2012 war für mich ein wirklich gutes Musikjahr, erstaunlich stark im Hip Hop, eher unspektukalär im Metalbereich und ansonsten äußerst vielseitig und durchweg qualitativ hochwertig. Ich hoffe das diese (natürlich höchst subjektive) Liste meiner 20 Top-Alben jene Vielseitigkeit ausreichend wiedergibt. Für einen umfassenderen Über- und Rückblick wird es dann nächste Woche noch meine Song Top 100 geben. Aber jetzt erst einmal meine Lieblingsalben 2012, Plätze 20-11:
20. The XX - Coexist
(Indie/Electronic/Post-Punk)
Coexist
ist gleichzeitig genau das, was The xx-Fans gewohnt sind/ lieben
und doch auch ziemlich mutig. Denn auch wenn alle Elemente, die The
xx 2009 zu einem Überraschungserfolg gemacht haben auch auf dem Zweitwerk klar erkennbar sind, ist Coexist noch
deutlich spartanischer und zurück genommener als das Debüt. Das
macht das ganze etwas schwerer verdaulich und vermeintliche Hits sind
hier nicht sofort auffindbar. Es sorgt aber auch dafür, dass die
Stärken von The xx noch besser sichtbar werden und kleine Momente
und dezente Überraschungen im Sound einen großen Eindruck beim
Hören hinterlassen. Dadurch versetzen die Songs nicht nur in einen
passiven Entspannungszustand, sondern fordern und ermutigen auch erhöhte Aufmerksamkeit.
Missing
zum Beispiel ist für The xx-Verhältnisse äußerst leidenschaftlich
und hat einen dezenten Unterton von Verzweiflung, Swept Away dagegen
bewegt sich zwischen Dubstep und Tanzfläche und Reunion schließlich fügt der
wunderbaren Gesangs-Dynamik zwischen Oliver Sim und Romy Madley Croft
prominente Steel Drums und einen warmen Beat hinzu. Auch die anderen
Songs warten mit kleinen Varianten auf, die den Sound von the xx
ergänzen und perfektionieren, obwohl er zumindest beim ersten
Höreindruck noch verkleinert und reduziert wirkte.
Highlights: Reunion,
Missing, Swept Away
19. Killer Mike – R.A.P.
Music
(Hip Hop)
Wer
hätte gedacht, dass ein riesiger schwarzer Rapper aus dem Süden,
bekannt aus dem Umfeld von OutKast und ein weißer Indie-Rapper aus
New York, bekannt für seine düsteren, dichten Albumproduktionen,
zusammen eines der besten Alben des Jahres machen würden. Killer
Mike und der Produzent El-P kannten sich nicht und hatten auch keine
musikalischen Berührungspunkte abgesehen von einer generellen Leidenschaft für Rapmusik. Da
kann man wirklich von Glück reden, dass irgendein
Plattenfirmen-Mensch auf die Idee kam die beiden zusammen zu bringen.
Killer
Mike ist optisch eine eindrucksvolle und einschüchternde Erscheinung
und kann diesen Eindruck auch stimmlich problemlos aufrecht erhalten.
Zum Glück hat er dazu aber auch noch einen vielseitigen Stil, sowie textliche Reife und Tiefe, die das sonst übliche
Gangstergehabe weit hinter sich lässt. Opener Big Beast, zusammen
mit T.I., Bun B und Trouble, kommt diesem Klischee mit extrem breiter
Brust und aggressivem Gehabe noch am nächsten, ist aber einfach so
ein eindrucksvolles "Biest", dass es eigentlich auch wieder egal ist.
Schon hier ist Killer Mike eindeutig das Highlight und auch der Rest
von R.A.P. Music ist trotz einiger Gäste die uneingeschränkte
Mike-Show. Die Texte variieren ebenso wie die Stimmung der
Songs, ohne dabei die Einheit und den Fluss des Albums zu stören.
Von einem wütenden, politischen Lied wie Reagan zu dem
hakenschlagenden paranoia-getränkten Don't Die und von einem
melancholischen, melodischen Song wie Ghetto Gospel zu der epischen
Liebeserklärung des Titeltracks versammelt Killer Mike ein eindrucksvolles
Repertoire und sorgt für ein Album vollkommen ohne Füllmaterial.
Und auch wenn der Großteil der Musik ernst, wütend und
unheilschwanger scheint, gibt es immer auch ein wenig Humor und das
gelegentliche Augenzwinkern.
