Hop Along - Painted Shut
"By the time it’s old, a face will have been seen one
and a half million times.
One million times. I don’t know why I worry, I mean maybe
she didn’t recognize me."
Frances Quinlan begann Hop Along 2004 als akustisches
Soloprojekt unter dem sperrigen Namen Hop Along, Queen Ansleis. Auch damals war
Quinlans Stimme und ihre Texte schon bemerkenswert, ihre Musik aber noch nichts
außergewöhnliches, oft ein wenig zu niedlich. Nichts ließ erahnen zu was Hop
Along nach Kürzung ihres Namens und mit Hilfe einer richtigen Band und guter
Produktion in der Lage waren. Das zeigten sie mit dem offiziellen
Band-Debüt-Album Get Disowned 2012. Es ist ein Indie oder Punk Rock-Album mit
einer Singer-Songwriter-Seele und für mich nach wie vor das beste Album dieses
Jahres bei weitem, mit einem der emotionalsten Songs aller Zeiten - oder um es
mit Mike Powell von Pitchfork zu halten: "[The Song] Tibetan Pop Stars should
be etched in titanium and shot into outer space for safekeeping." Nur
durch die Kraft ihrer Songs und dem unglaublichen Charisma von Frances Quinlan
auf der Bühne und auf Platte, erreichten Hop Along ganz ohne Unterstützung der
Medien ganz langsam immer mehr Fans, bis sie jetzt drei Jahre später ihr zweites
Album auf dem legendären Label Saddle Creek heraus bringen und überall die
lange verdienten Lobeshymnen einstreichen.
Die Erwartungshaltung war so groß, dass ich kurzzeitig
wirklich Angst hatte Painted Shut endlich zu hören. Zum Glück war die Angst
ausnahmsweise unbegründet. Hop Along haben ein wunderbares,
unverwechselbares Album aufgenommen. Nach wie vor steht Frances Quinlans im
Mittelpunkt und auch wenn es wirklich schwer fällt ihre Stimme zu beschreiben,
eine andere wie ihre gibt es definitiv nicht. Sie singt kraftvoll, aber
kratzig, oft scheint sich ihre Stimme zu überschlagen und doch hat sie die totale Kontrolle darüber. Auf jeden Fall singt Quinlan auch auf
Painted Shut jede einzelne Zeile mit maximaler Überzeugung, voller Emotion und
immer als ob ihr Leben davon abhängt. Dabei sind es nicht immer die großen,
weltbewegenden Themen über die sie singt. Stattdessen sind es vermeintlich
alltägliche Dinge, denen sie das nötige Gewicht verleiht. So handelt Waitress
etwa von einer Begegnung mit einer alten Liebe, wenn man sich gerade an einem
Tiefpunkt im Leben befindet. Powerful Man beschreibt eine Situation vor 10
Jahren in der Quinlan einem Kind, das von seinem Vater geschlagen wurde, nicht
ausreichend helfen konnte. Solche Themen sind dem Hörer nah und wenn wir
ehrlich sind, beschäftigen uns genau solche "Kleinigkeiten" und
scheinbar unbedeutende Momente im Leben auch immer wieder.
Verbunden mit dem absolut einzigartigen Gesang ist ein
Kritikpunkt an Hop Along, dass die Band ohne Quinlans Stimme nur eine
durchschnittliche Indie Rock-Band wäre. Das ist besonders auf Painted Shut
definitiv Unsinn. Die Musik ist hier vielseitiger und kitzelt damit erst eine
ebenso vielseitige Gesangsleistung aus Quinlan heraus. Von explosiven und
eingängigen Rocksongs wie Waitress und Texas Funeral bis zu überraschend
wuchtigen Folk Songs wie Well-Dressed oder Happy To See Me, gibt es viel
Abwechslung, jede Menge Experimentierfreude und trotzdem ein wunderbar
fließendes Gesamtkunstwerk. Außerdem sorgt die Instrumentierung oft für eine
Leichtigkeit und Spritzigkeit als Gegengewicht zu Quinlans explosiver,
dramatischer Stimme. Die Produktion ist dazu klarer und wunderbar
detailverliebt.
