Sonntag, 21. Juni 2015

Alben und Songs des Jahres 2015 (Halbzeitstand)

1. Father John Misty - I Love You, Honeybear 
(Folk / USA)
Father John Misty ist das schräge Alter Ego von J. Tillman, der vorher unter seinem Namen und kurz als Teil der Fleet Foxes ernsthafte Folk Musik machte. Nach dieser bewussten Veränderung mit neuem Namen ist das zweite Album als Father John Misty eine große Überraschung. Es gibt immer noch jede Menge unerwartete, schräge Momente und Texte voller Zynismus, Ironie und Augenzwinkern. Gleichzeitig ist Honeybear jedoch ein unglaublich ehrliches Album über die Liebe geworden - von einem Mann, der es scheinbar nach wie vor nicht fassen kann, dass er die Liebe seines Lebens gefunden hat, obwohl er an diesen Liebeskram nicht wirklich glaubt...

2. Hop Along - Painted Shut 
(Indie Rock / USA) 
Die Erwartungshaltung war so groß, dass ich kurzzeitig wirklich Angst hatte Painted Shut endlich zu hören. Zum Glück war die Angst ausnahmsweise unbegründet. Hop Along haben ein wunderbares, unverwechselbares Album aufgenommen. Nach wie vor steht Frances Quinlan im Mittelpunkt und auch wenn es wirklich schwer fällt ihre Stimme zu beschreiben, eine andere wie ihre gibt es definitiv nicht. Sie singt kraftvoll, aber kratzig, oft scheint sich ihre Stimme zu überschlagen und doch hat sie die totale Kontrolle darüber. Auf jeden Fall singt Quinlan auch auf Painted Shut jede einzelne Zeile mit maximaler Überzeugung, voller Emotion und immer als ob ihr Leben davon abhinge. Dabei sind es nicht immer die großen, weltbewegenden Themen über die sie singt. Stattdessen sind es vermeintlich alltägliche Dinge, denen sie das nötige Gewicht verleiht.

3. Natalie Prass - Natalie Prass 
(Singer-Songwriter / USA)
Das Debütalbum von Natalie Prass ist ein typisches Trennungsalbum. Es ist traurig, wehmütig, anklagend und delikat. Die Songs handeln von schwieriger, zerstörerischer und zerbrochener Liebe. Doch entgegen dieses Eindrucks machen Prass und ihre Band zu keiner Zeit depressive oder gar düstere Musik für das stille Kämmerlein. Stattdessen gibt es hier überaus ambitionierte Popmusik voller Leben - verspielte und gleichzeitig große Songs, die sich trotz ihrer Themen immer mitreißend und lebensbejahend anfühlen. Es ist also entweder das fröhlichste Trennungsalbum oder das tiefgängigste Popalbum des Jahres. Eines der Schönsten ist es auf jeden Fall!   

4. Kendrick Lamar - To Pimp A Butterfly 
(Hip Hop / USA)
Gerade in der heutigen Zeit erscheinen nur wenige Alben, denen man ohne Übertreibung die Prädikate "wichtig" und "wegweisend" geben kann, doch To Pimp A Butterfly ist definitiv so ein Meilenstein. Kendrick Lamar verbindet seine persönlichen Erfahrungen als Rapper, Künstler, Schwarzer in Amerika mit einer beeindruckenden Analyse der schwarzen Erfahrung in der Gesellschaft. Dazu schrieb er ein anspruchsvolles, komplexes, progressives Rapalbum, das Kritiker begeistert und trotzdem Charterfolge feierte. To Pimp A Butterfly integriert Jazz, Soul, Spoken Word und viele andere Einflüsse zu einer Mischung, die ohne Widerspruch gleichzeitig als ein klassisches Rap-Album und so etwas wie "Post-Rap" gelten kann. Der Hörer kann lyrics, Themen und Hintergründe von Lamars studenlang analysieren, aber auch einfach äußerst unterhaltsame Songs genießen.