Und damit kommen wir zum
zweiten Teil – die Produktion. Killer Mike und El-P sind
mittlerweile gute Freunde und das merkt man auch an dem Zusammenspiel
aus Musik und Raps auf diesem Album. Die beiden haben definitiv
geklickt und hatten jede Menge Spaß. El-P schneidert Killer Mikes
variablem Stil ebenso variable Beats auf den Leib. Die Produktion ist
für El-P-Verhältnisse recht organisch und leicht, weist aber immer
noch eine Dichte und Schärfe auf, die ihn klar abgrenzt von typischem
Hip Hop-Produktionen. Killer Mikes detaillierte und intelligente Raps
erhalten dadurch eine zusätzliche Tiefe und werden unterstrichen
ohne das ihnen die Luft abgeschnitten wird. Da kann man nur hoffen,
dass dieses Dream Team noch viel mehr Musik gemeinsam machen wird...
Highlights: Big Beast,
Reagan, Don't Die
18. Bat for Lashes – The
Haunted Man
(Electronic/
Indie/Singer-Songwriter)
Meine
erste Reaktion auf The Haunted Man ist eine unfaire - Eine milde
Enttäuschung an der nur meine enormen Liebe für das Vorgängerwerk
Two Suns schuld ist. Denn Two Suns, das vor über 3 Jahren erschien,
bleibt eines meiner absoluten Lieblingsalben und ist voll von
wunderschönen, berührenden Songs.
Doch
blendet man diesen übermächtigen Schatten aus, ist auch The Haunted
Man ein absolut schönes und ergreifendes Album mit einer
detaillierten, nahezu perfekten Produktion und natürlich Natasha
Khans fantastischer Stimme. Es ist also keineswegs schwach oder etwas
vollkommen anderes, sondern nur ein leichter Dreh an Khans
unverwechselbarem Sound. Das Einzige was fehlt ist dieser
Überraschungseffekt, dieses Gefühl etwas ganz besonderes entdeckt
zu haben. Doch nach einigen Hördurchgängen weicht dieses
irrationale Ernüchterung zum Glück weitgehend der Freude darüber, dass es endlich
wieder Musik von Bat for Lashes gibt und nach und nach wirken dann
auch die Songs ihre Magie.
Insgesamt ist es wieder eine Mischung aus
Synths und dominanter Percussion, aus zarter Klavierballade und groß
angelegten, dramatischen Popsongs. Schon der Opener Lilies ist mit
seiner mühelosen Mischung aus intimer Ballade und euphorischem
Bombast ein Volltreffer, der Glass, dem ersten Song von Two Suns auf
jeden Fall ebenbürtig ist, aber deutlich leichter und fröhlicher daher kommt. Von dieser zu tränenden rührenden Schönheit geht es weiter
mit einem Album, das insgesamt etwas befreiter klingt als Two Suns.
Das liegt sicher an dem zumindest auf den ersten Blick fehlenden
Konzept und dem etwas kleineren Fokus von The Haunted Man. Was nicht
heißen soll, dass die Songs nicht immer noch riesig klingen. All
your Gold etwa ist ein beschwingter 80er-Synth-Pop-Song, der aber
trotzdem mit eine große Stimmung transportiert. Der ruhigste
Song, Laura, ist dagegen eine schwelgerische Klavierballade, die Lob- und
Trostgesang für ein alt gewordenes Starlet ist und auf dem Khans
Stimme so groß und ehrlich klingt, dass es schon wieder zu Tränen
rührt. Auf der musikalisch anderen Seite steht Oh Yeah, ein
euphorischer, erotischer Song, der sich fast auf der Tanzfläche wohl
fühlen würde und dessen „Oh Yeah“-Chöre nicht nur unverschämt
gut funktionieren, sondern das Ganze auch zu einem perversen Ohrwurm
machen. Der bombastischste Song aber ist Marilyn, ein zusammen mit
Beck produziertes Stück, das einfach nur fett klingt und sich in
unerwartete, schwindelige Höhen schraubt.
