Donnerstag, 6. Dezember 2012

Das Beste aus 2012 - Teil 2: Alben Plätze 20-11

2012 war für mich ein wirklich gutes Musikjahr, erstaunlich stark im Hip Hop, eher unspektukalär im Metalbereich und ansonsten äußerst vielseitig und durchweg qualitativ hochwertig. Ich hoffe das diese (natürlich höchst subjektive) Liste meiner 20 Top-Alben jene Vielseitigkeit ausreichend wiedergibt. Für einen umfassenderen Über- und Rückblick wird es dann nächste Woche noch meine Song Top 100 geben. Aber jetzt erst einmal meine Lieblingsalben 2012, Plätze 20-11: 


20. The XX - Coexist  
(Indie/Electronic/Post-Punk)


Coexist ist gleichzeitig genau das, was The xx-Fans gewohnt sind/ lieben und doch auch ziemlich mutig. Denn auch wenn alle Elemente, die The xx 2009 zu einem Überraschungserfolg gemacht haben auch auf dem Zweitwerk klar erkennbar sind, ist Coexist noch deutlich spartanischer und zurück genommener als das Debüt. Das macht das ganze etwas schwerer verdaulich und vermeintliche Hits sind hier nicht sofort auffindbar. Es sorgt aber auch dafür, dass die Stärken von The xx noch besser sichtbar werden und kleine Momente und dezente Überraschungen im Sound einen großen Eindruck beim Hören hinterlassen. Dadurch versetzen die Songs nicht nur in einen passiven Entspannungszustand, sondern fordern und ermutigen auch  erhöhte Aufmerksamkeit.

Missing zum Beispiel ist für The xx-Verhältnisse äußerst leidenschaftlich und hat einen dezenten Unterton von Verzweiflung, Swept Away dagegen bewegt sich zwischen Dubstep und Tanzfläche und Reunion schließlich fügt der wunderbaren Gesangs-Dynamik zwischen Oliver Sim und Romy Madley Croft prominente Steel Drums und einen warmen Beat hinzu. Auch die anderen Songs warten mit kleinen Varianten auf, die den Sound von the xx ergänzen und perfektionieren, obwohl er zumindest beim ersten Höreindruck noch verkleinert und reduziert wirkte.

Highlights: Reunion, Missing, Swept Away


19. Killer Mike – R.A.P. Music  
(Hip Hop)


Wer hätte gedacht, dass ein riesiger schwarzer Rapper aus dem Süden, bekannt aus dem Umfeld von OutKast und ein weißer Indie-Rapper aus New York, bekannt für seine düsteren, dichten Albumproduktionen, zusammen eines der besten Alben des Jahres machen würden. Killer Mike und der Produzent El-P kannten sich nicht und hatten auch keine musikalischen Berührungspunkte abgesehen von einer generellen Leidenschaft für Rapmusik. Da kann man wirklich von Glück reden, dass irgendein Plattenfirmen-Mensch auf die Idee kam die beiden zusammen zu bringen.

Killer Mike ist optisch eine eindrucksvolle und einschüchternde Erscheinung und kann diesen Eindruck auch stimmlich problemlos aufrecht erhalten. Zum Glück hat er dazu aber auch noch einen vielseitigen Stil, sowie textliche Reife und Tiefe, die das sonst übliche Gangstergehabe weit hinter sich lässt. Opener Big Beast, zusammen mit T.I., Bun B und Trouble, kommt diesem Klischee mit extrem breiter Brust und aggressivem Gehabe noch am nächsten, ist aber einfach so ein eindrucksvolles "Biest", dass es eigentlich auch wieder egal ist. Schon hier ist Killer Mike eindeutig das Highlight und auch der Rest von R.A.P. Music ist trotz einiger Gäste die uneingeschränkte Mike-Show. Die Texte variieren ebenso wie die Stimmung der Songs, ohne dabei die Einheit und den Fluss des Albums zu stören. Von einem wütenden, politischen Lied wie Reagan zu dem hakenschlagenden paranoia-getränkten Don't Die und von einem melancholischen, melodischen Song wie Ghetto Gospel zu der epischen Liebeserklärung des Titeltracks versammelt Killer Mike ein eindrucksvolles Repertoire und sorgt für ein Album vollkommen ohne Füllmaterial. Und auch wenn der Großteil der Musik ernst, wütend und unheilschwanger scheint, gibt es immer auch ein wenig Humor und das gelegentliche Augenzwinkern.

