“How we strive to connect, only to fall apart”
.: The Bled – Nothing we say leaves this room
weiter gehts nach dem Jump:
ER:
‚Verdammt, ich darf auf keinen Fall zu spät kommen!’, ist alles woran ich denken kann als mein Zug mit schier endloser Verspätung endlich am Ziel angekommen ist. Ich steige aus und rutsche fast aus, kann mich gerade noch fangen und schlittere dann mit hastigen Schritten die letzten Meter zur Oper über schneebedeckte und eisverkrustete Bürgersteige. Der scharf gekleidete und eine unglaubliche Seriosität ausstrahlende Mann am Einlass reißt mein Ticket ab und erklärt mir höflich, jedoch mit einem wie mir scheint durchaus abfälligen Lächeln im Gesicht den Weg zu meinem Sitzplatz der untersten Preisklasse. Ich gehe geduckten Schrittes zur Garderobe und gebe meinen 10 €- Rucksack und meine 40 €- Jacke ab. Darunter trage ich Jeans, das einzige. vorzeigbare Hemd aus meinem Besitz, sowie von Regen und Schnee verdreckte Turnschuhe. Ich schaue mich im Foyer der Oper um und fühle mich auf der Stelle unglaublich underdressed und unwohl. Um mich herum stehen Gruppen von Männern und Frauen in feierlicher Gelassenheit, die mir und allen anderen bereits durch ihre Haltung und ihr Auftreten zu erkennen geben hier zuhause zu sein. Sie tragen teure, extrem gutsitzende Anzüge und teure Lackschuhe bzw. wallende Abendkleider oder gewagte Kreationen aus wenig Stoff und viel Würde. Obwohl mich niemand zu beachten scheint, fühle ich mich beobachtet und stelle mir vor, wie über mich und meinen lächerlichen und unpassenden Aufzug gelästert und getuschelt wird.
Gerade als ich endgültig davon überzeugt bin, dass mich gleich ein paar diskrete Sicherheitsbeamte auffordern werden das Gebäude doch bitte zu verlassen, um die übrigen Gäste nicht weiterhin mit meinem erbärmlichen Aufzug zu belästigen, reißt mich ein Gong aus meinen düsteren Tagträumen. Die Vorstellung beginnt in wenigen Augenblicken und ich will mich dementsprechend zu meinem Sitzplatz begeben als mir unverhofft eine Erscheinung ins Auge fällt, die mich sofort erstarren lässt.
Nur wenige Meter von mir steht eine wunderschöne junge Frau und lächelt...mich an?! Das kann nur ein Irrtum sein! Vielleicht galt das Lächeln jemand hinter mir? Oder viel wahrscheinlicher es ist ein mitleidiges, schlimmer noch herablassendes Lächeln, das sehr wohl mir gilt. Denn ich gehöre nicht hierher und man sieht es mir bei diesem Gedanken sicher noch mehr an als ohnehin schon wegen meines Aussehens. Ja ich habe diese Karte geschenkt bekommen und es ist mein erster Besuch in der Oper! Ich bin ein armer Student, habe wenig Geld und entstamme bestenfalls der Mittelschicht. Das alles, da bin ich mir sicher, kann das bezaubernde Wesen mit dem gemeinen Lächeln auf den Lippen in Sekundenbruchteilen erkennen. Sie trägt statt eines Abendkleides eine weniger förmlich und festlich anmutende, aber, da bin ich mir sicher, ebenso teure und der Veranstaltung angemessene Kombination aus Stoffhose und Kaschmir-Rollkragenpulli. Um den Hals trägt die Fremde eine sicherlich obszön teure, weiße Perlenkette und ihre langen braunen Haare sind zu einem strengen Zopf gebunden, der von einer protzig aussehenden, im indirekten Licht des Opernfoyers glitzernden, Edelsteinen besetzten Brosche zusammengehalten wird. Hinter ihrem Lächeln verbirgt sich eine makellose Gesichts-Maske, die die Strenge und Angestrengtheit einer Erziehung in der absoluten Oberschicht erahnen lässt. In diesem Moment merke ich, dass ich immer noch starre und sie mich immer noch auf diese fiese Weise anlächelt, nein angrinst! Sie wartet wohl auf eine Reaktion, darauf, dass ich aufgebe und aus ihren feinen Kreisen in die ich nicht gehöre wieder verschwinde. Aber noch gebe ich mich nicht geschlagen. Ich werfe ihr noch einen kurzen, wie ich hoffe ausreichend bösen Blick zu und folge der Menschentraube zu meinem Sitzplatz...
