Sonntag, 3. Mai 2015

Alben und Songs des Monats - April

Auch im April setzte das Musikjahr 2015 seinen Siegeszug fort. So viel Gutes gab es, dass für die neuen Alben von Waxahatchee und Sophie Hunger nicht genug Zeit war. Diese entpuppen sich nach etwas Eingewöhnungszeit als ambitionierteste und ausgereifteste Alben der Künstlerinnen...  


Alben: 
Billy Woods - Today, I Wrote Nothing
 "Heart to heart with old friend, like we gotta start hanging out again. 
Look how quickly it all ends..."

Der Titel Today, I Wrote Nothing klingt schon etwas absurd für ein Album mit 24 Songs, das vor Kreativität fast zu bersten scheint. Nach zwei gefeierten Alben, die bereits sehr unterschiedlich waren, entwirft Billy Woods hier eine Art Kurzgeschichten- und Vignetten-Sammlung in Rapform.
Sowohl sein langsamer Flow als auch seine dichten, vielschichtigen Texte machen diesen Ansatz äußerst erfolgreich, mit einer Trefferquote, von der andere Rapper nur träumen können.

Alle Befürchtungen, die ich vor dem ersten Hören hatte, verflüchtigten sich äußerst schnell. Die schiere Anzahl der Songs sorgt zwar erst mal für leichte Überforderung, aber mit zunehmenden Hördurchgängen gibt es bei jedem Song etwas zu entdecken. Es gibt keinerlei Füllmaterial, keine überflüssigen Skits und selbst die kürzesten Tracks sind interessant und durchdacht. Zwar bleibt oft nur genug Zeit für einen Verse und gelegentlich so etwas wie einen Hook, trotzdem erscheinen die Songs zu keiner Zeit unfertig oder lieblos. Today, I Wrote Nothing ist keine Resteverwertung, sondern im Gegensatz dazu eine Sammlung von fantastischen Rapsongs, die auf das wesentliche reduziert und verdichtet wurden.

Die Produktion des Albums ist vielseitig und passt sich den Themen an, die von humorvollen Alltagserzählungen bis Auseinandersetzungen über Leben und Tod alles abdecken. Oft sind es einfache Ideen wie ein hypnotisches Saxophon-Loop oder aber Film-Snippets, effektive Scratchings oder ungewöhnliche Samples, die Woods einzigartige Reimkünste perfekt umschmeicheln ohne die Aufmerksamkeit zu sehr ab zu lenken. Denn diese Stimme ist es, die diese so ausschweifende Sammlung zu jeder Zeit zusammen hält und zu einem durchgängig stimmigen Hörerlebnis macht.  

Lieblingslieder: Big Nothing, U-Boats (Feat. Elucid), Warmachines, Bicycles (Feat. Henry Canyons), Borrowed Time

HVOB - Trialog
"...You kept eyes on me, I kept eyes on you..." 

Auf dem ohnehin für musikalische Entdeckungen idealen Phono Pop Festival waren HVOB 2013 wohl die tollste Entdeckung für mich. Die zwei Produzenten aus Wien nutzten ihr Alleinstellungsmerkmal als elektronischer Akt auf dem Festival für ein euphorisches, hypnotisches Konzert vor begeistertem Publikum. Auch auf Platte setzen sie ihr ebenso einfaches wie unvergleichlich umgesetztes Konzept mühelos um. Die Musik ist eigentlich irgendwo zwischen Deep House und Minimal Techno anzusetzen, hat jedoch viel Raum für warmen Gesang und Popsensibilitäten. Den Mittelpunkt dabei bildet auch HVOBs zweiten Album die wunderbare Stimme von Anna Müller. Sie klingt äußerst melancholisch, ohne dabei die Songs ihn düstere Gefilde zu ziehen. Es ist schwer zu beschreiben, wie sich diese Mischung aus emotionaler Wucht und tanzbarer Leichtigkeit anhört, die Wirkung auf den Hörer ist jedoch unmittelbar und hebt sich erfreulich ab von dem Klischee der kühlen elektronischen Musik, ebenso wie von der Substanzlosigkeit vieler Electro Pop-Bands.   

Im Gegensatz zum Vorgängeralbum ist Trialog eine Zusammenarbeit mit Visual Artists und sicher noch mehr auf die Live-Darbietung zugeschnitten. Es gibt auch noch weniger "Pop"-Momente und eine stärkere Konzentration auf die Beschaffenheit und den Aufbau der Songs. Trotzdem entfalten alle Songs aus scheinbar einfachen, repetitiven Elementen eine Klangwelt, die bei weitem gewaltiger ist als die Summe ihrer Teile. Das sorgt für ein noch umfassendes Hörerlebnis, das in seiner Resonanz, nicht nur in der elektronischen Musik, ihres gleichen sucht: Meditativ und doch immer belebend und anregend.

