Songs aller Zeiten - oder um es mit Mike Powell von Pitchfork zu halten: "[The Song] Tibetan Pop Stars should be etched in titanium and shot into outer space for safekeeping." Nur durch die Kraft ihrer Songs und dem unglaublichen Charisma von Frances Quinlan auf der Bühne und auf Platte, erreichten Hop Along ganz ohne Unterstützung der Medien ganz langsam immer mehr Fans, bis sie jetzt drei Jahre später ihr zweites Album auf dem legendären Label Saddle Creek heraus bringen und überall die lange verdienten Lobeshymnen einstreichen.

Die Erwartungshaltung war so groß, dass ich kurzzeitig wirklich Angst hatte Painted Shut endlich zu hören. Zum Glück war die Angst ausnahmsweise unbegründet. Hop Along haben ein wunderbares, unverwechselbares Album aufgenommen. Nach wie vor steht Frances Quinlans im Mittelpunkt und auch wenn es wirklich schwer fällt ihre Stimme zu beschreiben, eine andere wie ihre gibt es definitiv nicht. Sie singt kraftvoll, aber kratzig, oft scheint sich ihre Stimme zu überschlagen und doch hat sie die totale Kontrolle darüber. Auf jeden Fall singt Quinlan auch auf Painted Shut jede einzelne Zeile mit maximaler Überzeugung, voller Emotion und immer als ob ihr Leben davon abhängt. Dabei sind es nicht immer die großen, weltbewegenden Themen über die sie singt. Stattdessen sind es vermeintlich alltägliche Dinge, denen sie das nötige Gewicht verleiht. So handelt Waitress etwa von einer Begegnung mit einer alten Liebe, wenn man sich gerade an einem Tiefpunkt im Leben befindet. Powerful Man beschreibt eine Situation vor 10 Jahren in der Quinlan einem Kind, das von seinem Vater geschlagen wurde, nicht ausreichend helfen konnte. Solche Themen sind dem Hörer nah und wenn wir ehrlich sind, beschäftigen uns genau solche "Kleinigkeiten" und scheinbar unbedeutende Momente im Leben auch immer wieder.

Verbunden mit dem absolut einzigartigen Gesang ist ein Kritikpunkt an Hop Along, dass die Band ohne Quinlans Stimme nur eine durchschnittliche Indie Rock-Band wäre. Das ist besonders auf Painted Shut definitiv Unsinn. Die Musik ist hier vielseitiger und kitzelt damit erst eine ebenso vielseitige Gesangsleistung aus Quinlan heraus. Von explosiven und eingängigen Rocksongs wie Waitress und Texas Funeral bis zu überraschend wuchtigen Folk Songs wie Well-Dressed oder Happy To See Me, gibt es viel Abwechslung, jede Menge Experimentierfreude und trotzdem ein wunderbar fließendes Gesamtkunstwerk. Außerdem sorgt die Instrumentierung oft für eine Leichtigkeit und Spritzigkeit als Gegengewicht zu Quinlans explosiver, dramatischer Stimme. Die Produktion ist dazu klarer und wunderbar detailverliebt.

Beenden muss man eine Kritik von Hop Along aber trotzdem immer mit Frances Quinlan. Denn auch wenn sie nicht das einzige ist, dass die Band besonders macht, ist sie doch trotzdem eine absolute Wunderwaffe. Bemerkenswert ist was für ein Gefühlschaos sie nur mit ihrem Gesang auslösen kann - in oft nicht mal vier Minuten. Ihre Stimme haut um, zieht runter und dann wieder hoch. Mit der Betonung eines Wortes löst sie Gänsehaut aus, man hört ihre Frustration, ihre Tränen, aber auch ihr breites Grinsen durch ihre Stimme. Das macht sie einzigartig und auch Painted Shut zu einem verdammten Meisterwerk.  

Lieblingslieder: Horseshoe Crabs, Waitress, Happy To See Me, Powerful Man, I Saw My Twin

Eskimeaux - O.K.
"While you were breaking your neck trying to keep your head up
I was breaking my neck just to stick it out for you."