Und damit kommen wir zum zweiten Teil – die Produktion. Killer Mike und El-P sind mittlerweile gute Freunde und das merkt man auch an dem Zusammenspiel aus Musik und Raps auf diesem Album. Die beiden haben definitiv geklickt und hatten jede Menge Spaß. El-P schneidert Killer Mikes variablem Stil ebenso variable Beats auf den Leib. Die Produktion ist für El-P-Verhältnisse recht organisch und leicht, weist aber immer noch eine Dichte und Schärfe auf, die ihn klar abgrenzt von typischem Hip Hop-Produktionen. Killer Mikes detaillierte und intelligente Raps erhalten dadurch eine zusätzliche Tiefe und werden unterstrichen ohne das ihnen die Luft abgeschnitten wird. Da kann man nur hoffen, dass dieses Dream Team noch viel mehr Musik gemeinsam machen wird... 
 
Highlights: Big Beast, Reagan, Don't Die

 
18. Bat for Lashes – The Haunted Man
(Electronic/ Indie/Singer-Songwriter)


Meine erste Reaktion auf The Haunted Man ist eine unfaire - Eine milde Enttäuschung an der nur meine enormen Liebe für das Vorgängerwerk Two Suns schuld ist. Denn Two Suns, das vor über 3 Jahren erschien, bleibt eines meiner absoluten Lieblingsalben und ist voll von wunderschönen, berührenden Songs.

Doch blendet man diesen übermächtigen Schatten aus, ist auch The Haunted Man ein absolut schönes und ergreifendes Album mit einer detaillierten, nahezu perfekten Produktion und natürlich Natasha Khans fantastischer Stimme. Es ist also keineswegs schwach oder etwas vollkommen anderes, sondern nur ein leichter Dreh an Khans unverwechselbarem Sound. Das Einzige was fehlt ist dieser Überraschungseffekt, dieses Gefühl etwas ganz besonderes entdeckt zu haben. Doch nach einigen Hördurchgängen weicht dieses irrationale Ernüchterung zum Glück weitgehend der Freude darüber, dass es endlich wieder Musik von Bat for Lashes gibt und nach und nach wirken dann auch die Songs ihre Magie. 

Insgesamt ist es wieder eine Mischung aus Synths und dominanter Percussion, aus zarter Klavierballade und groß angelegten, dramatischen Popsongs. Schon der Opener Lilies ist mit seiner mühelosen Mischung aus intimer Ballade und euphorischem Bombast ein Volltreffer, der Glass, dem ersten Song von Two Suns auf jeden Fall ebenbürtig ist, aber deutlich leichter und fröhlicher daher kommt. Von dieser zu tränenden rührenden Schönheit geht es weiter mit einem Album, das insgesamt etwas befreiter klingt als Two Suns. Das liegt sicher an dem zumindest auf den ersten Blick fehlenden Konzept und dem etwas kleineren Fokus von The Haunted Man. Was nicht heißen soll, dass die Songs nicht immer noch riesig klingen. All your Gold etwa ist ein beschwingter 80er-Synth-Pop-Song, der aber trotzdem mit eine große Stimmung transportiert. Der ruhigste Song, Laura, ist  dagegen eine schwelgerische Klavierballade, die Lob- und Trostgesang für ein alt gewordenes Starlet ist und auf dem Khans Stimme so groß und ehrlich klingt, dass es schon wieder zu Tränen rührt. Auf der musikalisch anderen Seite steht Oh Yeah, ein euphorischer, erotischer Song, der sich fast auf der Tanzfläche wohl fühlen würde und dessen „Oh Yeah“-Chöre nicht nur unverschämt gut funktionieren, sondern das Ganze auch zu einem perversen Ohrwurm machen. Der bombastischste Song aber ist Marilyn, ein zusammen mit Beck produziertes Stück, das einfach nur fett klingt und sich in unerwartete, schwindelige Höhen schraubt.