Die Kritik, dass sich
hier wieder mal alles etwas zu produziert und zu durchdacht anfühlt, um noch Platz zum Atmen oder für Gefühle lassen zu können, halte ich
für Unsinn. Denn auch wenn die Songs alle durchaus genau geplant
wirken, werden sie doch auch von Natasha Khans Stimme zusammen
gehalten und die hat nun wirklich jede Menge Emotionen und eine
enorme Lebendigkeit. Dazu ist The Haunted Man ein Album, das mit
jedem Hören wächst und sich langsam aber sicher aus dem Schatten
seines Vorgängers löst. Die Leichtigkeit und Schönheit der Lieder
ist dabei umso verblüffender, wenn man bedenkt dass Natasha Khan
eine Weile überlegt hatte, Bat for Lashes zu beerdigen. Da ist es ein
kleines Wunder, dass wir stattdessen 11 Songs bekommen, die
gleichzeitig so durchdacht und doch so federleicht klingen.
Highlights: Lilies, Oh
Yeah, Laura, Marilyn
17. WIFE -
Stoic
(Electronic, Dubstep)
WIFE
ist das elektronische Projekt von James Kelly, bekannt für den
atmosphärischen Black Metal seiner Band Altar of Plagues.
Nicht vertraut mit seiner bisherigen Karriere, stolperte ich über
das Musikvideo für den ersten WIFE-Song Bodies und war mehr als
angenehm überrascht. Der Song bewegt sich irgendwo zwischen Dubstep
und Ambient, verzichtet aber nicht auf eingängige, ebenso wie
eindringliche Elemente. Die kühle und irgendwie mystische Atmosphäre
bildet dabei einen angenehmen Kontrast zu dem für diese Art Musik
ungewöhnlich warmen und organischen Sound.
Die
anderen vier Songs auf der EP sind zurück genommener und weniger
eingängig, aber genauso faszinierend. Das hypnotische Shards
schlägt mit seinem fast schon erotischem Gesang und einer
orientalischen Schlagseite absolut in den Bann. Trials dagegen ist so
etwas wie der kühlere Bruder dieses Songs und fräst sich mit
stampfenden Beat und mantra-artigem Gesang sofort in den Gehörgang.
Auf dem letzten Track werden dann auch noch eine weibliche Stimme und
poppige Melodien mühelos in den melancholischsten und
sehnsüchtigsten Song der EP integriert.
Was die
Musik von WIFE am meisten auszeichnet, ist ihre Frische: Kelly ist
sicher noch dabei seinen Sound zu finden, was für musikalisch und
atmosphärisch so unterschiedliche Songs sorgt. Gleichzeitig gibt es
aber dadurch eine größtmögliche Abwechslung, ohne das alles nur
zusammen gewürfelt klingt. Denn die Grundbausteine dieses
faszinierenden Sounds finden sich in allen fünf Songs wieder.
Darüber hinaus schafft Kelly mit Hilfe von selbst gebauten
Instrumenten, Field Recordings und sicher auch seinem ungewöhnlichen,
musikalischen Blickwinkel, eine enorm vielseitige und lebendige
Musik. Statt perfekt produzierter Plastikmusik gibt es hier
emotionale und intime Songs mit den Mitteln elektronischer Musik.
Highlights:
-
16. White Lung – Sorry
(Punk/Punk
Rock)
10
Songs und knapp 18 Minuten - so lange brauchen White Lung um dem Hörer ein
fantastisch kompromissloses und doch irgendwie auch ungemein
eingängiges Punk Rock-Album um die Ohren zu hauen. Sängerin Mish
Way keift und schreit sich extrem wütend und ebenso energetisch
durch die musikalisch und lyrisch schmerzhaft direkten Lieder,
Schlagzeugerin Anne-Marie Vassilou kennt nur schneller
oder noch schneller und die hektischen, dissonanten Riffs von Gitarrist
Kenneth William würden trotz ihrer Ohrwurmqualität manchmal fast in
eine Matchcore- oder Black Metal-Band passen. Die
besten Qualitäten von White Lung sind dabei ihre absolute
Atemlosigkeit und die immer wieder verblüffende Härte und Rohheit aller Songs.
Sorry ist sicher eines der besten Alben diesen Jahres, um einfach mal
auszuflippen.
Highlights: Take the
Mirror, Thick Lip, Bag, I Rot
15. Captain Planet –
Treibeis
(Punk Rock)
Es
hat sich sicher viel geändert seit der Veröffentlichung von Captain
Planets Debüt Wasser kommt, Wasser geht vor gut 5 Jahren – Die
Band wurde zurecht mit Lob überhäuft von Punk-Seiten bis hin zum
Feuilleton der ZEIT und aus den Studenten von damals sind
berufstätige Familienmenschen geworden. Doch musikalisch bleibt (zum
Glück) auch auf Treibeis alles beim alten. Was nicht heißt, dass
Captain Planet stagnieren oder sich wiederholen. Der Sound ist fetter
und eindringlicher als zuvor, die Texte noch besser als auf den
Vorgängern und dabei genau so einprägsam und wichtig. Was die Band
aber so besonders und einzigartig macht, ist ihre Direktheit, die
emotionale Wucht mit der sich jeder Song sofort in Herz, Hirn und die
Beine bohrt.
Auch
auf Treibeis sind alle Songs in der zweiten Person Singular verfasst
– das „Du“ scheint manchmal an eine ganz bestimmte Person
gerichtet und an anderen Stellen eher an alle Hörer von Captain Planet. Immer aber
klingen die Texte wie direkt für DICH oder MICH geschrieben. Die
Lieder auf Treibeis spielen in deiner WG, deiner Lieblingskneipe und
in deinem Leben. Jeder der flirrenden Momentaufnahmen auf dieser Platte hören sich an wie Teile einer Highlight-Sammlung aus dem Alltag deines
Lebens oder zumindest dem Leben, das du gerne leben würdest – und
wahrscheinlich auch leben könntest. Die Songs sind nicht politisch
im engeren Sinne und auch keine Liebeslieder oder Lebensweisheiten,
sondern von all dem etwas und noch viel mehr.
Musikalisch gibt es
wieder 11 schnelle Songs, ohne Verschnaufpause und mit einer
Gefühls-Wucht, die dem fantastischen Debüt ebenbürtig ist.
Insgesamt klingt alles etwas erwachsener und irgendwie noch
bedeutsamer; Hinter den scharfen Alltagsbeobachtungen stecken viel
Einsamkeit, Frust und Niederlagen. Vorgetragen mit Jan Arne von
Twisterns Press-Stimme zwischen Wut und Melancholie und unterstützt
von einer noch besseren Produktion sowie kleinen, aber feinen
Neuigkeiten im Sound wird aus Treibeis ein weiteres, großartiges
Stück rotzigem, ehrlichen Punk Rock aus Deutschland. Ich kann nur
hoffen, dass meine Kinder mal so coole Lehrer haben werden wie die
Jungs aus dieser Band – ihre Musik werden sie auf jeden Fall Mal zu
hören bekommen.
14. Amenra
– Mass V
(Sludge, Doom Metal, Post-Metal)
Amenra
verdienen wirklich Respekt für ihre Konsequenz – Andere Metalbands
verändern ihren Sound über die Jahre deutlich, streuen Melodie und
Farbe darunter, oder stagnieren und werden zu einer blassen
Selbstkopie. Amenra dagegen loten weiter kompromisslos die absolute
Schwärze aus. Keine Farbe, keine Verschnaufpausen, nur
hoffnungslose, alles erdrückende Dunkelheit. Statt Stagnation gibt
es eine weitere Verfeinerung und Verdichtung des Erfolgsrezepts und dazu den bisher
mit Abstand fettesten Sound der Bandgeschichte.
Die gut vier Jahre, die
seit dem letzten regulären Release vergangen sind, haben Amenra für
einen äußerst gelungen Ausflug in die akustische Musik genutzt und
für diverse musikalische Nebenprojekte, die gemeinsam mit anderen
befreundeten Bands die Church of Ra bilden. Diese vertiefte
Mythologie und der vergrößerte musikalische Horizont sind deutlich
zu hören auf den vier gigantischen Songs von Mass V. Alle Songs
beginnen dabei ungewöhnlich ruhig, mit unheilvollen Geräuschkulissen und
cleanem Gesang. Dazu gibt es beängstigendes Flüstern, meisterhafte
Spannungsaufbauten und vielschichtige Arrangements. Im Mittelpunkt
stehen aber immer noch diese monströsen Riffs und der
markerschütternde, unmenschliche Gesang von Colin H. Van Eeckhout,
der sämtliche Konkurrenz sowohl in Sachen Intensität als auch Härte
mühelos zu Staub zermalmt. Und diese Stärken macht auch Mass V
wieder zu einem uneingeschränkten Genuss. Amenra sind unglaublich heavy,
verbinden das aber mit einer Emotionalität und
Tiefe, die sie einzigartig macht.