5. HVOB - Trialog 
(Deep House / Österreich)
Die Musik von HVOB ist eigentlich irgendwo zwischen Deep House und Minimal Techno anzusetzen, hat jedoch viel Raum für warmen Gesang und Popsensibilitäten. Den Mittelpunkt dabei bildet auch auf dem zweiten Album die wunderbare Stimme von Anna Müller. Sie klingt äußerst melancholisch, ohne dabei die Songs ihn düstere Gefilde zu ziehen. Es ist schwer zu beschreiben, wie sich diese Mischung aus emotionaler Wucht und tanzbarer Leichtigkeit anhört, die Wirkung auf den Hörer ist jedoch unmittelbar und hebt sich erfreulich ab von dem Klischee der kühlen elektronischen Musik, ebenso wie von der Substanzlosigkeit vieler Electro Pop-Bands.

6. Billy Woods - Today, I Wrote Nothing 
(Hip Hop / USA)
Der Titel Today, I Wrote Nothing klingt schon etwas absurd für ein Album mit 24 Songs, das vor Kreativität fast zu bersten scheint. Nach zwei gefeierten Alben, die bereits sehr unterschiedlich waren, entwirft Billy Woods hier eine Art Kurzgeschichten- und Vignetten-Sammlung in Rapform.
Sowohl sein langsamer Flow als auch seine dichten, vielschichtigen Texte machen diesen Ansatz äußerst erfolgreich, mit einer Trefferquote, von der andere Rapper nur träumen können. Woods ist ein geborener Geschichtenerzähler und hat eine Präsenz, die das Zuhören einerseits leicht macht, andererseits auch fast erzwingt.  

7. Zugezogen Maskulin - Alles Brennt 
(Hip Hop /Deutschland)
Wie ihr Name schon deutlich macht, sind Zugezogen Maskulin zutiefst im Deutsch Rap verwurzelt, grenzen sich aber auch bewusst und unbewusst bei jeder Gelegenheit von ihm ab. So wird aus Alles Brennt ein Album, das weitgehend ohne die üblichen Klischees und Probleme des Genres auskommt und sich stattdessen ebenso humorvoll wie intelligent mit Themen wie Nationalismus, Gentrifizierung, Flüchtlingspolitik und immer wieder der Rapmusik in Deutschland auseinander setzt. Statt dem erhobenen Zeigefinger oder Emo Rap gibt es aber hier zum Glück lieber schwarzen Humor, echte Wut und enorme Cleverness der beiden Rapper. Die Produktion dazu erinnert mich an amerikanische Trap Beats und Hudson Mohawke - ist also nicht bahnbrechend neu, aber äußerst effektiv und perfekt zugeschnitten auf die überdrehten Darbietungen von Testo und Grim104. 

8. Love A - Jagd und Hund 
(Punk / Deutschland)
Die Öffnung zum Pop ist bei Love A zwar auch der Hang zu eingängigen Melodien, viel mehr sind es aber diese großen, packenden Refrains in allen Songs, die schon beim ersten Hören einen tiefen Eindruck hinterlassen. Was aber Jagd und Hund und damit auch Love A so einzigartig macht, sind die schlauen, lustigen oder auch unvermittelt tiefgründigen Textzeilen, die diese ebenso kantige, wie eingängige Musik begleiten.  So kann es passieren, dass man beim Hören lacht, dann zustimmend nickt und Minuten später inne hält um nach zu denken. Das alles ist dann eben noch verpackt in energische Punk-Songs, bei denen sich Vertrautheit und Überraschung genau in der Mitte treffen.

