Alben:
Billy Woods - Today, I Wrote Nothing
"Heart to heart with old friend, like we gotta start hanging out again.
Look how quickly it all ends..."
Der Titel Today, I Wrote Nothing klingt schon etwas absurd
für ein Album mit 24 Songs, das vor Kreativität fast zu bersten scheint. Nach
zwei gefeierten Alben, die bereits sehr unterschiedlich waren, entwirft Billy
Woods hier eine Art Kurzgeschichten- und Vignetten-Sammlung in Rapform.
Sowohl sein langsamer Flow als auch seine dichten,
vielschichtigen Texte machen diesen Ansatz äußerst erfolgreich, mit einer
Trefferquote, von der andere Rapper nur träumen können.
Alle Befürchtungen, die ich vor dem ersten Hören hatte,
verflüchtigten sich äußerst schnell. Die schiere Anzahl der Songs sorgt zwar
erst mal für leichte Überforderung, aber mit zunehmenden Hördurchgängen gibt es
bei jedem Song etwas zu entdecken. Es gibt keinerlei Füllmaterial, keine
überflüssigen Skits und selbst die kürzesten Tracks sind interessant und
durchdacht. Zwar bleibt oft nur genug Zeit für einen Verse und gelegentlich so
etwas wie einen Hook, trotzdem erscheinen die Songs zu keiner Zeit unfertig
oder lieblos. Today, I Wrote Nothing ist keine Resteverwertung, sondern im
Gegensatz dazu eine Sammlung von fantastischen Rapsongs, die auf das
wesentliche reduziert und verdichtet wurden.
Die Produktion des Albums ist vielseitig und passt sich den
Themen an, die von humorvollen Alltagserzählungen bis Auseinandersetzungen über
Leben und Tod alles abdecken. Oft sind es einfache Ideen wie ein hypnotisches
Saxophon-Loop oder aber Film-Snippets, effektive Scratchings oder ungewöhnliche
Samples, die Woods einzigartige Reimkünste perfekt umschmeicheln ohne die
Aufmerksamkeit zu sehr ab zu lenken. Denn diese Stimme ist es, die diese so
ausschweifende Sammlung zu jeder Zeit zusammen hält und zu einem durchgängig
stimmigen Hörerlebnis macht.
Lieblingslieder: Big Nothing, U-Boats (Feat. Elucid),
Warmachines, Bicycles (Feat. Henry Canyons), Borrowed Time
HVOB - Trialog
"...You kept eyes on me, I kept eyes on you..."
Auf dem ohnehin für musikalische Entdeckungen idealen Phono
Pop Festival waren HVOB 2013 wohl die tollste Entdeckung für mich. Die zwei Produzenten
aus Wien nutzten ihr Alleinstellungsmerkmal als elektronischer Akt auf dem
Festival für ein euphorisches, hypnotisches Konzert vor begeistertem Publikum. Auch
auf Platte setzen sie ihr ebenso einfaches wie unvergleichlich umgesetztes
Konzept mühelos um. Die Musik ist eigentlich irgendwo zwischen Deep House und
Minimal Techno anzusetzen, hat jedoch viel Raum für warmen Gesang und
Popsensibilitäten. Den Mittelpunkt dabei bildet auch HVOBs zweiten Album die
wunderbare Stimme von Anna Müller. Sie klingt äußerst melancholisch, ohne dabei
die Songs ihn düstere Gefilde zu ziehen. Es ist schwer zu beschreiben, wie sich
diese Mischung aus emotionaler Wucht und tanzbarer Leichtigkeit anhört, die
Wirkung auf den Hörer ist jedoch unmittelbar und hebt sich erfreulich ab von
dem Klischee der kühlen elektronischen Musik, ebenso wie von der
Substanzlosigkeit vieler Electro Pop-Bands.
Im Gegensatz zum Vorgängeralbum ist Trialog eine
Zusammenarbeit mit Visual Artists und sicher noch mehr auf die Live-Darbietung zugeschnitten.
Es gibt auch noch weniger "Pop"-Momente und eine stärkere
Konzentration auf die Beschaffenheit und den Aufbau der Songs. Trotzdem
entfalten alle Songs aus scheinbar einfachen, repetitiven Elementen eine
Klangwelt, die bei weitem gewaltiger ist als die Summe ihrer Teile. Das sorgt
für ein noch umfassendes Hörerlebnis, das in seiner Resonanz, nicht nur in der
elektronischen Musik, ihres gleichen sucht: Meditativ und doch immer belebend
und anregend.
Lieblingslieder: Window, Oxid, Ghost, Turn a Rope Round Its
Axis
Brown Bird - Axis Mundi
"You're a huntress and a healer and a holder of hands.
And your heart is the Avalon that i seek for my end."
David Lamb und MorganEve Swain lernten sich 2008 auf Tournee
kennen und Lamb lud Swain bald ein in seiner Band Brown Bird zu spielen. Ab
2010 war diese Band nur noch ein Duo und die beiden ein Paar. Die akustische
Folk-Musik von Brown Bird wurde langsam größer und kulminiert jetzt im rockigen,
triumphalen Axis Mundi, das leider die letzte gemeinsame Musik des Paares
bleiben wird. David Lamb starb 2014 im Alter von gerade 34 Jahren an den Folgen einer Leukämie-Erkrankung. MorganEve Swain vollendete danach
das bereits weit fortgeschrittene Album mit Hilfe ihres Bruders und eines befreundeten Musikers.
Vor diesem Hintergrund erwartet man ein trauriges und vielleicht düsteres Album, auch weil viele Songs nach Lambs Diagnose und einer Knochenmarkspende aus dem Krankenbett geschrieben wurden. Doch auch wenn das Album natürlich die Krankheit thematisiert, ist Axis Mundi größtenteils ein kraftvolles, positives und überaus energetisches Album. Es ist die Musik von zwei sich liebenden Menschen, die davon überzeugt waren den Krebs zu besiegen und bereits ihr weiteres Leben danach planten.
Im Kern sind auf Axis Mundi Folk-Songs zu hören in dessen Mittelpunkt Lambs kernige, kraftvolle Stimme und Swains schöner Harmoniegesang stehen. Doch darum errichten die beiden einen, trotz der verschiedenen Einflüsse, stimmigen Mikrokosmos. Schlagzeug und E-Gitarre sind dabei prominent und machen viele der Songs rockig. Gleichzeitig ist jedoch Raum für Cello, orientalische Einflüsse und vielseitige Inspirationen aus der amerikanischen Musikgeschichte. So werden geradlinige Rock- und Folksongs mit einer besonderen Note versehen, überraschender Melodien oder ungewöhnlichen Instrumentierungen. Vor allem aber bereichern die beiden Musiker die Songs nicht nur mit jede Menge Herzblut, sondern auch ihrer tollen Chemie zueinander.
Letzteres wird besonders bei den letzten Songs des Albums ersichtlich, die ebenso
schmerzhaft wie wunderschön sind. In Tortured Boy übernimmt Swain erstmals den
alleinigen Gesang und beschreibt Lamb am Anfang ihrer Beziehung. Avalon danach
ist eine kurze und akustische Liebeserklärung, die Lamb kurz vor seinem Tod aus
dem Krankenbett für Swain schrieb. Das sie daraus offenbar nicht nur die Kraft
fand das Album so vollenden, sondern auch den Namen für ihr Soloprojekt zog,
macht das Ganze noch bedeutender und schöner. Axis Mundi bleibt somit kein
Abschieds- oder Traueralbum, sondern ein Statement einer Band auf der Höhe
ihrer kreativen Kraft.
Lieblingslieder: Focus, Adolescence, Blood From The Tree, Pale And Paralyzed, Novelty Of Thought, Tortured Boy, Avalon
Tyler, The Creator - Cherry Bomb
"Named the album Cherry Bomb because Greatest Hits sounded boring"
Das Zeitalter der von langer Hand geplanten Releases und
weit im Voraus bekannter Erscheinungsdaten scheint dieses Jahr endgültig am
Ende zu sein. Auch Tyler, The Creator brachte sein neues Album ohne große
Vorankündigung heraus. Die Reaktionen kamen schnell und waren äußerst lauwarm. Wo
andere Überraschungs-Alben oft vorschnell in den Himmel gelobt werden, war bei
Cherry Bomb die oft vernichtende Kritik ebenso schnell zur Hand, auch bei mir.
Doch gleichzeitig ließ mich dieses bestenfalls sehr
vielseitige und schlimmstenfalls äußerst durchwachsene und schizophrene Album
nicht mehr los. Hardcore-Hip Hop-Songs und gewohnt provokante, manchmal
kindische Texte folgen auf smoothe RnB-Lieder und Death Grips-artige Produktion
wird abgelöst von eindeutiger N.E.R.D.-Verehrung. Das führt beim Hören schnell
zu Schleudertrauma, da es keinerlei roten Faden gibt und eben auch Songs, die
einfach die ganze Energie aus dem Albumfluss nehmen. So ist der Titelsong fast
unhörbar und dazu noch umgeben von sanften Songs, die einfach nicht zum Rest
passen und von anderen Künstlern bereits deutlich besser gemacht wurden. Doch
es gibt eben gleichzeitig genug gute bis geniale Momente für mindestens zwei
EP's hier. Opener Death Camp klingt fast wie ein N.E.R.D.-Cover, macht aber
viel Spaß und bildet den Einstieg in die stärkste Songfolge des Albums. Fucking
Young vereint Tylers seltsamen Humor mit RnB-Befindlichkeiten und irgendwie
funktioniert das auch noch. Und auf Smuckers gibt es mit Features von Kanye
West und Lil Wayne gleich zwei der größten Rapper zur Zeit in unterhaltsamer Topform.
Insgesamt gibt es hier einiges zum auspacken und mit etwas Wirkungszeit
zumindest für mich mehr gute Ideen als auf den bisherigen Tyler, The
Creator-Alben.
Lieblingslieder: Deathcamp, Pilot, The Brown Stains Of
Darkeese Latifah Part 6-12 (Remix), Fucking Young / Perfect, Smuckers, Keep Da
O's
Marriages - Salome
"Show me love less than. Show me love"
Zwei der drei Mitglieder von Marriages waren auch Teil der
fantastischen Post-Rock-Band Red Sparowes, jedoch als die Band und auch das
zugehörige Genre den Zenit bereits überschritten hatten. Die DNA ihrer
ehemaligen Band ist nach wie vor erkennbar, aber drei Jahre nach ihrer ersten
EP haben sich Marriages zu einer eigenständigen und spannenden Rockband
entwickelt.
Wo die EP Kitsune noch eine Mischung aus Post-Rock, Shoe
Gaze und Indie Rock-Elementen war, ist Salome mehr ein kunstvolles Rockalbum
mit Spuren von Post-Rock und auch ein wenig Metal. Die Songs schrauben den
experimentellen Charakter etwas zurück und stellen dafür die bisherige
Geheimwaffe ins Rampenlicht - Den Gesang von Gitarristin Emma Ruth Rundle. Ihre
große, dramatische Stimme bekommt hier den Platz ganz vorne im Mix, den sie
auch verdient. So wird sie nicht vernachlässigt, sondern nimmt ihren
rechtmäßigen Platz ein um den bombastischen, oft überwältigenden Sound von Marriages abzurunden. Dieser
ausufernde Bombast wird immer wieder beeindruckend in Bahnen gelenkt, die tolle
Rocksongs erzeugen. Die Weiterentwicklung von Post-Rock ist hier Rockmusik mit
den Mitteln des Post-Rocks.
Lieblingslieder: Skin, Southern Eye, Salome, Less Than
Songs:
Inner Tongue - Fallen Empire: Vor allem die Stimme, aber
auch die Melodien dieses Songs des mysteriösen Inner Togue-Projekts erinnern
stark an The Notwist. Doch statt der Verschrobenheit der Vorbilder gibt es hier melancholischen
Pop mit zarten elektronischen Anspielungen und ganz großen Melodien.
Soap&Skin - Mawal Jamar: Anja Plaschg ist eine Meisterin
darin Cover-Versionen ganz neues Leben einzuhauchen. Hier covert sie den
legendären syrischen Musiker Omar Souleyman, der jüngst auch im Westen
Bekanntheit erlangte. Plaschg verlangsamt den Song, nimmt ihm ein wenig die
Tanzbarkeit, bewahrt aber die hypnotische Kraft des Songs und seine Dramatik. Ihr
arabisch ist für Muttersprachler vermutlich unverständlich und ihr Akzent ist
wie immer deutlich zu hören, doch die unglaubliche Wucht und transportierte
Emotion von Stimme und Musik machen das Ganze dennoch zu einem überwältigenden
Hörerlebnis.
Crystal Castles - Frail: Ein Jahr nach dem Abgang von
Sängerin Alice Glass und dem vermeintlichen Ende der Band, veröffentlicht das
verbleibende Mitglied Ethan Kath einen neuen Song...der nicht wirklich anders
klingt als die letzte Musik, aber trotzdem ziemlich großartig ist. Leider wurde
die Veröffentlichung überschattet von Kaths passiv-aggressiven Äußerungen
gegenüber Glass und ihrer Reaktion dazu. Da kann man nur hoffen, dass es bald
mehr Musik und weniger Drama gibt.
Brand New - Mene: Ganze sechs Jahre nach dem letzten Album
und neun Jahre nach ihrem Meisterwerk, gibt es endlich wieder ein Lebenszeichen
der sich ewig wandelnden Band aus New York. Mene bewahrt die Rotzigkeit und Wut
von Brand News letztem Album und verbindet das mit der Eingängigkeit und Wucht
ihres vorherigen Schaffens. Das lässt schon mal das Fanherz höher schlagen und
vorsichtig hoffen...
Braids - Miniskirt: Miniskirt ist ein Highlight auf
Braids überraschend großartigem dritten Album. Der Song ist gleichzeitig
feministische Hymne, kraftvolle Power-Ballade und funkelnder Electro-Pop-Song. Neben
Raphaelle Standell-Prestons fantastischer Stimme erregt hier vor allem ihr
wütender und mutiger Text Aufmerksamkeit und Gänsehaut.
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