...Die Vorstellung läuft seit 2 Stunden und ist eine musikalische Offenbarung. Nach all den Opern- -Vorurteilen und
-Klischees, denen ich immer blind vertraut habe, bin ich überrascht, dass es mir nicht nur gefällt, sondern mich auch ebenso berührt, wie ein gutes Rockkonzert. Nur eins stört mich: Die Geschichte. Ich verstehe nicht mal die Hälfte der Handlung, aber was ich verstehe scheint genau auf mein Unbehagen an diesem Ort zugeschnitten zu sein. In der Märchenhaften Erzählung, die um schöne Arien, Duette und Chorgesänge gesponnen ist, geht es natürlich um die Liebe. Und zwar nur um die angemessene, will heißen standesgemäße Liebe. Prinz findet und rettet Prinzessin, sein treuer, aber in ganz anderen kulturellen Sphären wandernde Sidekick bekommt ebenso sein weibliches Pendant als Entschädigung für seine Mühen. Ich schaue mich um und sehe im Publikum, dass sich nicht viel geändert hat. Gleich und gleich gesellt sich gern, die wenigen Besucher aus der Mittelschicht, sind leicht zu erkennende Fremdkörper, genau wie auch ich. Und dann bemerke ich die Frau aus dem Foyer. Sie hat mich wohl beobachtet und wendet jetzt abfällig den Blick wieder von mir. Bestimmt tuschelt sie mit Ihresgleichen jetzt schon über den ungewaschenen Bauern, der sich hierher verirrt hat! Verdammt, was macht die reiche Tussi überhaupt hier auf den „billigen Plätzen“? Soll das so eine Art Understatement sein?! Als der Vorhang fällt, verlasse ich meinen Sitzplatz so schnell wie möglich um mir weitere Peinlichkeiten und Erniedrigungen zu ersparen. Das war wirklich das erste und letzte Mal, dass ich in die Oper gehe!
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SIE:
Das ist wirklich das letzte Mal, dass ich in die Oper gehe!’, ist alles woran ich denken kann als ich durch den Schnee zum hell erleuchteten Opernhaus stolpere. Ich mag die Oper wirklich gerne, aber wenn man von klein auf darauf getrimmt wird, dass es sich hierbei nicht um eine wunderschöne künstlerische Darbietung handelt, sondern in erster Linie um ein soziales Event, bei dem alle wichtigen Familien der guten Gesellschaft sich repräsentieren und überbieten mit Prunk und verkrampft ernsthafter Wichtigkeit. Und leider ist meine Familie eine dieser wichtigen Geschlechter der guten Gesellschaft. Wie ich diesen ganzen Zirkus hasse! Ich bin mit voller Absicht möglichst weit weg zum studieren gezogen um dem ganzen zu entfliehen. Leider nicht für lange, wie mir meine Mutter gestern am Telefon klarmachte. Überfallartig hat sie sich und den Rest der Familie zu einem Blitzbesuch angekündigt, sodass ich nicht nur keine Ausflucht mehr fand dem ganzen zu entfliehen, sondern mich auch noch dazu breitschlagen ließ für die ganze Familie Opernkarten zu besorgen. Soweit also der familiäre Zwang. Ich hole meine Karte im Eingangsbereich ab, entledige mich Mantel und Mütze an der Garderobe und warte schweren Herzens auf den Rest meines Clans. Doch zwei Dinge erfüllen mich trotz der Tortur voller Standesdünkel, die mir unweigerlich bevorsteht, mit einer diebischen Freude. Erstens hatte ich mit voller Absicht Karten der untersten Preiskategorie erworben. Ich fühle mich unter den etwas normaleren Menschen einfach wohler und wusste, dass meine Mutter und auch der Rest der werten Familie einen Herzinfarkt bekommen werden, wenn sie zwischen dem „Pöbel“ sitzen müssen. Und zweitens ist da natürlich noch mein Outfit. Statt dem perfekt sitzenden und vulgär teuren Abendkleid, dass meine Familie mir heute morgen hat zuschicken lassen, trage ich eine simple, günstige aber trotzdem nach etwas aussehende Kombination aus Hose und Pullover. Das einzig wirklich teure an mir, ist die Perlenkette, die mir meine Oma vererbt hat. Die Brosche in meinem Haar hat dagegen nur etwa 10 Euro gekostet und wird auf meine Eltern geradezu obszön billig wirken und so meinen kindischen Durst nach Rebellion zumindest für kurze Zeit befriedigen. Als mir bewusst wird, dass ich das Klischee der reichen, verwöhnten aber scheinbar ach so unverstandenen Oberschichtenprinzessin ziemlich gut erfülle, bin ich mir auf einmal selbst ziemlich peinlich. Ich schaue mich um und sehe jede Menge für mich gesichtslose Anzugträger und Abendkleiderträgerinnen, die mich an meine Vergangenheit erinnern und schnell wird mir bewusst, dass auch eine kleine Rebellion nichts an meinem Unwohlsein hier ändern wird.