9. Jenny Hval - Apocalypse, girl 
(Art Rock / Norwegen)
Jenny Hval macht experimentelle Popmusik, die sich trotz ihrer Seltsamkeiten und abstrakter Texte eine unerwartete Eingängigkeit bewahrt. Ihr neues Album Apocalypse, girl schraubt die Zugänglichkeit zugunsten von Improvisation und Experimentierfreude noch etwas weiter zurück. Doch auch hier schimmern funkelnde Melodien immer wieder durch und bilden einen faszinierenden Kontrast. Stimmlich ist Hval unverändert beeindruckend, aber sicher auch nach wie vor polarisierend. Ihr Gesang ist mal kindlich verspielt, mal flüsternd und unheimlich, dann wieder groß und beeindruckend. Er ist jedoch immer recht hoch und wird, ähnlich wie bei Joanna Newsom oder Björk, mehr als vielseitiges (und technisch äußerst beeindruckendes) Instrument eingesetzt. Das kann beim zuhören anstrengend sein, ist aber auch immer wieder absolut fesselnd. Die Texte der Songs sind dabei kaum konventionelle lyrics, sondern mehr vertonte Gedichte, abstrakte Traumbilder und durchdachte Provokationen. Darin geht es immer wieder um das Verhältnis der Geschlechter und Körper(bilder) im Kapitalismus - Themen, die neben vielen anderen, mit Humor aber auch in einer aufschreckenden Deutlichkeit behandelt werden.

10. Liturgy - The Ark Work 
(Black Metal / USA)
Hunter Hunt-Hendrix ist nach wie vor ein größenwahnsinniger, pseudointellektueller Musiker, der mit seiner Band Liturgy zielstrebig den Hass vieler Black Metal-Fans auf sich zieht und die Kritikerwelt äußerst heftig in hypende Verehrung und aggressives Unverständnis spaltet.

Und auf dem neuen Album The Ark Work übertrifft er sich in dieser Hinsicht noch einmal selbst. Die Schreie der Vorgänger-Alben ersetzt er durch einen monotonen, manchmal hypnotischen Sprechgesang und der Sound zwischen Black Metal und Mathcore wird erweitert durch Bläser, Dudelsack, jede Menge Glockenspiel, prominente Hip Hop-Anleihen und eine gewisse wehmütige Grundstimmung. Doch hinter diesen auffälligen Neuerungen steckt der "typische" Liturgy-Sound mit Blastbeats (die Drums sind auch hier wieder absolut beeindruckend), Tremolo-Gitarren und repetitiven, sich stetig wandelnden Songstrukturen. Und wieder gelingt es Liturgy immer wieder eine fiebrige, überwältigende Intensität zu erreichen und das Grundgerüst des Black Metal zu etwas aufregendem, vollkommen Anderem zu formen. Dieser Eindruck kann sich jedoch ganz schnell wandeln - mit der falschen Stimmung oder einem anderen Blickwinkel wird The Ark Work zu einer anstrengenden und langweiligen Hörangelegenheit. Die Grenze zwischen aufregendem Geniestreich und prätentiösem Lärm ist bei Liturgy eben äußerst fließend und instabil.

Meine Top 30-Songs jenseits dieser Alben:  

 

1. Björk - Notget

2. Soap&Skin - Mawal Jamar

3. Purity Ring - Flood On The Floor

4. Kelela - A Message

5. Inner Tongue - Fallen Empire

6. Florence And The Machine - Which Witch

7. Earl Sweatshirt - Grief

8. Waxahatchee - Under A Rock 

9. Courtney Barnett - Pedestrian at Best

10. Lady Lamb - Spit Spat



11. Braids - Miniskirt

12. Laura Marling - False Hope

13. Foals - What Went Down

14. Viet Cong - Silhouettes

15. Caitlin Canty - Get Up

16. Wolf Alice - Giant Peach

17. Dan Mangan + Blacksmith - Mouthpiece

18. Self Defense Family - Talia

19. Eskimeaux - The Thunder Answered Back

20. Tyler, The Creator - Keep Da O's



21. Sophie Hunger - Heicho

22. Jamie xx - Girl

23. Tigran Hamasyan - Entertain Me

24. Brown Bird - Pale And Paralyzed

25. MS MR - Painted

26. Torres - Strange Hellos

27. Makthaverskan - Witness

28. Soak - Blud

29. Boosie Badazz - Hip Hop Hooray (Feat. Webbie)

30. Marriages - Southern Eye

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