10. Converge – All we
love we leave behind
(Hardcore/ Mathcore)
Kaum zu glauben, dass eine Band
die musikalisch, ästhetisch und inhaltlich so kompromisslos ist schon seit über 20 Jahren existiert und das ohne ein auch nur
ansatzweise schlechtes oder langweiliges Album produziert zu haben. Nach
dem fantastischen, mit Gästen gespickten Axe to Fall ist All we love
we leave behind wieder mehr back to basics. Die komplette Musik, Albumproduktion und das Artwork wurden ausschließlich von den vier
Bandmitgliedern kreiert. So ein „reduziertes“ Album kann oft
antiklimatisch wirken, aber bei Converge bekommt der Hörer
stattdessen ein intensives, abwechslungsreiches Stück Musik, das auf die
bisherige Soundentwicklung der Band seit dem Magnum Opus Jane Doe zurück greift, ohne das
sich Converge dabei wiederholen würden. So einen atemlosen und
atemberaubenden Beginn wie auf dem Vorgänger gibt es nicht, dafür
ist All we Love... gleichzeitig abwechslungsreicher und doch auch
flüssiger und in sich geschlossener als Axe to Fall, wo es auch
einige Songs gab, die wenig Eindruck hinterließen.
Der
Opener Aimless Arrow wartet mit fast so etwas wie cleanem Gesang auf
und daneben auch mit mehr Emotionen als andere Bands in ihrer ganzen Karriere. Die Produktion ist dazu direkt, laut und
dynamisch wie immer. Auf dem Rest des Albums loten Converge dann
weiter ihren unverwechselbaren Sound aus. Heftige und melodische Songs wechseln sich ab,
aber alle Songs haben immer wieder unerwartete Schlenker und
Überraschungsmomente. So ist Sadness comes Home so etwas wie ein
Doom Metal-Song gemischt mit Converges melodischer Seite, Coral Blue
sogar fast so etwas wie ein epischer Rocksong und der Titelsong
einfach nur eine überwältigende, musikalische Verarbeitung von
Schmerz. Schwachstellen gibt es diesmal eigentlich keine und es ist
eine Freude einer Band zu lauschen, die nach all den Jahren nicht
nur immer noch relevant ist, sondern auch nach wie vor Spaß an der
Sache hat und Erfüllung darin findet.
Highlights: Aimless
Arrow, Sadness comes Home, Coral Blue, Shame in the Way
9. Dry the River – Shallow Bed
(Folk
Rock/ Indie Rock)
Dry
the River verbinden auf ihrem beeindruckenden Debüt zarten,
melancholischen Folk mit dramatischer Rockmusik im Breitwandformat.
Und das äußerst gut und mitreißend. Die Stimme des Sängers
wechselt mühelos vom hohen Falsetto zu kraftvollen,
leidenschaftlichen Ausbrüchen. Die Musik dazu fühlt sich ebenso
heimisch in verträumten Folk-Balladen wie in stadiongroßen
Rockgesten. Das ganze ist natürlich manchmal etwas schmalzig und
melodramatisch, aber das ist bei so gelungenen Songs vollkommen in Ordnung und eine willkommene
Abwechslung zu den oft so blutleeren und leidenschaftslosen Hype-Bands der letzten Jahre. Die Band an sich sieht
zwar teilweise aus wie eine Mischung aus Hipster und Metalfans
aus den 80ern, gleicht das ganze aber durch Humor,
Bescheidenheit und ein generell sehr sympathisches Auftreten aus. Und ohne dieses Bild vor Augen spricht die Musik eigentlich auch für sich selbst.
Auf Shallow Bed befinden sich fast ausschließlich Songs, die sich von zarten Anfängen zu dramatischen Rocksongs mit jeder Menge Bombast steigern. Doch der Bombast ist nie nur leere Angeberei, sondern wohl verdiente Belohnung einer Band, die sich musikalisch und emotional in jedem Lied verausgabt und einfach alles gibt. Vom poppigen, euphorischen Überhit New Ceremony über den explodierenden Gänsehautrocker No Rest bis zum absolut epischen Abschlusstrack Lion's Den ist Shallow Bed ein Album ohne Schwächen und voller Hits. Für Fans von Bon Iver, Mumford & Sons oder auch Biffy Clyro – vor allem auch für solche, die gerne mal wieder etwas frisches, aufregendes hören wollen - sind Dry the River ein Muss!