In diesem Moment läuft mir jemand in den Blickwinkel, der mir vage bekannt vorkommt. Er ist ungefähr in meinem Alter, trägt ganz leger Jeans und Turnschuhe und fällt damit schon einmal ganz angenehm aus dem förmlichen Rahmen dieser Veranstaltung. Dann wird mir bewusst, woher ich ihn kenne. Er studiert an der selben Uni wie ich und ich bin ihm wahrscheinlich schon unzählige Male über den Weg gelaufen, ohne ihn je wirklich kennen zu lernen. An diesem Ort aber bedeutet er Erleichterung und Beruhigung für mich. Es gehen also auch „normale“ Menschen in die Oper, Menschen in meinem Alter, die wegen der Musik hierher kommen und nicht aus Pflichtbewusstsein gegenüber dem gesellschaftlichen Diktat. Ich fühle mich durch diese Erkenntnis sofort viel wohler und lächle meinem eigentlich unbekannten Retter leicht unsicher entgegen. Er reagiert darauf jedoch nicht, schaut nur eine Weile angestrengt durch mich hindurch. Sicherlich sucht er seine Begleitung, denke ich, gebe aber meine Lächelattacke noch nicht auf. Doch dann gibt er mit einem gequälten Lächeln die Suche auf und begibt sich zu seinem Sitzplatz. Leicht enttäuscht drehe ich mich um und werde vollkommen unvorbereitet mit meiner Familie konfrontiert, die sich scheinbar lautlos an mich herangeschlichen hat und mich in diesem Moment von allen Seiten mit oberflächlichen Nichtigkeiten bombardiert. Mit leiser Genugtuung quittiere ich den entsetzten Blick meiner Mutter bezüglich meines Outfits und mit etwas lauterer Genugtuung sauge ich kurze Zeit später die schockierten Mienen der ganzen Familie auf, als sie bemerken, wo sich unsere Sitzplätze befinden. Trotzdem fühle ich mich nach wie vor unwohl und stelle mir vor, wie schön es wäre mal ganz unbekümmert zur Oper zu gehen, zum Beispiel mit meinem unbekannten Kommilitonen. Mit einem Seufzen vertreibe ich diesen verlockenden Gedanken aus meinem Kopf und konzentriere mich auf das Geschehen auf der Bühne...
...Trotz, oder vielleicht auch gerade wegen meiner Laune fängt mich die wunderbare Musik bald wieder vollkommen ein und lässt mich alles Ärgerliche vergessen für den Moment. Die nächsten 2 Stunden verschwindet alles um mich herum und ich sehe, höre und fühle nur noch das Opernstück. Die Geschichte um standesgemäße und keusche Liebe ist natürlich hoffnungslos veraltet und mutet heutzutage fast mittelalterlich an, aber die Musik bleibt deswegen trotzdem wunderschön. Zu schade, dass die Vorurteile der meisten Menschen gegenüber der Oper, sie immer noch von einem Besuch derselbigen abhalten. Bei diesem Gedanken schaue ich mich um und stelle wie zur Bestätigung fest, dass auch auf den günstigeren Plätzen noch überwiegend feine Pinkel sitzen. Doch bevor ich mich weiter düsteren Gedanken zur Lage der Nation widmen kann, fällt mir erneut der interessante Unbekannte aus dem Foyer auf. Er schaut gespannt und verzückt auf das Bühnengeschehen. Ich merke leider erst, dass ich ihn schon eine Weile angestarrt habe, als er meinen Blick plötzlich erwidert. Ich erröte augenblicklich und schaue schnell weg. Doch während der restlichen Vorstellung ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich ihn aus den Augenwinkeln beobachte. Doch er schaut nicht mehr zu mir her. Toll angestellt, meine Liebe! Dabei hätte ich gerne mal mit ihm gesprochen, denn ich habe irgendwie das Gefühl, wir könnten auf einer Wellenlänge sein. Und eigentlich kenne wir uns ja schon fast. Vielleicht habe ich Glück und Mut genug ihn nach der Vorstellung noch einmal anzusprechen? Ja ich werde ihn ansprechen! So mache ich mir Mut während der Vorhang fällt und der Saal mit minutenlangem Applaus geflutet wird. Ich klatsche selbst enthusiastisch und freue mich doch mal wieder in die Oper gegangen zu sein. Nach einer Weile schaue ich mich wieder um und sehe gerade noch, wie der junge Mann fluchtartig den Zuschauerraum verlässt...
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