Beenden muss man eine Kritik von Hop Along aber trotzdem
immer mit Frances Quinlan. Denn auch wenn sie nicht das einzige ist, dass die
Band besonders macht, ist sie doch trotzdem eine absolute Wunderwaffe. Bemerkenswert
ist was für ein Gefühlschaos sie nur mit ihrem Gesang auslösen kann - in oft nicht
mal vier Minuten. Ihre Stimme haut um, zieht runter und dann wieder hoch. Mit
der Betonung eines Wortes löst sie Gänsehaut aus, man hört ihre Frustration,
ihre Tränen, aber auch ihr breites Grinsen durch ihre Stimme. Das macht sie
einzigartig und auch Painted Shut zu einem verdammten Meisterwerk.
Lieblingslieder: Horseshoe Crabs, Waitress, Happy To See Me,
Powerful Man, I Saw My Twin
Eskimeaux - O.K.
"While you were breaking your neck trying to keep your
head up
I was breaking my neck just to stick it out for you."
I was breaking my neck just to stick it out for you."
Der Bandname, das gestickte Albumcover und Begriffe wie DIY
und Bedroom Music schrecken erst mal ab und wecken Erwartungen, die sich schon
nach den ersten Höreindrücken als vollkommen falsch erweisen. O.K. ist ein
großes, beeindruckend produziertes Album mit vielen, wirklich berührenden und
aufwühlenden Momenten.
Die Entstehung von O.K. erinnert in mehrfacher Hinsicht an
das Debütalbum von Lady Lamb. Wie bei
Aly Spaltro existierten auch bei Gabrielle Smith aka Eskimeaux viele der
Songs bereits als akustische, Lofi-Versionen bevor sie um arrangiert auf dem
Album landeten. Und wie bei Lady Lamb profitieren diese Songs enorm von dem
längeren Entstehungsprozess, einer besseren Produktion und umfangreicheren
Instrumentierungen. Aus ungeschliffenen Skizzen werden aufregende Songs, fast
Hymnen.
Der Gesang dagegen ist bei Eskimeaux ganz anders. Sie hat
keine große Stimme im eigentlichen Sinne, stattdessen erzählt sie mit einer nachdenklichen Art ihre Texte
fast. Diese Nachdenklichkeit ist dabei ihre
Stärke, sie transportiert Smiths mal traurigen, mal wütenden, mal resignierten
Texte mit einer unglaublichen Melancholie. Das erinnert manchmal an Waxahatchee
oder Sharon van Etten, ist aber doch ganz eigen. Die klare Produktion hilft
dabei ungemein. Die Musik klingt angemessen groß, mal wie ein Rock-, mal wie ein Folk-Album, gleichzeitig aber ist Smiths unaufdringliche Stimme auf
magische Weise immer im Vordergrund und jede Zeile klar verständlich.
In einem Interview sagte Smith O.K. sei gleichzeitig
inspiriert von Taylor Swift und Experimental-Noise-Musiker Xiu Xiu. Und auch
wenn ihre Musik absolut nicht nach diesen beiden Musikern klingt, ist die
Beschreibung dennoch hilfreich. Denn die Musik von Eskimeaux ist nur schwer
greifbar, hat Hits ohne Pop zu sein oder dem üblichen
Strophe-Refrain-Strophe-Schema zu folgen und immer wieder unerwartete, angenehm seltsame Wendungen.
Lieblingslieder: I Admit, I'm Scared, The Thunder Answered
Back, Pocket Full Of Posies, A Hug To Long
SOAK - Before We Forget How To Dream
"The teenage heart is an unguarded
dart"
Mit gerade einmal 17 Jahren wurde Bridie Monds-Watson alias
SOAK die erste Künstlerin auf dem Label von Chvrches. Stilistisch ist die Musik
der Nordirin von dem Electro Pop der Schotten sehr weit entfernt, verdient hat
SOAK die hohe Aufmerksamkeit und das Rampenlicht aber auf jeden Fall.
Die Songs bilden wenig überraschend die Lebenswelt eines
Teenagers ab, die Texte bleiben aber
ebenso universell verständlich. Die Scheidung der Eltern, Schüchternheit oder
die Ängste von Außenseitern.
Musikalisch steht Monds-Watsons Stimme klar im Mittelpunkt
und die ist ein kleines Wunderwerk: Variabel und manchmal fast ätherisch und
schwer greifbar, bewahrt sie sich trotzdem eine gewisse "erdige" und
unmittelbare Qualität. Die unscheinbare Qualität von Soaks Stimme und Auftreten
täuscht dabei zunächst über zutiefst berührende und aufwühlende Songs hinweg.