Auf Shallow Bed befinden sich fast ausschließlich Songs, die sich von zarten Anfängen zu dramatischen Rocksongs mit jeder Menge Bombast steigern. Doch der Bombast ist nie nur leere Angeberei, sondern wohl verdiente Belohnung einer Band, die sich musikalisch und emotional in jedem Lied verausgabt und einfach alles gibt. Vom poppigen, euphorischen Überhit New Ceremony über den explodierenden Gänsehautrocker No Rest bis zum absolut epischen Abschlusstrack Lion's Den ist Shallow Bed ein Album ohne Schwächen und voller Hits. Für Fans von Bon Iver, Mumford & Sons oder auch Biffy Clyro – vor allem auch für solche, die gerne mal wieder etwas frisches, aufregendes hören wollen - sind Dry the River ein Muss!
Highlights: New
Ceremony, Bible Belt, No Rest, Weights & Measures, Lion's Den
8. Burial – Kindred
(Dubstep/ Electronic)
Burial schafft Meisterwerke
elektronischer Musik, irgendwo zwischen Dubstep und Ambient, aber
meilenweit entfernt von der Lautsprecher-zerstörenden Uffta-Uffta-Musik,
die seit einigen Jahren so populär als Dubstep verkauft wird.
Kindred ist ein weiterer atmosphärischer Geniestreich, der den bekannten Sound von
Burial perfektioniert, erweitert und irgendwie auch komplett
überwindet. Die drei Songs bewegen sich zwischen 7 und 12 Minuten
und sind damit deutlich länger als die meisten bisherigen Songs des
Produzenten. Mehr Zeit bedeutet aber keineswegs Wiederholungen oder
Langeweile, sondern mehr Raum zum Atem für diesen so einzigartig
lebendigen Sound.
Der Titelsong vermischt den gewohnten Dubstep-Beat mit jeder Menge verzerrter, körperloser aber trotzdem leidenschaftlicher Stimmfetzen und unzähliger scheinbar halbfertiger Melodien und Geräuschen, die einen dichten, beunruhigenden, berührenden und endlos fesselnden Mikrokosmos bilden. Die zwei anderen Songs der EP gehen noch deutlich weiter. Sie rücken eindringliche, manchmal fast tanzbare Melodien und Beats in den Vordergrund und schaffen epische Klang-Labyrinthe, deren Aufteilung in verschiedene Teile mit unterschiedlichen Stimmungen und wiederkehrenden Klänge und Klangmotiven fast schon an klassische Musik erinnert. Und unter diesen meisterhaft strukturierten Klangepen befindet sich dazu noch eine unglaubliche Melancholie und Gefühlsdichte, die eigentlich unmöglich scheint – vor allem mit den Mitteln scheinbar so körperloser und künstlicher, elektronischer Musik.
Der Titelsong vermischt den gewohnten Dubstep-Beat mit jeder Menge verzerrter, körperloser aber trotzdem leidenschaftlicher Stimmfetzen und unzähliger scheinbar halbfertiger Melodien und Geräuschen, die einen dichten, beunruhigenden, berührenden und endlos fesselnden Mikrokosmos bilden. Die zwei anderen Songs der EP gehen noch deutlich weiter. Sie rücken eindringliche, manchmal fast tanzbare Melodien und Beats in den Vordergrund und schaffen epische Klang-Labyrinthe, deren Aufteilung in verschiedene Teile mit unterschiedlichen Stimmungen und wiederkehrenden Klänge und Klangmotiven fast schon an klassische Musik erinnert. Und unter diesen meisterhaft strukturierten Klangepen befindet sich dazu noch eine unglaubliche Melancholie und Gefühlsdichte, die eigentlich unmöglich scheint – vor allem mit den Mitteln scheinbar so körperloser und künstlicher, elektronischer Musik.
Highlights:
-
7. Poliça –
Give you the Ghost
(Indie
Rock/Electronic/ RnB)
Ich
hatte Poliça überhaupt nicht auf dem Schirm und zuerst gedacht, sie
würden eher langweilige Popmusik machen. Zum Glück lag ich nicht nur total daneben, sondern habe dann doch noch mal
rein gehört. Denn Give you the Ghost ist ein faszinierernder Mix aus Electro, RnB, Pop
und einem leichten Goth-Vibe. Das klingt schon mal interessant, was
es aber einzigartig macht, ist die absichtlich mit Autotune
manipulierte Stimme von Sängerin Channy
Casselle und die hektische, ominpräsente Percussion der zwei(!)
