Freitag, 5. Juni 2015

Alben des Monats - Mai 2015

Hop Along - Painted Shut
"By the time it’s old, a face will have been seen one and a half million times.
One million times. I don’t know why I worry, I mean maybe she didn’t recognize me."

Frances Quinlan begann Hop Along 2004 als akustisches Soloprojekt unter dem sperrigen Namen Hop Along, Queen Ansleis. Auch damals war Quinlans Stimme und ihre Texte schon bemerkenswert, ihre Musik aber noch nichts außergewöhnliches, oft ein wenig zu niedlich. Nichts ließ erahnen zu was Hop Along nach Kürzung ihres Namens und mit Hilfe einer richtigen Band und guter Produktion in der Lage waren. Das zeigten sie mit dem offiziellen Band-Debüt-Album Get Disowned 2012. Es ist ein Indie oder Punk Rock-Album mit einer Singer-Songwriter-Seele und für mich nach wie vor das beste Album dieses Jahres bei weitem, mit einem der emotionalsten Songs aller Zeiten - oder um es mit Mike Powell von Pitchfork zu halten: "[The Song] Tibetan Pop Stars should be etched in titanium and shot into outer space for safekeeping." Nur durch die Kraft ihrer Songs und dem unglaublichen Charisma von Frances Quinlan auf der Bühne und auf Platte, erreichten Hop Along ganz ohne Unterstützung der Medien ganz langsam immer mehr Fans, bis sie jetzt drei Jahre später ihr zweites Album auf dem legendären Label Saddle Creek heraus bringen und überall die lange verdienten Lobeshymnen einstreichen.

Die Erwartungshaltung war so groß, dass ich kurzzeitig wirklich Angst hatte Painted Shut endlich zu hören. Zum Glück war die Angst ausnahmsweise unbegründet. Hop Along haben ein wunderbares, unverwechselbares Album aufgenommen. Nach wie vor steht Frances Quinlans im Mittelpunkt und auch wenn es wirklich schwer fällt ihre Stimme zu beschreiben, eine andere wie ihre gibt es definitiv nicht. Sie singt kraftvoll, aber kratzig, oft scheint sich ihre Stimme zu überschlagen und doch hat sie die totale Kontrolle darüber. Auf jeden Fall singt Quinlan auch auf Painted Shut jede einzelne Zeile mit maximaler Überzeugung, voller Emotion und immer als ob ihr Leben davon abhängt. Dabei sind es nicht immer die großen, weltbewegenden Themen über die sie singt. Stattdessen sind es vermeintlich alltägliche Dinge, denen sie das nötige Gewicht verleiht. So handelt Waitress etwa von einer Begegnung mit einer alten Liebe, wenn man sich gerade an einem Tiefpunkt im Leben befindet. Powerful Man beschreibt eine Situation vor 10 Jahren in der Quinlan einem Kind, das von seinem Vater geschlagen wurde, nicht ausreichend helfen konnte. Solche Themen sind dem Hörer nah und wenn wir ehrlich sind, beschäftigen uns genau solche "Kleinigkeiten" und scheinbar unbedeutende Momente im Leben auch immer wieder.

Verbunden mit dem absolut einzigartigen Gesang ist ein Kritikpunkt an Hop Along, dass die Band ohne Quinlans Stimme nur eine durchschnittliche Indie Rock-Band wäre. Das ist besonders auf Painted Shut definitiv Unsinn. Die Musik ist hier vielseitiger und kitzelt damit erst eine ebenso vielseitige Gesangsleistung aus Quinlan heraus. Von explosiven und eingängigen Rocksongs wie Waitress und Texas Funeral bis zu überraschend wuchtigen Folk Songs wie Well-Dressed oder Happy To See Me, gibt es viel Abwechslung, jede Menge Experimentierfreude und trotzdem ein wunderbar fließendes Gesamtkunstwerk. Außerdem sorgt die Instrumentierung oft für eine Leichtigkeit und Spritzigkeit als Gegengewicht zu Quinlans explosiver, dramatischer Stimme. Die Produktion ist dazu klarer und wunderbar detailverliebt.