Lieblingslieder: Window, Oxid, Ghost, Turn a Rope Round Its Axis  


Brown Bird - Axis Mundi
"You're a huntress and a healer and a holder of hands. 
And your heart is the Avalon that i seek for my end."

David Lamb und MorganEve Swain lernten sich 2008 auf Tournee kennen und Lamb lud Swain bald ein in seiner Band Brown Bird zu spielen. Ab 2010 war diese Band nur noch ein Duo und die beiden ein Paar. Die akustische Folk-Musik von Brown Bird wurde langsam größer und kulminiert jetzt im rockigen, triumphalen Axis Mundi, das leider die letzte gemeinsame Musik des Paares bleiben wird. David Lamb starb 2014 im Alter von gerade 34 Jahren an den Folgen einer Leukämie-Erkrankung. MorganEve Swain vollendete danach das bereits weit fortgeschrittene Album mit Hilfe ihres Bruders und eines befreundeten Musikers.

Vor diesem Hintergrund erwartet man ein trauriges und vielleicht düsteres Album, auch weil viele Songs nach Lambs Diagnose und einer Knochenmarkspende aus dem Krankenbett geschrieben wurden. Doch auch wenn das Album natürlich die Krankheit thematisiert, ist Axis Mundi größtenteils ein kraftvolles, positives und überaus energetisches Album. Es ist die Musik von zwei sich liebenden Menschen, die davon überzeugt waren den Krebs zu besiegen und bereits ihr weiteres Leben danach planten.

Im Kern sind auf Axis Mundi Folk-Songs zu hören in dessen Mittelpunkt Lambs kernige, kraftvolle Stimme und Swains schöner Harmoniegesang stehen. Doch darum errichten die beiden einen, trotz der verschiedenen Einflüsse, stimmigen Mikrokosmos. Schlagzeug und E-Gitarre sind dabei prominent und machen viele der Songs rockig. Gleichzeitig ist jedoch Raum für Cello, orientalische Einflüsse und vielseitige Inspirationen aus der amerikanischen Musikgeschichte. So werden geradlinige Rock- und Folksongs mit einer besonderen Note versehen, überraschender Melodien oder ungewöhnlichen Instrumentierungen. Vor allem aber bereichern die beiden Musiker die Songs nicht nur mit jede Menge Herzblut, sondern auch ihrer tollen Chemie zueinander. 

Letzteres wird besonders bei den letzten Songs des Albums ersichtlich, die ebenso schmerzhaft wie wunderschön sind. In Tortured Boy übernimmt Swain erstmals den alleinigen Gesang und beschreibt Lamb am Anfang ihrer Beziehung. Avalon danach ist eine kurze und akustische Liebeserklärung, die Lamb kurz vor seinem Tod aus dem Krankenbett für Swain schrieb. Das sie daraus offenbar nicht nur die Kraft fand das Album so vollenden, sondern auch den Namen für ihr Soloprojekt zog, macht das Ganze noch bedeutender und schöner. Axis Mundi bleibt somit kein Abschieds- oder Traueralbum, sondern ein Statement einer Band auf der Höhe ihrer kreativen Kraft.

Lieblingslieder: Focus, Adolescence, Blood From The Tree, Pale And Paralyzed, Novelty Of Thought, Tortured Boy, Avalon   
 
Tyler, The Creator - Cherry Bomb
"Named the album Cherry Bomb because Greatest Hits sounded boring" 

Das Zeitalter der von langer Hand geplanten Releases und weit im Voraus bekannter Erscheinungsdaten scheint dieses Jahr endgültig am Ende zu sein. Auch Tyler, The Creator brachte sein neues Album ohne große Vorankündigung heraus. Die Reaktionen kamen schnell und waren äußerst lauwarm. Wo andere Überraschungs-Alben oft vorschnell in den Himmel gelobt werden, war bei Cherry Bomb die oft vernichtende Kritik ebenso schnell zur Hand, auch bei mir.

Doch gleichzeitig ließ mich dieses bestenfalls sehr vielseitige und schlimmstenfalls äußerst durchwachsene und schizophrene Album nicht mehr los. Hardcore-Hip Hop-Songs und gewohnt provokante, manchmal kindische Texte folgen auf smoothe RnB-Lieder und Death Grips-artige Produktion wird abgelöst von eindeutiger N.E.R.D.-Verehrung. Das führt beim Hören schnell zu Schleudertrauma, da es keinerlei roten Faden gibt und eben auch Songs, die einfach die ganze Energie aus dem Albumfluss nehmen. So ist der Titelsong fast unhörbar und dazu noch umgeben von sanften Songs, die einfach nicht zum Rest passen und von anderen Künstlern bereits deutlich besser gemacht wurden. Doch es gibt eben gleichzeitig genug gute bis geniale Momente für mindestens zwei EP's hier. Opener Death Camp klingt fast wie ein N.E.R.D.-Cover, macht aber viel Spaß und bildet den Einstieg in die stärkste Songfolge des Albums. Fucking Young vereint Tylers seltsamen Humor mit RnB-Befindlichkeiten und irgendwie funktioniert das auch noch. Und auf Smuckers gibt es mit Features von Kanye West und Lil Wayne gleich zwei der größten Rapper zur Zeit in unterhaltsamer Topform. Insgesamt gibt es hier einiges zum auspacken und mit etwas Wirkungszeit zumindest für mich mehr gute Ideen als auf den bisherigen Tyler, The Creator-Alben.