Drummer, die den Mittelpunkt von Poliça's
Sound bilden. Diese Kombination sorgt dafür, dass die Songs immer
absolut hypnotisch sind und doch auch eine fiebrige Intensität
ausstrahlen.
Casselles Stimme verliert durch die Manipulation keineswegs an Eindringlichkeit oder Emotionalität, stattdessen scheint ihr leidenschaftlicher Gesang zu jeder Zeit aus allen Richtungen zugleich zu kommen. Die Idee den eher elektronischen Sound mit gleich zwei echten Schlagzeugern anzureichern ist ebenso ungewöhnlich. Die Beats klingen so einfach erfrischend organisch, vielseitig und oft auch angenehm überwältigend. Zusammen schafft das einen zu jeder Zeit pulsierenden, lebendigen Sound, der den Hörer von Tanzlaune bis zu tiefer Melancholie in verschiedenste Stimmungen versetzen kann. Das ist erstaunlich mit diesen Mitteln, äußerst kreativ und lädt dazu ein, sich total in der Musik zu verlieren – eine Qualität, die Poliça vor allem anderen auszeichnet.
Casselles Stimme verliert durch die Manipulation keineswegs an Eindringlichkeit oder Emotionalität, stattdessen scheint ihr leidenschaftlicher Gesang zu jeder Zeit aus allen Richtungen zugleich zu kommen. Die Idee den eher elektronischen Sound mit gleich zwei echten Schlagzeugern anzureichern ist ebenso ungewöhnlich. Die Beats klingen so einfach erfrischend organisch, vielseitig und oft auch angenehm überwältigend. Zusammen schafft das einen zu jeder Zeit pulsierenden, lebendigen Sound, der den Hörer von Tanzlaune bis zu tiefer Melancholie in verschiedenste Stimmungen versetzen kann. Das ist erstaunlich mit diesen Mitteln, äußerst kreativ und lädt dazu ein, sich total in der Musik zu verlieren – eine Qualität, die Poliça vor allem anderen auszeichnet.
Highlights: Amongster,
Violent Games, Dark Star, Lay your Cards out
6. Frank Ocean –
Channel Orange
(RnB)
Frank Ocean hatte eine interessante Karriere bisher. Er fing an als
anonymer Songwriter für Chart-Schwergewichte wie Justin Bieber oder
Beyoncè und wurde erstmals bekannt als Teil der Rüpel-Rapper von
Odd Future und dann als Sänger auf dem Jay-Z/Kanye West-Album Watch
the Throne. Doch diese Ersteindrücke täuschen auf jeden Fall: Als
Song-Writer für andere waren Oceans Talente sicherlich verschwendet,
ebenso als Background-Sänger. Und mit den anderen Odd Future-Leuten
verbindet ihn neben Freundschaft sicherlich nur die Frischzellenkur,
die sie eher schwerfälligen Musikrichtungen verpasst haben. Denn
Frank Ocean ist zu meiner Überraschung als absoluter RnB-Laie nicht
nur ein fantastischer Sänger und genialer Songwriter, er
schafft es auch Skeptiker wie mich uneingeschränkt zu begeistern
mit seiner hervorragenden, zärtlichen Popmusik.
Frank
Oceans erstes Album/Mixtape war größtenteils schon ein wunderbares
Album, doch Channel Orange toppt das noch locker - Es ist besser
produziert, hat noch mehr Emotionen, ist vielseitiger und besteht
ausschließlich aus Hits, ohne eintönig zu sein oder sich schnell ab
zu nutzen. Der Release von Channel Orange lief dabei fast Gefahr von
dem großen Vorab-Hype und Oceans Outing wenige Tage zuvor überschattet
zu werden. Doch glücklicherweise ist das Material einfach zu stark dafür.