Ähnlich wie bei Daughter entstanden die Songs an der Gitarre, der dann im
Studio umfangreiche, aber dezente Instrumentierungen und Effekte hinzu gefügt
wurden. Und wie bei Daughter verstärken diese Zusätze ein ohnehin schon
emotional wuchtiges und ehrliches Album eindrucksvoll. Es gibt keinerlei Show oder Fassade auf diesem
Album, es zählt nur die Musik. Und es ist sehr begrüßenswert, dass SOAK jetzt
eine so große Plattform bekommt, statt von der Masse übersehen zu werden!
Lieblingslieder: B a noBody, Blud, 24 Windowed House, Garden, Oh
Brother
Boosie Badazz - Touch Down 2 Cause Hell
"My passion ain't what it was, my faith medium-rare.
People I thought loved me it seems like they don't care."
People I thought loved me it seems like they don't care."
Das fast zeitgleich erschiene, neue A$AP Rocky Album ist
sicherlich das musikalisch ambitioniertere und auch das Hip Hop-Album, das diesen
Monat die ganze Aufmerksamkeit erhält. Und das ist wirklich schade. Denn Rocky
hat zwar ein streckenweise sehr interessantes Album veröffentlicht,
es gibt aber auch Ausfälle und vor allem fehlt mir immer noch ein wenig
die Persönlichkeit.
Genau das ist die Stärke von Boosie Badazz: Er hat so viel
Persönlichkeit, dass Schwächen und Unzulänglichkeiten seines
"Comeback"-Albums ebenso schnell vergessen sind wie sein Rap-Name. Touch Down 2 Cause Hell ist
weder besonders innovativ noch konsistent - aber einfach ein unglaublicher
Banger!
Das liegt vor allem an Boosie's unglaublicher Energie. Hooks
oder Eingängigkeit überlässt er anderen, stattdessen rappt er durchgängig wie
ein Besessener und klingt dabei wie ein fauchender Dämon. Dazu hat er einen traumwandlerischen Flow und
genug Charisma für zehn Rapper. Das führt dazu, dass er sogar aus Songs, die auf
einem gegenwärtigen Rap-Album dieses Kalibers etwas fehl am Platz wirken, das absolut beste heraus holt. Nach
einer uneingeschränkt harten und überzeugenden Album-Hälfte sind das
RnB-angehauchte Liebeslieder und Partylieder mit bescheidenen Gästen. Das
klingt ein wenig nach Wünschen der Plattenfirma, aber selbst diesen Songs drückt Boosie seinen Stempel auf. Und auf den wirklich zu ihm passenden Tracks ist
er einfach eine Offenbarung.
Nach einer unterbrochenen Karriere und einem langen
Gefängnisaufenthalt, der nach einem Fehlurteil fast mit der Todesstrafe endete,
machte Boosie Badazz vollkommen überraschend genau da weiter, wo er aufgehört
hatte und übertraf sich sogar selbst noch. Statt in Nachdenklichkeit oder
Pathos verwandelte der Rapper schon auf seinem exzellenten Mixtape aus dem
letzten Jahr seine Erlebnisse in wütende, einschüchternde Banger. Auf dem Album
ist das Ganze nun noch etwas geschliffener und noch etwas aufregender. Da kann man nur hoffen, dass er noch (wieder?) ganz groß wird.
Lieblingslieder: Intro (Get Em Boosie), Window Of My Eyes, On
Deck (Feat. Young Thug), Hip Hop Hooray (Feat. Webbie), How She Got Her Name,
Hands Up
Jamie xx - In Colour
"I go to loud places, to search for someone to be quiet
with."
The xx kamen 2009 gefühlt aus dem Nichts und schafften es
mit ihrem fantastischen Debüt-Album binnen kürzester Zeit zu einer Omnipräsenz
in der Popkultur. Es ist ein kleines Wunder, dass ihre minimalistischen und
melancholischen Songs so großen Erfolg hatten und ein noch größerer, dass sie
immer noch äußerst berührend sind nach der jahrelangen Dauerbeschallung
überall.
Trotzdem ist es angenehm, dass xx-Produzent und Mastermind
Jamie Smith seit dem zweiten Album seiner Band etwas ganz anderes macht. Schon
2011 verhalf er Gil Scott-Heron zu einem überfälligen Comeback und solo war er
als gefragter DJ und Musikproduzent tätig. In Colour hat auf jeden Fall die
gleiche Handschrift wie auch The xx. Smith macht aus wenigen und oft
unerwarteten Elementen große Songs und vermischt Nostalgie mit etwas
Unerwartetem und Neuen zu aufregenden Songs.