Der einzige Nachteil von Mass V ist seine bei nur vier Songs
so geringe Laufzeit. Dafür gibt es aber auch keinerlei Schwächen,
Längen oder Wiederholungen – Das Album ist gleichzeitig kompakt
und doch von einer epischen, erdrückenden Breite. Die musikalischen
Attacken von Amenra bewegen sich wie mit der schleppenden, aber
unentrinnbaren Gewalt von Lava, die den Hörer weiter und weiter in
eine unendliche und unergründliche Dunkelheit drängt. Der Sound
kommt von allen Seiten, er überwältigt zutiefst und lässt trotzdem
hungrig zurück.
Highlights: Boden,
Nowena | 9.10
13. Sarah Jaffe – The Body Wins
(Folk/Singer-Songwriter, Indie)
The
Body Wins, Sarah Jaffes zweites Album, schockt beim ersten
Hördurchgang schon ein wenig. Der intime und oft spartanische Folk
des Vorgängers weicht plötzlich größeren Arrangements, inklusive
Bläsern, Streichern und sogar so etwas wie einem elektronischem
Sound an manchen Ecken. So ist die Vorabsingle Glorified High ein
eingängiges Pop-Lied mit richtigem Beat und auf jeden Fall tanzbar.
Andere Songs auf dem Album sind sogar rockig und Jaffe klingt
plötzlich tough und wütend.
Nachdem der anfängliche Schock aber
überwunden ist und man mal etwas offener hinhört, merkt man
schnell, dass diese Weiterentwicklung, diese Erweiterung des
musikalischen Kosmos nicht nur funktioniert, sondern The Body Wins sogar besser als den bereits tollen Vorgänger macht. Denn im Mittelpunkt steht immer
noch Sarah Jaffes unbeschreiblich warme und berührende Stimme, die
trotz dem größeren Sound von The Body Wins nie untergeht. Der kurze
Opener Paul balanciert in nicht einmal 2 Minuten schon Euphorie und
Melancholie, zärtliche Ballade und dramatische Orchestermomente.
Paul fließt gekonnt in den Titelsong über, der die musikalische
Palette dann noch um Bläser, Beat und einen unglaublichen Sex-Appeal
erweitert. Der Rest des Albums folgt diesen Sound-Vorgaben, mischt
sie aber anders und stellt sie dazu neben Songs, die mehr an Jaffes
ältere Songs erinnern. Diese Mischung macht The Body Wins zu einem
so erfolgreichen Zweitwerk mit hoher Halbwertszeit.
Highlights: Paul, The
Body Wins, Halfway Right, Sucker for your Marketing
12. Swans - The Seer
(Noise,
Experimental)
The
Seer ist ein Monstrum – Über 2 Stunden Musik, verteilt auf 2 Cd's,
teilweise 30 Minuten lange Songs, die meilenweit entfernt sind von
konventionellen Melodien oder Songstrukturen. Und da es (zu Recht!)
eines der von Kritikern am meisten geliebten Werke dieses Jahres ist,
wird es wohl unzählige Ersthörer verschrecken und wütend machen.
Wenn man aber weiß, was kommt, ist The Seer kein Lärm, sondern ein rauschhaftes,
aufwühlendes, meditatives und kathartisches Erlebnis ohne gleichen. Swans loten die Feinheiten von kontrolliertem Lärm, hypnotischer
Ambient-Musik und purer Bosheit und Dunkelheit bis zur Perfektion aus
und sprenkeln darauf die feinsten Spuren von Schönheit und Licht.
Swans-Mastermind
und einziges verbleibendes Original-Mitglied Michael Gira wirkt dabei
auch nach 30 Jahren keineswegs müde, sondern voller Energie. Er
singt und keucht sich durch die Songs und ist ansonsten Mittelpunkt
und Dirigent dieses Sound-Ungetüms, das dank der perfekt
eingespielten Band und hochkarätiger Gäste wie u.a. Karen O und
Mitglieder von Low, gleichzeitig spontan und bis ins kleinste Detail
durchgeplant klingt. Die resultierende Klanglandschaften sind erdrückend
und anstrengend, aber doch auch erfrischend und befreiend.