Neben den offensichtlichen musikalischen Qualitäten ist es vor allem
die emotionale Tiefe und Wucht von Oceans Songs, die ihn für mich
von den meisten anderen (Pop)-Sängern unterscheiden: Er singt auch über
die große Liebe, Partys und das Ganze, aber wie er es singt! Als
eines von zahlreichen Beispielen sei nur Bad Religion genannt –
Ocean beichtet einem Taxifahrer eine tragische, unerwiderte
Liebe und zwar mit so viel Überzeugung und Gefühl, dass die
Gänsehaut nicht weit entfernt ist.
Das ganze Album transportiert dann auch, trotz vieler lockerer Ohrwürmer immer eine Schwere, eine Traurigkeit, eine Melancholie und nicht zuletzt eine überraschende Tiefe hinter der Fassade eines Popalbums. Und dabei muss man sich immer vor Augen halten, dass alles aus der Feder und dem Mund eines gerade einmal 25-jährigen stammt! Die einzigen Gäste sind Odd Future-Kollege Earl Sweatshirt, Andrè 3000 (Ex-Outkast) und John Mayer, die jeweils entspannte und Song-dienliche Parts beisteuern. Der Rest ist die Frank Ocean-Show – und das vollkommen zurecht. Von der zuckersüßen Liebesnummer Thinkin bout you, über das mehrteilige Opus Pyramids bis hin zu Lost, dem wohl besten Radiosong 2012 (der leider nie im Radio laufen wird) ist es vor allem seine samtweiche, große Stimme, die fesselt und süchtig macht. Zum Ende bleibt mir neben unzähligen Ohrwürmern auch die Erkenntnis, dass ich die Musikrichtung RnB wohl nicht mehr so leicht ignorieren kann.
Das ganze Album transportiert dann auch, trotz vieler lockerer Ohrwürmer immer eine Schwere, eine Traurigkeit, eine Melancholie und nicht zuletzt eine überraschende Tiefe hinter der Fassade eines Popalbums. Und dabei muss man sich immer vor Augen halten, dass alles aus der Feder und dem Mund eines gerade einmal 25-jährigen stammt! Die einzigen Gäste sind Odd Future-Kollege Earl Sweatshirt, Andrè 3000 (Ex-Outkast) und John Mayer, die jeweils entspannte und Song-dienliche Parts beisteuern. Der Rest ist die Frank Ocean-Show – und das vollkommen zurecht. Von der zuckersüßen Liebesnummer Thinkin bout you, über das mehrteilige Opus Pyramids bis hin zu Lost, dem wohl besten Radiosong 2012 (der leider nie im Radio laufen wird) ist es vor allem seine samtweiche, große Stimme, die fesselt und süchtig macht. Zum Ende bleibt mir neben unzähligen Ohrwürmern auch die Erkenntnis, dass ich die Musikrichtung RnB wohl nicht mehr so leicht ignorieren kann.
Highlights: Sweet
Life, Pyramids, Lost, Bad Religion, Pink Matter (feat. André 3000)
5. Breton – Other Peoples Problems
(Indie
Rock/Electronic/Dubstep)
Breton
aus London sind so etwas wie die Mischung aus allen britischen
Stilen, die in den letzten Jahren zu Exportschlagern wurden. Sie
klingen manchmal ein wenig nach Brit Pop, öfter nach einer typisch
britischen Indie-Band und dann gibt es noch jede Menge düstere
Elektronik/Dub Step-Elemente in ihrem Sound. Eine der größten
Leistungen dieses beeindruckenden Debüts ist es, dass Breton nie wie
eine bloße Kopie oder etwas zum x-ten Mal Aufgewärmtes klingen.
Stattdessen formen die Briten aus all diesen Einflüssen ein
mitreißendes Album, bei dem das Collagen-hafte zur Stärke wird.
Daneben ist Other Peoples Problems aber auch einfach voller Hits, tanzbare, mitreißende Hymnen mit Ohrwurmpotential. Die dramatischen Geste und der Kitsch werden dabei immer von einem schroffen Sound und einer beunruhigenden Intensität in Schach gehalten. Der Sound insgesamt ist dabei unglaublich dicht, es passiert andauernd jede Menge auf einmal und man entdeckt immer neue Details während einen die schiere Wucht der Musik immer wieder aufs neue fesselt.