Beenden muss man eine Kritik von Hop Along aber trotzdem immer mit Frances Quinlan. Denn auch wenn sie nicht das einzige ist, dass die Band besonders macht, ist sie doch trotzdem eine absolute Wunderwaffe. Bemerkenswert ist was für ein Gefühlschaos sie nur mit ihrem Gesang auslösen kann - in oft nicht mal vier Minuten. Ihre Stimme haut um, zieht runter und dann wieder hoch. Mit der Betonung eines Wortes löst sie Gänsehaut aus, man hört ihre Frustration, ihre Tränen, aber auch ihr breites Grinsen durch ihre Stimme. Das macht sie einzigartig und auch Painted Shut zu einem verdammten Meisterwerk.  

Lieblingslieder: Horseshoe Crabs, Waitress, Happy To See Me, Powerful Man, I Saw My Twin

Eskimeaux - O.K.
"While you were breaking your neck trying to keep your head up
I was breaking my neck just to stick it out for you."

Der Bandname, das gestickte Albumcover und Begriffe wie DIY und Bedroom Music schrecken erst mal ab und wecken Erwartungen, die sich schon nach den ersten Höreindrücken als vollkommen falsch erweisen. O.K. ist ein großes, beeindruckend produziertes Album mit vielen, wirklich berührenden und aufwühlenden Momenten.
Die Entstehung von O.K. erinnert in mehrfacher Hinsicht an das Debütalbum von Lady Lamb. Wie bei  Aly Spaltro existierten auch bei Gabrielle Smith aka Eskimeaux viele der Songs bereits als akustische, Lofi-Versionen bevor sie um arrangiert auf dem Album landeten. Und wie bei Lady Lamb profitieren diese Songs enorm von dem längeren Entstehungsprozess, einer besseren Produktion und umfangreicheren Instrumentierungen. Aus ungeschliffenen Skizzen werden aufregende Songs, fast Hymnen.

Der Gesang dagegen ist bei Eskimeaux ganz anders. Sie hat keine große Stimme im eigentlichen Sinne, stattdessen erzählt sie mit einer nachdenklichen Art ihre Texte fast. Diese Nachdenklichkeit ist dabei ihre Stärke, sie transportiert Smiths mal traurigen, mal wütenden, mal resignierten Texte mit einer unglaublichen Melancholie. Das erinnert manchmal an Waxahatchee oder Sharon van Etten, ist aber doch ganz eigen. Die klare Produktion hilft dabei ungemein. Die Musik klingt angemessen groß, mal wie ein Rock-, mal wie  ein Folk-Album, gleichzeitig aber ist Smiths unaufdringliche Stimme auf magische Weise immer im Vordergrund und jede Zeile klar verständlich.

In einem Interview sagte Smith O.K. sei gleichzeitig inspiriert von Taylor Swift und Experimental-Noise-Musiker Xiu Xiu. Und auch wenn ihre Musik absolut nicht nach diesen beiden Musikern klingt, ist die Beschreibung dennoch hilfreich. Denn die Musik von Eskimeaux ist nur schwer greifbar, hat Hits ohne Pop zu sein oder dem üblichen Strophe-Refrain-Strophe-Schema zu folgen und immer wieder unerwartete, angenehm seltsame Wendungen.     
Lieblingslieder: I Admit, I'm Scared, The Thunder Answered Back, Pocket Full Of Posies, A Hug To Long


SOAK - Before We Forget How To Dream
"The teenage heart is an unguarded dart"

Mit gerade einmal 17 Jahren wurde Bridie Monds-Watson alias SOAK die erste Künstlerin auf dem Label von Chvrches. Stilistisch ist die Musik der Nordirin von dem Electro Pop der Schotten sehr weit entfernt, verdient hat SOAK die hohe Aufmerksamkeit und das Rampenlicht aber auf jeden Fall.

Die Songs bilden wenig überraschend die Lebenswelt eines Teenagers ab, die Texte  bleiben aber ebenso universell verständlich. Die Scheidung der Eltern, Schüchternheit oder die Ängste von Außenseitern.