Der Bandname, das gestickte Albumcover und Begriffe wie DIY und Bedroom Music schrecken erst mal ab und wecken Erwartungen, die sich schon nach den ersten Höreindrücken als vollkommen falsch erweisen. O.K. ist ein großes, beeindruckend produziertes Album mit vielen, wirklich berührenden und aufwühlenden Momenten.
Die Entstehung von O.K. erinnert in mehrfacher Hinsicht an das Debütalbum von Lady Lamb. Wie bei  Aly Spaltro existierten auch bei Gabrielle Smith aka Eskimeaux viele der Songs bereits als akustische, Lofi-Versionen bevor sie um arrangiert auf dem Album landeten. Und wie bei Lady Lamb profitieren diese Songs enorm von dem längeren Entstehungsprozess, einer besseren Produktion und umfangreicheren Instrumentierungen. Aus ungeschliffenen Skizzen werden aufregende Songs, fast Hymnen.

Der Gesang dagegen ist bei Eskimeaux ganz anders. Sie hat keine große Stimme im eigentlichen Sinne, stattdessen erzählt sie mit einer nachdenklichen Art ihre Texte fast. Diese Nachdenklichkeit ist dabei ihre Stärke, sie transportiert Smiths mal traurigen, mal wütenden, mal resignierten Texte mit einer unglaublichen Melancholie. Das erinnert manchmal an Waxahatchee oder Sharon van Etten, ist aber doch ganz eigen. Die klare Produktion hilft dabei ungemein. Die Musik klingt angemessen groß, mal wie ein Rock-, mal wie  ein Folk-Album, gleichzeitig aber ist Smiths unaufdringliche Stimme auf magische Weise immer im Vordergrund und jede Zeile klar verständlich.

In einem Interview sagte Smith O.K. sei gleichzeitig inspiriert von Taylor Swift und Experimental-Noise-Musiker Xiu Xiu. Und auch wenn ihre Musik absolut nicht nach diesen beiden Musikern klingt, ist die Beschreibung dennoch hilfreich. Denn die Musik von Eskimeaux ist nur schwer greifbar, hat Hits ohne Pop zu sein oder dem üblichen Strophe-Refrain-Strophe-Schema zu folgen und immer wieder unerwartete, angenehm seltsame Wendungen.     
Lieblingslieder: I Admit, I'm Scared, The Thunder Answered Back, Pocket Full Of Posies, A Hug To Long


SOAK - Before We Forget How To Dream
"The teenage heart is an unguarded dart"

Mit gerade einmal 17 Jahren wurde Bridie Monds-Watson alias SOAK die erste Künstlerin auf dem Label von Chvrches. Stilistisch ist die Musik der Nordirin von dem Electro Pop der Schotten sehr weit entfernt, verdient hat SOAK die hohe Aufmerksamkeit und das Rampenlicht aber auf jeden Fall.

Die Songs bilden wenig überraschend die Lebenswelt eines Teenagers ab, die Texte  bleiben aber ebenso universell verständlich. Die Scheidung der Eltern, Schüchternheit oder die Ängste von Außenseitern.

Musikalisch steht Monds-Watsons Stimme klar im Mittelpunkt und die ist ein kleines Wunderwerk: Variabel und manchmal fast ätherisch und schwer greifbar, bewahrt sie sich trotzdem eine gewisse "erdige" und unmittelbare Qualität. Die unscheinbare Qualität von Soaks Stimme und Auftreten täuscht dabei zunächst über zutiefst berührende und aufwühlende Songs hinweg. Ähnlich wie bei Daughter entstanden die Songs an der Gitarre, der dann im Studio umfangreiche, aber dezente Instrumentierungen und Effekte hinzu gefügt wurden. Und wie bei Daughter verstärken diese Zusätze ein ohnehin schon emotional wuchtiges und ehrliches Album eindrucksvoll.  Es gibt keinerlei Show oder Fassade auf diesem Album, es zählt nur die Musik. Und es ist sehr begrüßenswert, dass SOAK jetzt eine so große Plattform bekommt, statt von der Masse übersehen zu werden!       

Lieblingslieder: B a noBody, Blud,  24 Windowed House, Garden, Oh Brother

Boosie Badazz - Touch Down 2 Cause Hell
"My passion ain't what it was, my faith medium-rare.
People I thought loved me it seems like they don't care."

Das fast zeitgleich erschiene, neue A$AP Rocky Album ist sicherlich das musikalisch ambitioniertere und auch das Hip Hop-Album, das diesen Monat die ganze Aufmerksamkeit erhält. Und das ist wirklich schade. Denn Rocky hat zwar ein streckenweise sehr interessantes Album veröffentlicht, es gibt aber auch Ausfälle und vor allem fehlt mir immer noch ein wenig die Persönlichkeit.
Genau das ist die Stärke von Boosie Badazz: Er hat so viel Persönlichkeit, dass Schwächen und Unzulänglichkeiten seines "Comeback"-Albums ebenso schnell vergessen sind wie sein Rap-Name. Touch Down 2 Cause Hell ist weder besonders innovativ noch konsistent - aber einfach ein unglaublicher Banger!

Das liegt vor allem an Boosie's unglaublicher Energie. Hooks oder Eingängigkeit überlässt er anderen, stattdessen rappt er durchgängig wie ein Besessener und klingt dabei wie ein fauchender Dämon. Dazu hat er einen traumwandlerischen Flow und genug Charisma für zehn Rapper. Das führt dazu, dass er sogar aus Songs, die auf einem gegenwärtigen Rap-Album dieses Kalibers etwas fehl am Platz wirken, das absolut beste heraus holt. Nach einer uneingeschränkt harten und überzeugenden Album-Hälfte sind das RnB-angehauchte Liebeslieder und Partylieder mit bescheidenen Gästen. Das klingt ein wenig nach Wünschen der Plattenfirma, aber selbst diesen Songs drückt Boosie seinen Stempel auf. Und auf den wirklich zu ihm passenden Tracks ist er einfach eine Offenbarung.

Nach einer unterbrochenen Karriere und einem langen Gefängnisaufenthalt, der nach einem Fehlurteil fast mit der Todesstrafe endete, machte Boosie Badazz vollkommen überraschend genau da weiter, wo er aufgehört hatte und übertraf sich sogar selbst noch. Statt in Nachdenklichkeit oder Pathos verwandelte der Rapper schon auf seinem exzellenten Mixtape aus dem letzten Jahr seine Erlebnisse in wütende, einschüchternde Banger. Auf dem Album ist das Ganze nun noch etwas geschliffener und noch etwas aufregender. Da kann man nur hoffen, dass er noch (wieder?) ganz groß wird.

Lieblingslieder: Intro (Get Em Boosie), Window Of My Eyes, On Deck (Feat. Young Thug), Hip Hop Hooray (Feat. Webbie), How She Got Her Name, Hands Up    

Jamie xx - In Colour
"I go to loud places, to search for someone to be quiet with."

The xx kamen 2009 gefühlt aus dem Nichts und schafften es mit ihrem fantastischen Debüt-Album binnen kürzester Zeit zu einer Omnipräsenz in der Popkultur. Es ist ein kleines Wunder, dass ihre minimalistischen und melancholischen Songs so großen Erfolg hatten und ein noch größerer, dass sie immer noch äußerst berührend sind nach der jahrelangen Dauerbeschallung überall.

Trotzdem ist es angenehm, dass xx-Produzent und Mastermind Jamie Smith seit dem zweiten Album seiner Band etwas ganz anderes macht. Schon 2011 verhalf er Gil Scott-Heron zu einem überfälligen Comeback und solo war er als gefragter DJ und Musikproduzent tätig. In Colour hat auf jeden Fall die gleiche Handschrift wie auch The xx. Smith macht aus wenigen und oft unerwarteten Elementen große Songs und vermischt Nostalgie mit etwas Unerwartetem und Neuen zu aufregenden Songs.

Der Unterschied ist, dass es auf In Colour fröhlich, oft euphorisch zu geht. Es Club-Musik zu nennen, geht vielleicht zu weit, aber die Musik ist auf jeden Fall absolut tanzbar. Selbst wenn xx-Sänger Romy Madley-Croft und Oliver Sims auf drei der Songs auftauchen, sind sie mehr (äußerst willkommene) Featured Player.

Das gesamte Album ist ein kleines Wunder. Die einzelnen Songs verwenden Einflüsse von Drum and Bass, Breakbeat, Rave, Dancehall, Garage oder Ambient und machen daraus stimmige und begeisternde Kunstwerke. Daraus ergibt sich eine Sammlung von so verschiedenen Hits, die doch irgendwie ein absolut glaubwürdiges Gesamtkunstwerk bilden. Da steht dann der poppige "Song des Sommers"-Anwärter I Know There's Gonna Be (Good Times) mit dem Rapper Young Thug neben einem sich langsam entfaltenden Stimmungsmeisterwerk wie The Rest Is Noise oder dem melancholisch-euphorischen Gefühls-Wechselbad Loud Places und es passt irgendwie einfach. Und das ganze Album ist voll mit solchen Überraschungen und macht einfach glücklich! Auch wenn der gigantische Hype um alles von und mit Jamie xx sicher übertrieben ist, funktioniert In Colour doch als vorauseilende Greatest Hits-Sammlung ebenso wie als tolles Sommeralbum.    

Lieblingslieder: Gosh, Obvs, Hold Tight, Loud Places (Feat. Romy), Girl

Florence and The Machine - 
How Big, How Blue, How Beautiful
"How do you do it? I think I'm through it. Then I'm back against the wall."

Florence Welchs größte Stärke ist mittlerweile auch oft ihre größte Schwäche. Die Rede ist natürlich von ihrer gigantischen Naturgewalt von einer Stimme, die kaum Zurückhaltung oder Nuancen zulässt. Auf ihrem nach wie vor großartigen Debüt-Album war diese Stimme aufregend und kompromisslos, wurde aber auch von abwechslungsreichem Songwriting unterstützt, das für einen wenig stimmigen Hörgenuss sorgte, dagegen aber für eine Unmenge an ganz großen Hits.

Auch der Nachfolger Ceremonials hatte große Hits, litt aber ein wenig unter  typischen Fortsetzungs-Problemen: Alles war noch bomastischer, durch produzierter - mehr Explosionen und weniger Nuancen. Auch wenn ich von Florence And The Machine keine intime Kopfmusik erwarte, führte das Album doch schnell zu Ermüdungserscheinungen.

Das wichtige dritte Album How Big, How Blue, How Beautiful kann in diesem Zusammenhang zum Glück als zurück haltend und nuancierter beschrieben werden, auch wenn diese Begriffe natürlich nur vorsichtig zu gebrauchen sind, wenn Florence Welch singt. Denn natürlich überwiegt auch hier noch der Bombast, die großen Gefühle und der Herzschmerz. Doch die Arrangements sind verspielter und Welch hat auch mal Spaß oder übt sich in effektvoller Zurückhaltung. Dadurch setzt die Ermüdung nicht so schnell ein und es fällt leichter das Album auch mal am Stück zu genießen.

Nach wie vor täuscht Welchs Stimme manchmal über das eher unspektakuläre Songwriting hinweg. Es ist eben ein Soloprojekt um ihre Stimme herum gebaut und keine wirkliche Band. Andererseits kann diese Stimme eben immer noch so einiges. Auf What Kind Of Man klingt sie wütend wie nie, während sie auf den anderen Singles Delilah und Ship To Wreck dem Bombast eine ungewöhnliche Unbeschwertheit beimischt. Insgesamt ist die Hitdichte auf How Big... beeindruckend, ohne den Hörer vollkommen zu erdrosseln. Das geht so weit, dass zwei der besten Songs sogar nur Bonus-Songs auf der Deluxe Edition sind.

Lieblingslieder: What Kind Of Man, Delilah, Third Eye, Mother, Which Witch (Bonus Track)