Daneben ist Other Peoples Problems aber auch einfach voller Hits, tanzbare, mitreißende Hymnen mit Ohrwurmpotential. Die dramatischen Geste und der Kitsch werden dabei immer von einem schroffen Sound und einer beunruhigenden Intensität in Schach gehalten. Der Sound insgesamt ist dabei unglaublich dicht, es passiert andauernd jede Menge auf einmal und man entdeckt immer neue Details während einen die schiere Wucht der Musik immer wieder aufs neue fesselt.
Highlights: Edward the
Confessor, Wood and Plastic, Governing Correctly, Interference,
Jostle
4. Aesop Rock – Skelethon
(Hip
Hop)
Die letzten
beiden Alben von Aesop Rock waren zwar auch sehr gute, originelle und
endlos fordernde Stücke Rapmusik, aber es fehlte doch manchmal ein
wenig die Eingängigkeit und die persönliche Note für mich. Aesop
Rocks Musik war schon immer seltsam und seine Texte irgendwo zwischen
brillant und unverständlich, aber auf Skelethon kommt wieder diese
Eingängigkeit und emotionale Wucht aus unerwarteten Richtungen hinzu, die die seine ersten Alben so einzigartig
gemacht haben.
Inhaltlich verarbeitet
Aesop Rock auf Skelethon den frühen Tod eines guten Freundes, seine
Eheprobleme und jede Menge persönlicher Themen. Das kann man
zumindest teilweise aus den Texten erfahren oder aus Interviews und
Plattenkritiken. Darüber hinaus geht es wie immer auch noch um 1.000
andere Sachen, von denen man nur 10 % versteht. Ansonsten
funktionieren die Texte aber auch hier wieder als wunderbar-schräge
Geschichten, als kaum verständliche Stream of Conciousness-Lehrstücke oder als
endlose Quelle interessanter Wortspiele.
Die Produktion ist insgesamt
die düsterste, aber dennoch abwechslungsreichste auf einem Aesop
Rock-Album. Zielstrebige Songs mit ungewöhnlich hoher Wucht haben
ebenso Platz auf Skelethon wie verspielte Lieder voller schrägem
Humor. Cycles of Gehenna wandelt sich von einem stampfenden,
aggressiven Hip Hop-Song zu einem nur von Keyboard begleitetem,
lyrischen Meisterwerk, das endlose Gänsehaut erzeugt. Racing Stripes
und Grace befassen sich dagegen auf intelligente, endlos lustige
Weise mit schlechten Frisuren bzw. einem Kind, das sein Gemüse nicht
essen will. Der Rest des Albums befindet sich thematisch, musikalisch
und atmosphärisch irgendwo zwischen diesen zwei Extremen und das
Skelethon nicht nur durchgehend sehr gut ist, sondern sich auch
organisch zu einem durchweg hörbaren Gesamtwerk zusammen fügt, ist
eine nicht zu unterschätzende Leistung des Texters, Rappers und
Produzenten Aesop Rock. Das Album endet mit dem leicht mystisch
angehauchten, durchweg epischen genau so wie melancholischen Song Gopher Guts.
Hier mischen sich fast schon biblisch anmutende Textzeilen mit
Lyric-Fetzen, die wochenlanges Nachdenken erfordern und einem letzten
Vers, der überraschend verständlich, persönlich und berührend ist Das verdeutlicht anschaulich wie Skelethon neue Stärken mit dem Appeal alter Alben
verbindet. Die zwei sehr guten, wenn auch geradlinigeren Bonustracks
sind dann noch mal Sahnehäubchen auf dem besten Aesop Rock-Album
seit Labor Days (mindestens!).