Musikalisch steht Monds-Watsons Stimme klar im Mittelpunkt und die ist ein kleines Wunderwerk: Variabel und manchmal fast ätherisch und schwer greifbar, bewahrt sie sich trotzdem eine gewisse "erdige" und unmittelbare Qualität. Die unscheinbare Qualität von Soaks Stimme und Auftreten täuscht dabei zunächst über zutiefst berührende und aufwühlende Songs hinweg. Ähnlich wie bei Daughter entstanden die Songs an der Gitarre, der dann im Studio umfangreiche, aber dezente Instrumentierungen und Effekte hinzu gefügt wurden. Und wie bei Daughter verstärken diese Zusätze ein ohnehin schon emotional wuchtiges und ehrliches Album eindrucksvoll.  Es gibt keinerlei Show oder Fassade auf diesem Album, es zählt nur die Musik. Und es ist sehr begrüßenswert, dass SOAK jetzt eine so große Plattform bekommt, statt von der Masse übersehen zu werden!       

Lieblingslieder: B a noBody, Blud,  24 Windowed House, Garden, Oh Brother

Boosie Badazz - Touch Down 2 Cause Hell
"My passion ain't what it was, my faith medium-rare.
People I thought loved me it seems like they don't care."

Das fast zeitgleich erschiene, neue A$AP Rocky Album ist sicherlich das musikalisch ambitioniertere und auch das Hip Hop-Album, das diesen Monat die ganze Aufmerksamkeit erhält. Und das ist wirklich schade. Denn Rocky hat zwar ein streckenweise sehr interessantes Album veröffentlicht, es gibt aber auch Ausfälle und vor allem fehlt mir immer noch ein wenig die Persönlichkeit.
Genau das ist die Stärke von Boosie Badazz: Er hat so viel Persönlichkeit, dass Schwächen und Unzulänglichkeiten seines "Comeback"-Albums ebenso schnell vergessen sind wie sein Rap-Name. Touch Down 2 Cause Hell ist weder besonders innovativ noch konsistent - aber einfach ein unglaublicher Banger!

Das liegt vor allem an Boosie's unglaublicher Energie. Hooks oder Eingängigkeit überlässt er anderen, stattdessen rappt er durchgängig wie ein Besessener und klingt dabei wie ein fauchender Dämon. Dazu hat er einen traumwandlerischen Flow und genug Charisma für zehn Rapper. Das führt dazu, dass er sogar aus Songs, die auf einem gegenwärtigen Rap-Album dieses Kalibers etwas fehl am Platz wirken, das absolut beste heraus holt. Nach einer uneingeschränkt harten und überzeugenden Album-Hälfte sind das RnB-angehauchte Liebeslieder und Partylieder mit bescheidenen Gästen. Das klingt ein wenig nach Wünschen der Plattenfirma, aber selbst diesen Songs drückt Boosie seinen Stempel auf. Und auf den wirklich zu ihm passenden Tracks ist er einfach eine Offenbarung.

Nach einer unterbrochenen Karriere und einem langen Gefängnisaufenthalt, der nach einem Fehlurteil fast mit der Todesstrafe endete, machte Boosie Badazz vollkommen überraschend genau da weiter, wo er aufgehört hatte und übertraf sich sogar selbst noch. Statt in Nachdenklichkeit oder Pathos verwandelte der Rapper schon auf seinem exzellenten Mixtape aus dem letzten Jahr seine Erlebnisse in wütende, einschüchternde Banger. Auf dem Album ist das Ganze nun noch etwas geschliffener und noch etwas aufregender. Da kann man nur hoffen, dass er noch (wieder?) ganz groß wird.

Lieblingslieder: Intro (Get Em Boosie), Window Of My Eyes, On Deck (Feat. Young Thug), Hip Hop Hooray (Feat. Webbie), How She Got Her Name, Hands Up    

Jamie xx - In Colour
"I go to loud places, to search for someone to be quiet with."

The xx kamen 2009 gefühlt aus dem Nichts und schafften es mit ihrem fantastischen Debüt-Album binnen kürzester Zeit zu einer Omnipräsenz in der Popkultur. Es ist ein kleines Wunder, dass ihre minimalistischen und melancholischen Songs so großen Erfolg hatten und ein noch größerer, dass sie immer noch äußerst berührend sind nach der jahrelangen Dauerbeschallung überall.

Trotzdem ist es angenehm, dass xx-Produzent und Mastermind Jamie Smith seit dem zweiten Album seiner Band etwas ganz anderes macht. Schon 2011 verhalf er Gil Scott-Heron zu einem überfälligen Comeback und solo war er als gefragter DJ und Musikproduzent tätig. In Colour hat auf jeden Fall die gleiche Handschrift wie auch The xx. Smith macht aus wenigen und oft unerwarteten Elementen große Songs und vermischt Nostalgie mit etwas Unerwartetem und Neuen zu aufregenden Songs.