Lieblingslieder: Deathcamp, Pilot, The Brown Stains Of Darkeese Latifah Part 6-12 (Remix), Fucking Young / Perfect, Smuckers, Keep Da O's 

Marriages - Salome
 "Show me love less than. Show me love"

Zwei der drei Mitglieder von Marriages waren auch Teil der fantastischen Post-Rock-Band Red Sparowes, jedoch als die Band und auch das zugehörige Genre den Zenit bereits überschritten hatten. Die DNA ihrer ehemaligen Band ist nach wie vor erkennbar, aber drei Jahre nach ihrer ersten EP haben sich Marriages zu einer eigenständigen und spannenden Rockband entwickelt.

Wo die EP Kitsune noch eine Mischung aus Post-Rock, Shoe Gaze und Indie Rock-Elementen war, ist Salome mehr ein kunstvolles Rockalbum mit Spuren von Post-Rock und auch ein wenig Metal. Die Songs schrauben den experimentellen Charakter etwas zurück und stellen dafür die bisherige Geheimwaffe ins Rampenlicht - Den Gesang von Gitarristin Emma Ruth Rundle. Ihre große, dramatische Stimme bekommt hier den Platz ganz vorne im Mix, den sie auch verdient. So wird sie nicht vernachlässigt, sondern nimmt ihren rechtmäßigen Platz ein um den bombastischen, oft überwältigenden Sound von Marriages abzurunden. Dieser ausufernde Bombast wird immer wieder beeindruckend in Bahnen gelenkt, die tolle Rocksongs erzeugen. Die Weiterentwicklung von Post-Rock ist hier Rockmusik mit den Mitteln des Post-Rocks.

Lieblingslieder: Skin, Southern Eye, Salome, Less Than


Songs: 

Inner Tongue - Fallen Empire: Vor allem die Stimme, aber auch die Melodien dieses Songs des mysteriösen Inner Togue-Projekts erinnern stark an The Notwist. Doch statt der Verschrobenheit  der Vorbilder gibt es hier melancholischen Pop mit zarten elektronischen Anspielungen und ganz großen Melodien. 

Soap&Skin - Mawal Jamar: Anja Plaschg ist eine Meisterin darin Cover-Versionen ganz neues Leben einzuhauchen. Hier covert sie den legendären syrischen Musiker Omar Souleyman, der jüngst auch im Westen Bekanntheit erlangte. Plaschg verlangsamt den Song, nimmt ihm ein wenig die Tanzbarkeit, bewahrt aber die hypnotische Kraft des Songs und seine Dramatik. Ihr arabisch ist für Muttersprachler vermutlich unverständlich und ihr Akzent ist wie immer deutlich zu hören, doch die unglaubliche Wucht und transportierte Emotion von Stimme und Musik machen das Ganze dennoch zu einem überwältigenden Hörerlebnis.

Crystal Castles - Frail: Ein Jahr nach dem Abgang von Sängerin Alice Glass und dem vermeintlichen Ende der Band, veröffentlicht das verbleibende Mitglied Ethan Kath einen neuen Song...der nicht wirklich anders klingt als die letzte Musik, aber trotzdem ziemlich großartig ist. Leider wurde die Veröffentlichung überschattet von Kaths passiv-aggressiven Äußerungen gegenüber Glass und ihrer Reaktion dazu. Da kann man nur hoffen, dass es bald mehr Musik und weniger Drama gibt.

Brand New - Mene: Ganze sechs Jahre nach dem letzten Album und neun Jahre nach ihrem Meisterwerk, gibt es endlich wieder ein Lebenszeichen der sich ewig wandelnden Band aus New York. Mene bewahrt die Rotzigkeit und Wut von Brand News letztem Album und verbindet das mit der Eingängigkeit und Wucht ihres vorherigen Schaffens. Das lässt schon mal das Fanherz höher schlagen und vorsichtig hoffen...


Braids - Miniskirt: Miniskirt ist ein Highlight auf Braids überraschend großartigem dritten Album. Der Song ist gleichzeitig feministische Hymne, kraftvolle Power-Ballade und funkelnder Electro-Pop-Song. Neben Raphaelle Standell-Prestons fantastischer Stimme erregt hier vor allem ihr wütender und mutiger Text Aufmerksamkeit und Gänsehaut.
 

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