Der Unterschied ist, dass es auf In Colour fröhlich, oft
euphorisch zu geht. Es Club-Musik zu nennen, geht vielleicht zu weit, aber die
Musik ist auf jeden Fall absolut tanzbar. Selbst wenn xx-Sänger Romy
Madley-Croft und Oliver Sims auf drei der Songs auftauchen, sind sie mehr (äußerst willkommene) Featured Player.
Das gesamte Album ist ein kleines Wunder. Die einzelnen
Songs verwenden Einflüsse von Drum and Bass, Breakbeat, Rave, Dancehall, Garage oder Ambient und machen daraus stimmige und begeisternde Kunstwerke.
Daraus ergibt sich eine Sammlung von so verschiedenen Hits, die doch irgendwie
ein absolut glaubwürdiges Gesamtkunstwerk bilden. Da steht dann der poppige
"Song des Sommers"-Anwärter I Know There's Gonna Be (Good Times) mit
dem Rapper Young Thug neben einem sich langsam entfaltenden
Stimmungsmeisterwerk wie The Rest Is Noise oder dem melancholisch-euphorischen Gefühls-Wechselbad Loud Places und es passt irgendwie einfach. Und
das ganze Album ist voll mit solchen Überraschungen und macht einfach
glücklich! Auch wenn der gigantische Hype um alles von und mit Jamie xx sicher übertrieben ist, funktioniert In Colour doch als vorauseilende Greatest Hits-Sammlung ebenso wie als tolles Sommeralbum.
Lieblingslieder: Gosh, Obvs, Hold Tight, Loud Places (Feat.
Romy), Girl
Florence and The Machine -
How Big, How Blue, How Beautiful
How Big, How Blue, How Beautiful
"How do you do it? I think I'm through it. Then I'm
back against the wall."
Florence Welchs größte Stärke ist mittlerweile auch oft ihre
größte Schwäche. Die Rede ist natürlich von ihrer gigantischen
Naturgewalt von einer Stimme, die kaum Zurückhaltung oder Nuancen zulässt. Auf
ihrem nach wie vor großartigen Debüt-Album war diese Stimme aufregend und
kompromisslos, wurde aber auch von abwechslungsreichem Songwriting unterstützt,
das für einen wenig stimmigen Hörgenuss sorgte, dagegen aber für eine Unmenge an
ganz großen Hits.
Auch der Nachfolger Ceremonials hatte große Hits, litt aber
ein wenig unter typischen Fortsetzungs-Problemen: Alles war noch
bomastischer, durch produzierter - mehr Explosionen und weniger Nuancen. Auch
wenn ich von Florence And The Machine keine intime Kopfmusik erwarte, führte das
Album doch schnell zu Ermüdungserscheinungen.
Das wichtige dritte Album How Big, How Blue, How Beautiful
kann in diesem Zusammenhang zum Glück als zurück haltend und nuancierter
beschrieben werden, auch wenn diese Begriffe natürlich nur vorsichtig zu
gebrauchen sind, wenn Florence Welch singt. Denn natürlich überwiegt auch hier
noch der Bombast, die großen Gefühle und der Herzschmerz. Doch die Arrangements
sind verspielter und Welch hat auch mal Spaß oder übt sich in effektvoller
Zurückhaltung. Dadurch setzt die Ermüdung nicht so schnell ein und es fällt
leichter das Album auch mal am Stück zu genießen.
Nach wie vor täuscht Welchs Stimme manchmal über das eher
unspektakuläre Songwriting hinweg. Es ist eben ein Soloprojekt um ihre Stimme
herum gebaut und keine wirkliche Band. Andererseits kann diese Stimme eben
immer noch so einiges. Auf What Kind Of Man klingt sie wütend wie nie, während
sie auf den anderen Singles Delilah und Ship To Wreck dem Bombast eine
ungewöhnliche Unbeschwertheit beimischt. Insgesamt ist die Hitdichte auf How
Big... beeindruckend, ohne den Hörer vollkommen zu erdrosseln. Das geht so
weit, dass zwei der besten Songs sogar nur Bonus-Songs auf der Deluxe Edition
sind.
Lieblingslieder: What Kind Of Man, Delilah, Third Eye, Mother, Which Witch (Bonus Track)
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