Highlights: Cycles to
Gehenna, Fryerstarter, Crows 2, Racing Stripes, Gopher Guts
3. Fiona Apple – The
Idler Wheel Is Wiser Than the Driver of the Screw and Whipping Cords
Will Serve You More Than Ropes Will Ever Do
(Singer-Songwriter/
Folk/ Indie)
Fiona Apple war gerade erst 19 Jahre
als ihr Debüt Tidal erschien und sie mit einem Schlag berühmt
machte; ihre Songs wurden plötzlich auf MTV gespielt, sie wurde zum
Kritikerliebling und Indie-Idol. Es ist also nicht verwunderlich,
dass 16 Jahre später um ihr erst 4. Album ein irrsinniges Aufsehen
in gewissen Kreisen gemacht wird. The Idler Wheel... ist Apples
erstes Lebenszeichen in 7 Jahren, nachdem das Album wie auch schon der ewig
verschobene Vorgänger auf sich warten ließ. Und wieder hat sich das
Warten auf jeden Fall gelohnt. Heute wie damals nimmt Fiona
Apple ihr musikalisches Talent, ihre immer präsenten Seltsamkeiten
und eine schonungslose Offenheit und macht daraus unruhige, lebendige
und berührende Song-Meisterwerke. Und auch wenn es manchmal fast
etwas zu seltsam für Popmusik ist oder auch etwas zu direkt und
persönlich, ist hier nichts gespielt. Fiona Apple ist einfach
wirklich seltsam und hat diverse tiefsitzende Probleme, die
sie eindrucksvoll in ihrer Musik verarbeitet – sie ist nicht
einfach nur „schräg“ und „seltsam“, weil es zur Musik passt,
wie unzählige Nachahmer und Kopien. Hier ist die Musik lebensrettendes
Ventil und die Texte notwendige Verarbeitungen von katastrophalen
Gefühlszuständen.
Aber auch abgesehen von
ihrer Persönlichkeit, die sich nur schwer ausblenden lässt, ist
dieses Album fantastisch und vielleicht Fiona Apples bestes, sicher
aber ihr (ausge)reifstes. The Idler Wheel... ist gleichzeitig
minimalistisch und überwältigend. Die meisten Songs
bestehen „nur“ aus Klavier, Percussion und natürlich Apples
einzigartiger Stimme. Die alleine ist aber schon gleichzeitig
fesselnde Geschichtenerzählerin und das Äquivalent von mindestens
fünf Instrumenten; Sie singt, knurrt, schnurrt, spricht, schreit und
reizt ihre Stimme in den verschiedensten Tonlagen bis zum äußersten
aus. Und während das Klavier die musikalische Grundlage dazu bildet,
versucht die Percussion eindrucksvoll mit Apples gesanglicher
Akrobatik Schritt zu halten. Sie ist überall präsent und passt sich
den Stimmungen des Liedes an, ist immer dominant ohne störend zu
wirken. Die Lieder sind insgesamt sehr abwechslungsreich: Von dem
triumphalen, traumhaften Opener Every Single Night, zu Werewolf, einem textlich
wunderbar cleveren Abgesang auf die Liebe bis hin zu einem
brodelnden Wutbrocken wie Regret, durchläuft Fiona Apple eine ganze
Batterie an Stimmungen, ohne dabei den roten Faden zu verlieren. Was
die Songs aber neben einer gewissen musikalischen Geschlossenheit
verbindet, ist vor allem ihre Energie. Das ganze Album scheint
dauerhaft unter Strom zu stehen und das steckt natürlich sofort an
und reißt mit. Denn auch, wenn die Musik auf den ersten Blick
Klaviermusik, Pop, Indie oder auch Jazz ist, sind die Songs von
Fiona Apple mehr vertonte Gefühlsexplosionen, die ihres gleichen
suchen – und das macht auch dieses Album wieder zu so einem
Highlight.
Highlights: Every
Single Night, Jonathan, Werewolf, Anything we Want
2. Cloud Nothings – Attack on Memory
(Indie
Rock/ Noise Pop/ Punk)
Es
gibt Alben, die haben ein paar Hits mit einigen Füller-Tracks
dazwischen und es gibt durchweg gute Platten ohne wirkliche
Highlights, die am besten am Stück gehört werden. Attack on Memory
ist eines der wenigen Alben, das den Spagat zwischen beiden Extremen
schafft. Jedes Lied ist ein Hit mit endlosem Abspielpotential und
trotzdem ist die ganze Platte ein rundes Gesamtkunstwerk ohne
Schwachstellen.
Opener No Future/No Past ist dabei gleich am ungewöhnlichsten: ein Mantra-artig vorgetragenes, sich langsam hoch schaukelndes Stück pure Verzweiflung. Was dann folgt ist oft lärmige und schrammelige, aber immer überraschend eingängige Gitarrenmusik, die mich zwischen Noise und Indie auch immer wieder an die Emobands der 90er Jahre und auch mal an die Spätphase von Nirvana erinnert. Sänger Dylan Baldi nölt und krächzt sich dazu in einfachen, aber einprägsamen Texten die Seele aus dem Leib mit leidenschaftlichen Geständnissen der eigenen Unfähigkeit und trotzigen Geschichten über das Scheitern im Leben und in der Liebe. Viel mehr über Attack on Memory zu schreiben, fällt mir schwer, da es einfach unmöglich ist die Magie, die Cloud Nothings aus so gewöhnlichen und schon so oft da gewesenen Elementen erzeugen mit Worten adäquat zusammen zu fassen. Also am Besten einfach rein hören...