Highlights: Lunacy,
Mother of the World, The Seer, Avatar, The Apostate
11. Jessie
Ware – Devotion
(RnB, Soul, Pop)
Jessie
Ware schafft auf ihrem Debüt-Album eindrucksvoll den Spagat zwischen
Radio-freundlicher Popmusik und modernem RnB mit Tiefe und am
allerwichtigsten – Klasse. Denn was fast als erstes an Jessie Ware
auffällt – Optisch, Textlich und Musikalisch - ist ihre Klasse. Sie
wirkt auf den ersten Blick nicht wie ein modellierter Popstar oder ein oberflächclihes
Sternchen, sondern wie eine eindrucksvolle und absolut ernst zu nehmende Diva (im positiven
Sinne!). Diesen Eindruck erfüllt sie dann mit ihrer Musik auch zu
100%. Im Mittelpunkt steht natürlich diese gigantische,
leidenschaftliche Stimme, die Ware eindrucksvoll, aber immer auch
Song-dienlich einsetzt. Hier gibt es kein stimmliches Geflatter oder
peinliche Gesangs-Marotten, sondern eine fesselnde, erwachsene und
selbstsichere Stimme. Die Songs wurden mit drei verschiedenen
Produzenten geschrieben, die durch verschiedene Herangehensweisen den Songs einen individuellen Stempel aufdrücken. Das Devotion trotzdem geschlossen und stimmig klingt ist in erster Linie Jessie Wares ebenso variabler wie unverkennbarer Stimme zu verdanken.
Diese Stimme erinnert mich manchmal
an Sade oder vergleichbare Künstlerinnen, Wares Musik aber ist eher zwischen Florence and
the Machine, Lana Del Rey und Adele angesiedelt. Im Gegensatz zu der
Musik dieser Frauen ist Devotion aber nicht nur von der Musik, sondern auch
von den Stimmungen her deutlich variabler. Darüber hinaus schaffen es die Beteiligten auch die Persönlichkeit
der Künstlerin und ihre Musik ebenbürtig und komplementär neben
einander zu stellen. So gewinnt dann sogar eine luftige, sexy
Popnummer wie 110%, die bei anderen Sängerinnen
vermutlich in übertriebener Erotik untergehen würde, dank Wares kraftvoller Stimme und ihrer
untypischen „Aura“ an Substanz. Am besten aber
entfaltet sich die Kraft von Ware bei dramatischen
RnB-Songs wie Wildest Moments oder Night Light, die mit großen
Refrains aufwarten und vor Leidenschaft nur so strotzen, ohne aber in
sinnlosen Bombast zu verfallen. Im Gegensatz dazu ist Devotion zu jeder
Zeit etwas zurück genommen und gesetzt, ohne aber auch nur im
entferntesten langweilig zu wirken. Es verbinden sich hier ehrliche
Leidenschaft mit einer gewissen Kultiviertheit, die viel
interessanter ist als ein schrilles Gehangel von Höhepunkt zu
Höhepunkt ohne Nuancen. Denn die nutzt sich schnell ab, während
Devotion mit jedem Hören besser wird.
Highlights:
Wildest Moments, No to Love, Night Light, Swan Song, Taking in Water
Weitere Anwärter auf die Top 20:
- Cat
Power's kraftvolle
musikalische Wiedergeburt Sun,
die sehr wahrscheinlich in meiner Top 20 gelandet wäre, wenn ich
früher rein gehört hätte.
- Die
tolle The Knife-Verbeugung von Purity Ring, die auf ihrem
Album Shrines faszinierende Electro Pop-Hits mit hypnotischer, düsterer Schlagseite erschaffen.
- Krallice
technisch und songschreiberisch überwältigendes
Black-Metal-Monstrum Years Past Matter, das ich noch lange
nicht ausreichend verdaut habe.
- Das
schmerzhaft authentische und brachial-emotionale
Screamo/Hardcore-Glanzstück I.V. von Loma Prieta.
- Das
dritte Crystal Castles-Album,
das kompromisslos düster ist und vertonte Hoffnungslosigkeit mit
Gruselfaktor und unerwarteter Tanzbarkeit verbindet.
- Xiu
Xiu's zwar
etwas unausgeglichenes und schwer verdauliches, aber dafür umso
intensiveres und aufwühlendes Album Always.
- Get Disowned, das herrlich wilde, spaßige und ergreifende neue Album von Hop Along
Die Top 10 gibt es am Sonntag...
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