Sonntag, 29. Januar 2012

Liebeserklärung an ein Album: Midnight Organ Fight von Frightened Rabbit

 
Räumen wir die obligatorischen aber angebrachten Superlative gleich am Anfang aus dem Weg: Midnight Organ Fight ist definitiv eines meiner Lieblingsalben im schwammigen Bereich zwischen Folk, Indie und Singer-Songwriter Musik, vielleicht sogar eines meiner Lieblingsalben überhaupt. Auf jeden Fall aber ist es das beste (Konzept)-Album über eine zerbrochene Beziehung. Dabei fällt es zum Glück weder in die „Ich hasse Sie/Ihn so sehr und hoffe Er/Sie stirbt qualvoll“ noch in die „Ich will sterben/ bitte komm zurück zu mir“ Kategorie, die oft peinlich und definitiv sehr ausgelutscht sind. Stattdessen erschuf Scott Hutchinson gemeinsam mit seiner Band eine realistische, gefühlvolle und einfach großartige Musik-Collage, die sich mit allen Aspekten auseinander setzt, die nach dem Ende einer großen Liebe das Leben der Liebenden bestimmen. Neben der tollen Musik und dem sympathischen "Schotten-tum" der Band sind es vor allem die fantastischen Texte von Hutchinson, die Midnight Organ Fight zu einem so guten und berührenden Album machen. Seine Texte sind durchaus poetisch und werfen den Hörer in ein Wechselbad von großen und kleinen Gefühlsregungen. Trotzdem bleiben sie dabei immer äußerst direkt und besitzen einen hohen Identifikationswert für eigentlich jeden, der schon mal verliebt war, der sich schon ein mal getrennt hat und/oder schon mal Liebeskummer hatte. Und das trifft, denke ich, eigentlich auf jeden zu.

Das Album beginnt mit einem ungewöhnlichen und fast schon ein wenig irreführenden Song. Modern Leper ist wohl der eingängigste und rockigste Song der platte, dabei jedoch auch einer der wenigen Momente in denen Hutchinson sich in Selbstmitleid ergeht. Andererseits ist dieses Gefühl, beziehungsunfähig und allgemein Gift für andere zu sein, durchaus verständlich und bedarf sicher auch mal der (über)dramatischen) Geste. I feel better dagegen setzt thematisch am Ende des Albums an und stellt den Protagonisten an eine Stelle, an der er scheinbar die Beziehung endlich verarbeitet hat und halb triumphierend singt „This is the last song that I'll write about you!“. Der Song schafft es wunderbar diesen oft trügerischen, aber dennoch so tollen Moment wieder zu geben, wenn man endlich, endlich über jemanden hinweg ist und sich wieder ins Leben stürzen will. Der Rest von Midnight Organ Fight zeigt dann in nicht chronologischer Reihenfolge wichtige Stationen im Verarbeitungsprozess dieser Trennung, von der wir nur bruchstückhaft etwas erfahren, bis hin zu diesem Aufruf in I feel Better. Keep yourself Warm ist eine resignierte Ballade über gesichtslose One-Nights-Stands gegen die Einsamkeit, an deren Ende immer die drastische und deprimierende Wahrheit „It takes more than fucking someone, to keep yourself warm“ steht. Der Albumtitel selbst ist ein cleverer Euphemismus für diese Art von Sex, der auch im Quasi-Titelsong Fast Blood aufgegriffen wird. Die Musik und Hutchinsons extrem emotionale Stimme, schaffen es einen sofort in diesen Zustand irgendwo zwischen hormonellem Aufruhr und dem Gefühl von Sinnlosigkeit und Resignation zu versetzen.


Ganz am anderen Ende des Spektrums wartet mit The Twist der wohl fröhlichste Song des Albums. Auch hier geht es zunächst um anonymen Sex. Doch versteckt sich jetzt das echte Bedürfnis nach Nähe und Zuneigung dahinter, eben über den Umweg von aufregenden Nächte in Kneipen und Discos an deren Ende vielleicht die Möglichkeit einer neuen Liebe wartet. Der Song wäre dabei gleichzeitig sicher ein guter Soundtrack für eine solche Begegnung mit der spannenden Unbekannten, mit der man sich schnell eine gemeinsame Zukunft ausmalt...

My backwards Walk und Poke dagegen behandeln das nostalgische und ebenso selbstzerstörerische Bedürfnis die vergangene Liebe Revue passieren zu lassen und zu analysieren wo was wie warum falsch gelaufen ist. My backwards Walk führt dabei sprichwörtlich zurück zu dieser Frau, die den Erzähler nicht loslässt. Er klebt an dieser Frau und weiß nicht, wie er ohne sie weiterleben soll. „You're the shit and I'm knee deep in it“ ist dabei wunderbar doppeldeutig. Steckt er wegen ihr tief in der Scheiße oder ist sie eben „the shit“, also so toll, dass er nie weg will? Bei Poke, dem wohl schönsten und traurigsten Song von Midnight Organ Fight schwankt Hutchinson zwischen der Großmütigkeit die Exfreundin endgültig los zu lassen, ihr das Beste zu wünschen und der tiefen Traurigkeit bei der Erkenntnis, dass es jetzt endgültig vorbei ist und ihn nichts mehr an sie bindet. Dieses Gefühl wird wie so oft ebenso poetisch wie treffend zusammengefasst. „If someone took a picture of us now, they'd need to be told, that we had ever clung and tied a navy knot with arms at night. I'd say she was his sister, but she doesn't have his nose.“ Dieser Song fasst diese Gefühle der oft masochistischen Nostalgie und der schmerzhaften Erkenntnis, dass eine Beziehung endgültig vorbei ist, perfekt zusammen und sorgt auch nach dem x-ten Hören noch dazu, dass sich meine Magengegend zusammen zieht und mein Herz schwer wird.

Von dieser Stelle der Beziehung und auch des Albums wäre ein optimistischer Schritt zurück zu I feel Better und neu gefundenem Lebensmut oder zum Twist und der erneuten Suche nach Liebe angenehm und logisch. Das Album macht aber zunächst einen kleinen Umweg zur der düsteren Stelle, direkt nach der Erkenntnis, dass SIE weg ist: Floating in the Forth beginnt mit dieser traumatischen Erkenntnis: „I closed my eyes for a second and when they opened you weren't there.“ Diese schlimmste Phase, direkt nach der Trennung, führt an den Rande des Selbstmords oder zumindest zu seiner aktiven Kontemplation. Doch stattdessen sorgt die Depression am Ende zu einer Re-Evaluierung und neuen Wertschätzung des Lebens „Take your life, give it a shake, gather up all your loose change. I think I'll save suicide for another year.“ (Und diese Aussage wird noch bedeutender, wenn man Not miserable vom Folgealbum hört, auf dem Hutchinson attestiert, dass es ihm jetzt besser geht und die Gefühle, die ihn fast zum Selbstmord brachten, endgültig verschwunden sind).
Und zumindest in meinem Kopf setzt nach diesem Ausblick der Schreibprozess dieses wunderschönen Albums an, dass die beste Verarbeitung von Trennungsschmerz ist, die ich mir vorstellen kann. Und der gekonnte Spagat zwischen intimer Selbstoffenbarung und einer fast schon allgemeingültigen Führung durch den Trennungsschmerz für alle vom Liebeskummer geplagten, macht Midnight Organ Fight für mich zu einem absoluten Meisterwerk.