Opener No Future/No Past ist dabei gleich am ungewöhnlichsten: ein Mantra-artig vorgetragenes, sich langsam hoch schaukelndes Stück pure Verzweiflung. Was dann folgt ist oft lärmige und schrammelige, aber immer überraschend eingängige Gitarrenmusik, die mich zwischen Noise und Indie auch immer wieder an die Emobands der 90er Jahre und auch mal an die Spätphase von Nirvana erinnert. Sänger Dylan Baldi nölt und krächzt sich dazu in einfachen, aber einprägsamen Texten die Seele aus dem Leib mit leidenschaftlichen Geständnissen der eigenen Unfähigkeit und trotzigen Geschichten über das Scheitern im Leben und in der Liebe. Viel mehr über Attack on Memory zu schreiben, fällt mir schwer, da es einfach unmöglich ist die Magie, die Cloud Nothings aus so gewöhnlichen und schon so oft da gewesenen Elementen erzeugen mit Worten adäquat zusammen zu fassen. Also am Besten einfach rein hören...
Highlights: Wasted
Days, Fall In, Stay Useless, Our Plans, Cut You
1. El-P – Cancer 4 Cure
(Hip
Hop)
El-P ist
ein sehr guter Rapper und ein fantastischer Produzent. Das einzige
Problem, das seine Alben bisher hatten war die ständige
Überforderung des Hörers. Alles war zu dicht, Schichten über
Schichten von Beats, Melodien und Noise und dazu El-P's ultradichter,
aggressiver und atemloser Rap-Stil. Das führte dazu, dass ein
Hördurchgang zwar immer spannend blieb, aber oft auch viel zu anstrengend und fordernd war.
Dieses Problem hat Cancer 4 Cure zum Glück nicht. Natürlich sind
die Songs immer noch nicht eingängig im herkömmlichen Sinne – sie
werden sicher niemals im Radio oder im Club laufen. Doch Songs wie
das stampfende The Full Retard oder das ansteckend aufgedrehte Drones
over Bklyn setzen sich schon nach dem ersten Hördurchgang im Gehirn
fest und selbst das sperrigste Stück auf Cancer 4 Cure öffnet sich
relativ schnell dem Hörgenuss.
Das heisst aber
nicht, dass El-P seine alten Stärken vernachlässigt. Seine Raps
sind nach wie vor intelligente, düstere und direkte Geschichten und
er ist immer noch so aggressiv und wütend wie früher. Die
Produktion ist aber natürlich auch hier wieder der wahre Star – Gigantisch,
abwechslungsreich und immer auf der feinen Linie zwischen
erschlagender Wucht und unerwarteter Leichtigkeit. Das alles macht
Cancer 4 Cure zu einem der besten Alben dieses Jahres und einem
endlos unterhaltsamen Hörerlebnis.
Das überraschendste
aber ist das sich die Stücke auch nach Monaten nicht abnutzen. Meine
Lieblingslieder wechseln wöchentlich und nach intensiver
Beschäftigung mit Cancer 4 Cure gibt es mittlerweile keinen Song
mehr, den ich als Lückenfüller oder gar als schwach bezeichnen könnte. Die Produktion ist einfach so detailliert und vielseitig,
dass es nie langweilig wird. Stattdessen legt jeder Hördurchgang
weitere Schichten frei und neue faszinierende Momente. Und auch wenn
die übergreifende Stimmung des Albums eindeutig eine düstere und negative ist, gibt es auch so viel Humor, Romantik und
Selbstvertrauen zu hören und natürlich diese überall zum Vorschein
tretende Liebe zur Musik, die El-P für mich defintiv zum Musiker des Jahres 2012 machen...
Highlights: The Full
Retard, Works every Time, Tougher Colder Killer, The Jig is Up, $4
Vic/Nothing But You+Me (FTL)
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