Der Unterschied ist, dass es auf In Colour fröhlich, oft euphorisch zu geht. Es Club-Musik zu nennen, geht vielleicht zu weit, aber die Musik ist auf jeden Fall absolut tanzbar. Selbst wenn xx-Sänger Romy Madley-Croft und Oliver Sims auf drei der Songs auftauchen, sind sie mehr (äußerst willkommene) Featured Player.

Das gesamte Album ist ein kleines Wunder. Die einzelnen Songs verwenden Einflüsse von Drum and Bass, Breakbeat, Rave, Dancehall, Garage oder Ambient und machen daraus stimmige und begeisternde Kunstwerke. Daraus ergibt sich eine Sammlung von so verschiedenen Hits, die doch irgendwie ein absolut glaubwürdiges Gesamtkunstwerk bilden. Da steht dann der poppige "Song des Sommers"-Anwärter I Know There's Gonna Be (Good Times) mit dem Rapper Young Thug neben einem sich langsam entfaltenden Stimmungsmeisterwerk wie The Rest Is Noise oder dem melancholisch-euphorischen Gefühls-Wechselbad Loud Places und es passt irgendwie einfach. Und das ganze Album ist voll mit solchen Überraschungen und macht einfach glücklich! Auch wenn der gigantische Hype um alles von und mit Jamie xx sicher übertrieben ist, funktioniert In Colour doch als vorauseilende Greatest Hits-Sammlung ebenso wie als tolles Sommeralbum.    

Lieblingslieder: Gosh, Obvs, Hold Tight, Loud Places (Feat. Romy), Girl

Florence and The Machine - 
How Big, How Blue, How Beautiful
"How do you do it? I think I'm through it. Then I'm back against the wall."

Florence Welchs größte Stärke ist mittlerweile auch oft ihre größte Schwäche. Die Rede ist natürlich von ihrer gigantischen Naturgewalt von einer Stimme, die kaum Zurückhaltung oder Nuancen zulässt. Auf ihrem nach wie vor großartigen Debüt-Album war diese Stimme aufregend und kompromisslos, wurde aber auch von abwechslungsreichem Songwriting unterstützt, das für einen wenig stimmigen Hörgenuss sorgte, dagegen aber für eine Unmenge an ganz großen Hits.

Auch der Nachfolger Ceremonials hatte große Hits, litt aber ein wenig unter  typischen Fortsetzungs-Problemen: Alles war noch bomastischer, durch produzierter - mehr Explosionen und weniger Nuancen. Auch wenn ich von Florence And The Machine keine intime Kopfmusik erwarte, führte das Album doch schnell zu Ermüdungserscheinungen.

Das wichtige dritte Album How Big, How Blue, How Beautiful kann in diesem Zusammenhang zum Glück als zurück haltend und nuancierter beschrieben werden, auch wenn diese Begriffe natürlich nur vorsichtig zu gebrauchen sind, wenn Florence Welch singt. Denn natürlich überwiegt auch hier noch der Bombast, die großen Gefühle und der Herzschmerz. Doch die Arrangements sind verspielter und Welch hat auch mal Spaß oder übt sich in effektvoller Zurückhaltung. Dadurch setzt die Ermüdung nicht so schnell ein und es fällt leichter das Album auch mal am Stück zu genießen.

Nach wie vor täuscht Welchs Stimme manchmal über das eher unspektakuläre Songwriting hinweg. Es ist eben ein Soloprojekt um ihre Stimme herum gebaut und keine wirkliche Band. Andererseits kann diese Stimme eben immer noch so einiges. Auf What Kind Of Man klingt sie wütend wie nie, während sie auf den anderen Singles Delilah und Ship To Wreck dem Bombast eine ungewöhnliche Unbeschwertheit beimischt. Insgesamt ist die Hitdichte auf How Big... beeindruckend, ohne den Hörer vollkommen zu erdrosseln. Das geht so weit, dass zwei der besten Songs sogar nur Bonus-Songs auf der Deluxe Edition sind.

Lieblingslieder: What Kind Of Man, Delilah, Third Eye, Mother, Which Witch (Bonus Track)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen