Sonntag, 6. Mai 2012

Liebeserklärung an ein Album: The Devil And God Are Raging Inside Me von Brand New


The Devil and God are raging inside me ist ein Album das zuallererst einmal in die kleine Gruppe der Alben gehört, an die ich keine großen Erwartungen hatte, nur um dann komplett umgehauen zu werden. Die Band Brand New aus New York begann mit Your Favorite Weapon als harmlose aber unheimlich eingängige Pop Punk Band. Zwar waren es simple Songs voll von lyrischen Rachefantasien und Selbstmitleid, aber es machte einfach Spaß. Mit Deja Entendu folgte eine Wendung zu einem ernstem, tiefgründigeren und für mich deutlich überschätzten Emo/Alternative-Mix, komplett mit klischeehaften Texten und Songtiteln. Die Band wurde trotzdem oder gerade deswegen erfolgreich und etablierte sich als scheinbar typische Teenie-Band, hinter der aber schon damals etwas mehr zu stecken schien.

Das Brand New ihre verborgenen Stärken jedoch so umfassend präsentieren würden, damit hatte wohl keiner gerechnet. Nach dem großen Erfolg von Deja Entendu und dem Wechsel zu einem Major Label wäre der nächste, logische Schritt wohl eine schwächere Kopie des Vorgängers oder bestenfalls eine sanfte Weiterentwicklung mit größerem Pop-Appeal gewesen. Stattdessen ist The Devil and God are raging inside me eine bombastische, musikalische Offenbarung zwischen wütenden Ausbrüchen und schmerzhaft intimen Geständnissen. Es gibt auf dieser Platte keine leichten Momente, keinen Humor und auch (fast) keine poppigen Hits (im eigentlichen Sinne). Stattdessen ist alles so groß angelegt, so ernst und so dramatisch, dass es eigentlich anstrengend und durchaus auch mal peinlich sein müsste, wenn es nicht so meisterhaft und mitreißend umgesetzt wäre. Und so lösen sich diese Einwände in Sekundenschnelle auf. Bereits das unheimliche, stimmige Cover und der plakative Titel wären bei anderen Bands bloß "Emo"-Klischees, sind aber im Kontext des gigantischen Sounds von Brand New einfach nur stimmig. Der Titel The Devil and God are raging inside me kam laut Sänger Jesse Lachey nach einem Gespräch mit dem manisch-depressiven und schizophrenen Kult-Musiker Daniel Johnston zustande, passt aber auch hervorragend um die musikalische und lyrische Achterbahnfahrt dieses Albums, zwischen leiser Melancholie und schreiender Verzweiflung, zu beschreiben. Musikalisch ist die dazugehörige laut-leise Dynamik mit Anteilen von Emo, Hardcore, Indie und Grunge sicher nichts neues, aber so expansiv und in sich geschlossen, dass sich das Gehörte sofort meilenweit über die unzähligen, vergleichbaren Bands erhebt. Das die Songs so frisch und roh klingen, sich aber trotzdem zu einem so durchdachten und geschlossenen Ganzen zusammenfügen, ist sicher zum Teil dem langen Entstehungsprozess der Musik zu verdanken. Nachdem eine Reihe von halbfertigen Songs geleaked wurden, begann die Band frustriert noch einmal von vorne, schrieb gänzlich neu oder veränderte das bereits Veröffentlichte noch einmal massiv. Die Frustration über den Leak und der zunehmende Druck ein gutes Album zu schreiben, verband sich so mit den durch die lange Schreibzeit langsam gereiften Song-Gerüsten, zu diesen überraschend großartigen Liedern.

 
Der Opener Sowing Season beginnt leise und resigniert, explodiert dann unerwartet in yeah-Rufe, die irgendwie auch noch gut und keineswegs so peinlich klingen, wie es beim lesen klingt. Dazwischen balanciert Jesse Lachey eindrucksvoll zwischen ruhiger Melancholie und trotzigem Zorn. Wie alle Texte auf diesem Album sind seine lyrics hier nicht einfach verständlich, aber nichts desto trotz poetisch und einprägsam. Der Song endet mit den simplen aber fantastischen Zeilen „I'm not your friend, I'm not your lover, I'm not your family!“, die zusammen mit dem riesigen Riff einfach dazu zwingen die Faust in den Himmel zu strecken und mit zu schreien.

Die Single Jesus ist so etwas wie ein offener Brief an Jesus über die großen Fragen des Lebens: Was tun gegen die Einsamkeit? Warum all der der Hass? Was kommt nach dem Tod? Dabei verdient die Band schon einen Preis dafür, den Song weder gotteslästerlich noch übermäßig christlich daherkommen zu lassen und stattdessen biblische Symbole in eine philosophische Gedankenspinnerei über die typischen Fragen des Lebens einzubinden. Davon abgesehen ist Jesus aber auch einfach ein melodischer Geniestreich.

Der thematisch und musikalisch heftigste Song auf dem Album ist das knapp 8-mintüge Limousine (MS Rebridge), der sich mit dem Tod der erst 7-jährigen Katie Flynn beschäftigt. Das Mädchen wurde auf der Heimfahrt von einer Hochzeit, auf dem sie Blumenmädchen war, von einem betrunkenen Fahrer getötet. Ein solches Thema kann schnell erdrückend und schwerfällig daherkommen, aber Brand New erzählen den Unfall aus mehreren Perspektiven (Katie, ihre Mutter, der betrunkene Fahrer) und bilden dabei langsam eine kaum auszuhaltende Spannung auf, die sich dann in einem kurzen Gitarrenriff entlädt, dass die bereits angesammelte Gänsehaut noch einmal vervielfacht und meiner Meinung nach der größte Moment auf einem Album voller großartiger Momente ist.

Der beste Song aber bleibt für mich Degausser. Ein Degausser ist ein Gerät zur Entmagnetisierung bzw. Datenlöschung und dient hier scheinbar als Metapher für eine epische aber auch zerstörerische Liebe. Sänger Jesse Lacey schwankt absolut eindrucksvoll zwischen Resignation, Flehen und wütendem Aufschrei. Dazu gibt es gigantische Gitarrenriffs und einen dramatischen Kinderchor, die den Song bis zum Ende hin zu einem immer breitwandigeren Rocker machen, der emotional aufwühlt und so schnell nicht mehr loslässt. Was diesen Song, ebenso wie das ganze Album, so einzigartig macht sind diese alles durchziehende Emotionalität und diese sich immer wieder entladende Frustration, die im Gegensatz zu den Millionen so künstlich wirkenden Emo- und Alternative Rock-Bands auch nach dem hundertsten Hördurchgang noch überraschen, erschrecken und einfach mitreißen.

"I used to pray like God was listening.
I used to make my parents proud.
I was the glue that kept my friends together,
Now they don't talk and we don't go out."
 


Ältere Liebeserklärungen: hier, hier und hier

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