Die Kritik, dass sich hier wieder mal alles etwas zu produziert und zu durchdacht anfühlt, um noch Platz zum Atmen oder für Gefühle lassen zu können, halte ich für Unsinn. Denn auch wenn die Songs alle durchaus genau geplant wirken, werden sie doch auch von Natasha Khans Stimme zusammen gehalten und die hat nun wirklich jede Menge Emotionen und eine enorme Lebendigkeit. Dazu ist The Haunted Man ein Album, das mit jedem Hören wächst und sich langsam aber sicher aus dem Schatten seines Vorgängers löst. Die Leichtigkeit und Schönheit der Lieder ist dabei umso verblüffender, wenn man bedenkt dass Natasha Khan eine Weile überlegt hatte, Bat for Lashes zu beerdigen. Da ist es ein kleines Wunder, dass wir stattdessen 11 Songs bekommen, die gleichzeitig so durchdacht und doch so federleicht klingen.

Highlights: Lilies, Oh Yeah, Laura, Marilyn


17. WIFE - Stoic  
(Electronic, Dubstep)


WIFE ist das elektronische Projekt von James Kelly, bekannt für den atmosphärischen Black Metal seiner Band Altar of Plagues. Nicht vertraut mit seiner bisherigen Karriere, stolperte ich über das Musikvideo für den ersten WIFE-Song Bodies und war mehr als angenehm überrascht. Der Song bewegt sich irgendwo zwischen Dubstep und Ambient, verzichtet aber nicht auf eingängige, ebenso wie eindringliche Elemente. Die kühle und irgendwie mystische Atmosphäre bildet dabei einen angenehmen Kontrast zu dem für diese Art Musik ungewöhnlich warmen und organischen Sound.

Die anderen vier Songs auf der EP sind zurück genommener und weniger eingängig, aber genauso faszinierend. Das hypnotische Shards schlägt mit seinem fast schon erotischem Gesang und einer orientalischen Schlagseite absolut in den Bann. Trials dagegen ist so etwas wie der kühlere Bruder dieses Songs und fräst sich mit stampfenden Beat und mantra-artigem Gesang sofort in den Gehörgang. Auf dem letzten Track werden dann auch noch eine weibliche Stimme und poppige Melodien mühelos in den melancholischsten und sehnsüchtigsten Song der EP integriert.

Was die Musik von WIFE am meisten auszeichnet, ist ihre Frische: Kelly ist sicher noch dabei seinen Sound zu finden, was für musikalisch und atmosphärisch so unterschiedliche Songs sorgt. Gleichzeitig gibt es aber dadurch eine größtmögliche Abwechslung, ohne das alles nur zusammen gewürfelt klingt. Denn die Grundbausteine dieses faszinierenden Sounds finden sich in allen fünf Songs wieder. Darüber hinaus schafft Kelly mit Hilfe von selbst gebauten Instrumenten, Field Recordings und sicher auch seinem ungewöhnlichen, musikalischen Blickwinkel, eine enorm vielseitige und lebendige Musik. Statt perfekt produzierter Plastikmusik gibt es hier emotionale und intime Songs mit den Mitteln elektronischer Musik.
Highlights: - 


16. White Lung – Sorry  
(Punk/Punk Rock)


10 Songs und knapp 18 Minuten - so lange brauchen White Lung um dem Hörer ein fantastisch kompromissloses und doch irgendwie auch ungemein eingängiges Punk Rock-Album um die Ohren zu hauen. Sängerin Mish Way keift und schreit sich extrem wütend und ebenso energetisch durch die musikalisch und lyrisch schmerzhaft direkten Lieder, Schlagzeugerin Anne-Marie Vassilou kennt nur schneller oder noch schneller und die hektischen, dissonanten Riffs von Gitarrist Kenneth William würden trotz ihrer Ohrwurmqualität manchmal fast in eine Matchcore- oder Black Metal-Band passen. Die besten Qualitäten von White Lung sind dabei ihre absolute Atemlosigkeit und die immer wieder verblüffende Härte und Rohheit aller Songs. Sorry ist sicher eines der besten Alben diesen Jahres, um einfach mal auszuflippen. 

Highlights: Take the Mirror, Thick Lip, Bag, I Rot


15. Captain Planet – Treibeis 
(Punk Rock)


Es hat sich sicher viel geändert seit der Veröffentlichung von Captain Planets Debüt Wasser kommt, Wasser geht vor gut 5 Jahren – Die Band wurde zurecht mit Lob überhäuft von Punk-Seiten bis hin zum Feuilleton der ZEIT und aus den Studenten von damals sind berufstätige Familienmenschen geworden. Doch musikalisch bleibt (zum Glück) auch auf Treibeis alles beim alten. Was nicht heißt, dass Captain Planet stagnieren oder sich wiederholen. Der Sound ist fetter und eindringlicher als zuvor, die Texte noch besser als auf den Vorgängern und dabei genau so einprägsam und wichtig. Was die Band aber so besonders und einzigartig macht, ist ihre Direktheit, die emotionale Wucht mit der sich jeder Song sofort in Herz, Hirn und die Beine bohrt.

Auch auf Treibeis sind alle Songs in der zweiten Person Singular verfasst – das „Du“ scheint manchmal an eine ganz bestimmte Person gerichtet und an anderen Stellen eher an alle Hörer von Captain Planet. Immer aber klingen die Texte wie direkt für DICH oder MICH geschrieben. Die Lieder auf Treibeis spielen in deiner WG, deiner Lieblingskneipe und in deinem Leben. Jeder der flirrenden Momentaufnahmen auf dieser Platte hören sich an wie Teile einer Highlight-Sammlung aus dem Alltag deines Lebens oder zumindest dem Leben, das du gerne leben würdest – und wahrscheinlich auch leben könntest. Die Songs sind nicht politisch im engeren Sinne und auch keine Liebeslieder oder Lebensweisheiten, sondern von all dem etwas und noch viel mehr. 
Musikalisch gibt es wieder 11 schnelle Songs, ohne Verschnaufpause und mit einer Gefühls-Wucht, die dem fantastischen Debüt ebenbürtig ist. Insgesamt klingt alles etwas erwachsener und irgendwie noch bedeutsamer; Hinter den scharfen Alltagsbeobachtungen stecken viel Einsamkeit, Frust und Niederlagen. Vorgetragen mit Jan Arne von Twisterns Press-Stimme zwischen Wut und Melancholie und unterstützt von einer noch besseren Produktion sowie kleinen, aber feinen Neuigkeiten im Sound wird aus Treibeis ein weiteres, großartiges Stück rotzigem, ehrlichen Punk Rock aus Deutschland. Ich kann nur hoffen, dass meine Kinder mal so coole Lehrer haben werden wie die Jungs aus dieser Band – ihre Musik werden sie auf jeden Fall Mal zu hören bekommen. 
Highlights: Pyro, Spielplatz, Aus Alt Mach Neu, Nationalpark


14. Amenra – Mass V 
 (Sludge, Doom Metal, Post-Metal)


Amenra verdienen wirklich Respekt für ihre Konsequenz – Andere Metalbands verändern ihren Sound über die Jahre deutlich, streuen Melodie und Farbe darunter, oder stagnieren und werden zu einer blassen Selbstkopie. Amenra dagegen loten weiter kompromisslos die absolute Schwärze aus. Keine Farbe, keine Verschnaufpausen, nur hoffnungslose, alles erdrückende Dunkelheit. Statt Stagnation gibt es eine weitere Verfeinerung und Verdichtung des Erfolgsrezepts und dazu den bisher mit Abstand fettesten Sound der Bandgeschichte.

Die gut vier Jahre, die seit dem letzten regulären Release vergangen sind, haben Amenra für einen äußerst gelungen Ausflug in die akustische Musik genutzt und für diverse musikalische Nebenprojekte, die gemeinsam mit anderen befreundeten Bands die Church of Ra bilden. Diese vertiefte Mythologie und der vergrößerte musikalische Horizont sind deutlich zu hören auf den vier gigantischen Songs von Mass V. Alle Songs beginnen dabei ungewöhnlich ruhig, mit unheilvollen Geräuschkulissen und cleanem Gesang. Dazu gibt es beängstigendes Flüstern, meisterhafte Spannungsaufbauten und vielschichtige Arrangements. Im Mittelpunkt stehen aber immer noch diese monströsen Riffs und der markerschütternde, unmenschliche Gesang von Colin H. Van Eeckhout, der sämtliche Konkurrenz sowohl in Sachen Intensität als auch Härte mühelos zu Staub zermalmt. Und diese Stärken macht auch Mass V wieder zu einem uneingeschränkten Genuss. Amenra sind unglaublich heavy, verbinden das aber mit einer Emotionalität und Tiefe, die sie einzigartig macht. 

Der einzige Nachteil von Mass V ist seine bei nur vier Songs so geringe Laufzeit. Dafür gibt es aber auch keinerlei Schwächen, Längen oder Wiederholungen – Das Album ist gleichzeitig kompakt und doch von einer epischen, erdrückenden Breite. Die musikalischen Attacken von Amenra bewegen sich wie mit der schleppenden, aber unentrinnbaren Gewalt von Lava, die den Hörer weiter und weiter in eine unendliche und unergründliche Dunkelheit drängt. Der Sound kommt von allen Seiten, er überwältigt zutiefst und lässt trotzdem hungrig zurück.

Highlights: Boden, Nowena | 9.10


13. Sarah Jaffe – The Body Wins 
(Folk/Singer-Songwriter, Indie)


The Body Wins, Sarah Jaffes zweites Album, schockt beim ersten Hördurchgang schon ein wenig. Der intime und oft spartanische Folk des Vorgängers weicht plötzlich größeren Arrangements, inklusive Bläsern, Streichern und sogar so etwas wie einem elektronischem Sound an manchen Ecken. So ist die Vorabsingle Glorified High ein eingängiges Pop-Lied mit richtigem Beat und auf jeden Fall tanzbar. Andere Songs auf dem Album sind sogar rockig und Jaffe klingt plötzlich tough und wütend. 

Nachdem der anfängliche Schock aber überwunden ist und man mal etwas offener hinhört, merkt man schnell, dass diese Weiterentwicklung, diese Erweiterung des musikalischen Kosmos nicht nur funktioniert, sondern The Body Wins sogar besser als den bereits tollen Vorgänger macht. Denn im Mittelpunkt steht immer noch Sarah Jaffes unbeschreiblich warme und berührende Stimme, die trotz dem größeren Sound von The Body Wins nie untergeht. Der kurze Opener Paul balanciert in nicht einmal 2 Minuten schon Euphorie und Melancholie, zärtliche Ballade und dramatische Orchestermomente. Paul fließt gekonnt in den Titelsong über, der die musikalische Palette dann noch um Bläser, Beat und einen unglaublichen Sex-Appeal erweitert. Der Rest des Albums folgt diesen Sound-Vorgaben, mischt sie aber anders und stellt sie dazu neben Songs, die mehr an Jaffes ältere Songs erinnern. Diese Mischung macht The Body Wins zu einem so erfolgreichen Zweitwerk mit hoher Halbwertszeit. 
 
Highlights: Paul, The Body Wins, Halfway Right, Sucker for your Marketing


12. Swans - The Seer
(Noise, Experimental)


The Seer ist ein Monstrum – Über 2 Stunden Musik, verteilt auf 2 Cd's, teilweise 30 Minuten lange Songs, die meilenweit entfernt sind von konventionellen Melodien oder Songstrukturen. Und da es (zu Recht!) eines der von Kritikern am meisten geliebten Werke dieses Jahres ist, wird es wohl unzählige Ersthörer verschrecken und wütend machen. Wenn man aber weiß, was kommt, ist The Seer kein Lärm, sondern ein rauschhaftes, aufwühlendes, meditatives und kathartisches Erlebnis ohne gleichen. Swans loten die Feinheiten von kontrolliertem Lärm, hypnotischer Ambient-Musik und purer Bosheit und Dunkelheit bis zur Perfektion aus und sprenkeln darauf die feinsten Spuren von Schönheit und Licht.

Swans-Mastermind und einziges verbleibendes Original-Mitglied Michael Gira wirkt dabei auch nach 30 Jahren keineswegs müde, sondern voller Energie. Er singt und keucht sich durch die Songs und ist ansonsten Mittelpunkt und Dirigent dieses Sound-Ungetüms, das dank der perfekt eingespielten Band und hochkarätiger Gäste wie u.a. Karen O und Mitglieder von Low, gleichzeitig spontan und bis ins kleinste Detail durchgeplant klingt. Die resultierende Klanglandschaften sind erdrückend und anstrengend, aber doch auch erfrischend und befreiend. 
 
Highlights: Lunacy, Mother of the World, The Seer, Avatar, The Apostate


11. Jessie Ware – Devotion 
(RnB, Soul, Pop)


Jessie Ware schafft auf ihrem Debüt-Album eindrucksvoll den Spagat zwischen Radio-freundlicher Popmusik und modernem RnB mit Tiefe und am allerwichtigsten – Klasse. Denn was fast als erstes an Jessie Ware auffällt – Optisch, Textlich und Musikalisch - ist ihre Klasse. Sie wirkt auf den ersten Blick nicht wie ein modellierter Popstar oder ein oberflächclihes Sternchen, sondern wie eine eindrucksvolle und absolut ernst zu nehmende Diva (im positiven Sinne!). Diesen Eindruck erfüllt sie dann mit ihrer Musik auch zu 100%. Im Mittelpunkt steht natürlich diese gigantische, leidenschaftliche Stimme, die Ware eindrucksvoll, aber immer auch Song-dienlich einsetzt. Hier gibt es kein stimmliches Geflatter oder peinliche Gesangs-Marotten, sondern eine fesselnde, erwachsene und selbstsichere Stimme. Die Songs wurden mit drei verschiedenen Produzenten geschrieben, die durch verschiedene Herangehensweisen den Songs einen individuellen Stempel aufdrücken. Das Devotion trotzdem geschlossen und stimmig klingt ist in erster Linie Jessie Wares ebenso variabler wie unverkennbarer Stimme zu verdanken.  

Diese Stimme erinnert mich manchmal an Sade oder vergleichbare Künstlerinnen, Wares Musik aber ist eher zwischen Florence and the Machine, Lana Del Rey und Adele angesiedelt. Im Gegensatz zu der Musik dieser Frauen ist Devotion aber nicht nur von der Musik, sondern auch von den Stimmungen her deutlich variabler. Darüber hinaus schaffen es die Beteiligten auch die Persönlichkeit der Künstlerin und ihre Musik ebenbürtig und komplementär neben einander zu stellen. So gewinnt dann sogar eine luftige, sexy Popnummer wie 110%, die bei anderen Sängerinnen vermutlich in übertriebener Erotik untergehen würde, dank Wares kraftvoller Stimme und ihrer untypischen „Aura“ an Substanz. Am besten aber entfaltet sich die Kraft von Ware bei dramatischen RnB-Songs wie Wildest Moments oder Night Light, die mit großen Refrains aufwarten und vor Leidenschaft nur so strotzen, ohne aber in sinnlosen Bombast zu verfallen. Im Gegensatz dazu ist Devotion zu jeder Zeit etwas zurück genommen und gesetzt, ohne aber auch nur im entferntesten langweilig zu wirken. Es verbinden sich hier ehrliche Leidenschaft mit einer gewissen Kultiviertheit, die viel interessanter ist als ein schrilles Gehangel von Höhepunkt zu Höhepunkt ohne Nuancen. Denn die nutzt sich schnell ab, während Devotion mit jedem Hören besser wird. 
 
Highlights: Wildest Moments, No to Love, Night Light, Swan Song, Taking in Water



Weitere Anwärter auf die Top 20:

- Cat Power's kraftvolle musikalische Wiedergeburt Sun, die sehr wahrscheinlich in meiner Top 20 gelandet wäre, wenn ich früher rein gehört hätte.
- Die tolle The Knife-Verbeugung von Purity Ring, die auf ihrem Album Shrines faszinierende Electro Pop-Hits mit hypnotischer, düsterer Schlagseite erschaffen.
- Krallice technisch und songschreiberisch überwältigendes Black-Metal-Monstrum Years Past Matter, das ich noch lange nicht ausreichend verdaut habe.
- Das schmerzhaft authentische und brachial-emotionale Screamo/Hardcore-Glanzstück I.V. von Loma Prieta.
- Das dritte Crystal Castles-Album, das kompromisslos düster ist und vertonte Hoffnungslosigkeit mit Gruselfaktor und unerwarteter Tanzbarkeit verbindet.
- Xiu Xiu's zwar etwas unausgeglichenes und schwer verdauliches, aber dafür umso intensiveres und aufwühlendes Album Always.
- Get Disowned, das herrlich wilde, spaßige und ergreifende neue Album von Hop Along



Die Top 10 gibt es am Sonntag...

Das Beste aus 2012 - Teil 1: Musikvideos

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