Abi
Reimold - Wriggling
Die Musik von Abi Reimold klingt als ob sie
unbedingt raus müsste. Reimolds Stimme ist unglaublich emotionsgeladen und ihre
Songs sind unbequeme, kratzige Ungetüme, die immer wieder völlig unerwartete
Richtungen einschlagen oder einfach explodieren.
Die Musik erinnert dabei an Torres oder Angel
Olsen, in ihrer brutal ehrlichen Intensität auch an Julien Baker. Doch Abi
Reimold stellt diese großartigen Musikerinnen oft noch in den Schatten, ihre
Musik ist lauter, wilder und schmerzhafter. Man könnte das ganze jetzt
persönlich und Singer-Songwriter nennen, aber beides greift zu kurz. Reimold
kehrt ihre Innerstes nach außen und erinnert
dabei oft mehr an Punk oder einen musikalischen Exorzismus als an
akustisches Geplänkel. Die Songs auf Wriggling lassen sich dabei nur schwer in
Genres einordnen und bleiben ohnehin schwer greifbar. Gleichzeitig strahlen sie
aber eine absolute Wucht und Körperlichkeit aus, da Reimold wirklich alles in
ihre Musik hinein zu werfen scheint. Das Album ist düster und traurig, aber nie
kraftlos oder selbstmitleidig. Es haut den Hörer um und reißt ihn mit, aber es
zieht nie einfach nur runter. Das liegt neben dem tollen, dynamischen
Songwriting vor allem an Reimolds absolut einnehmender, in den Bann schlagender
Präsenz.
Lieblingslieder:
Arrange, Bad Seed, Vessel, Sugar
Kanye
West - The Life Of Pablo
Kanye West ist, mal abgesehen vielleicht von
Kendrick Lamar, der wichtigste und einflussreichste lebende Rapper bzw.
Musiker. Er ist kommerziell erfolgreich, von Kritikern wie Fans geliebt und
irgendwie auch ein Genie. Leider ist er auch ein geltungssüchtiges Arschloch
mit Gottkomplex, Hang zu Ausrastern, geistigen Ausfällen und Drogen- und/oder
psychischen Problemen. Die negativen Aspekte seiner Persönlichkeit machen
sicher einen Teil seines Genies aus und lassen sich meistens auch gut
ausblenden. Im Vorfeld der Veröffentlichung von The Life Of Pablo
überschatteten sie erstmals für mich leider alles andere und sabotierten
schließlich die Album-Veröffentlichung vollkommen.
West änderte im Vorfeld Albumtitel und Tracklist
unzählige Male, präsentierte das Album schließlich in einer absurden
Releaseparty im Madison Square Garden - nur um es dann doch nicht heraus zu
bringen. Als das Album schließlich erschien, war es nur für Tidal-Abonennten
erhältlich und für Fans, die bereit waren 20$ mit Kreditkarte zu zahlen. Doch dann
verschwand auch diese Option und West versprach das Album noch mal zu
überarbeiten. Seine letzte Aussage war, dass das Album nie außerhalb von Tidal
erscheinen sollte. Bisher ist es dabei geblieben, während er schon wieder ein
neues Album ankündigte.
Vor diesem Hintergrund ist es schwer The Life Of
Pablo unvoreingenommen zu beurteilen, vor allem, wenn viele Kritiker und Fans
das Album schon Stunden nach der Veröffentlichung entweder zu einem weiteren
Geniestreich oder zu einer halbgaren Enttäuschung erklärt haben. Und nach
meinem Höreindruck tendiere ich leider zu letzterer Gruppe.
Die meisten Songs auf dem Album klingen unfertig,
sind entweder zu kurz oder zu lang. Noch mehr als auf Yeezus scheint Kanye die
Texte in letzter Minute geschrieben oder generell keine Lust/Inspiration gehabt
zu haben. Vieles liest sich deswegen wie Wests Twitter-Feed, inklusive
Frauenverachtung und hohem Fremdschäm-Faktor.
Musikalisch leidet The Life Of Pablo an seiner
merkwürdigen Reihenfolge, übermäßigen Songlänge und einem tonalen Zickzacklauf
zwischen Gospelalbum, nachdenklichen Sequenzen und dem allgegenwärtigen Exzess.
Doch es gibt auch einige großartige Momente, eine Handvoll wirklich gute Songs
und ein paar positive Überraschungen. Kanye selbst ist in seltener Topform auf
Real Friends und No More Parties in LA - nicht überraschend die persönlichsten
und nachdenklichsten Songs auf dem Album. Das vorher unerträglich peinliche
Facts profitiert in der überarbeiteten Fassung enorm von einem wirklich fiesen
Beat und bleibt die größte Überraschung.
Ansonsten sind es vor allem die Gäste, die das
Beste aus dem Album heraus holen. Chance The Rapper ist das uneingeschränkte
Highlight auf Ultralight Beams und Kendrick Lamar ist gewohnt großartig auf No
More Parties in LA. Dazu kommen ein wunderbarer Hook von The Weeknd, der das
ohnehin tolle FML zu einem absoluten Highlight macht und das funkelnde Outro
von Frank Ocean, das den durchwachsenen Song Wolves rettet.
Insgesamt hätten die Highlights diesmal leider nur
für eine sehr gute EP gereicht, in diesem ausufernden, frustrierenden Album
gehen sie leider etwas unter.
Lieblingslieder:
FML, Real Friends, No More Parties in LA
Rihanna
- ANTI
Rihanna's neues Album ANTI hat ein in jeglicher
Hinsicht passenden Namen. Nach Jahren in denen sie wie eine Hitmaschine fast
jährlich ein Album heraus brachte, schien es manchmal fast als ob ANTI niemals
veröffentlicht würde. Während ihre vorherigen Alben zu gleichen Teilen aus Hits
und Füllersongs bestanden, gibt es hier erstmals ein richtiges Album, ganz ohne
offensichtliche Hits. Und während Rihanna bisher immer
Bilderbuchveröffentlichungen mit großen Singles und Verkaufsrekorden hatte,
scheint ihr Label diesmal einfach aufgegeben zu haben; Nach endlosen
Verschiebungen schien ANTI einfach geleaked zu sein und wurde dann offiziell
verschenkt, ohne ihre erfolgreichen Singles der letzten Jahre wohl gemerkt.
ANTI selbst hat wirklich keine Songs, die zu Hits
werden könnten und Albenverkäufe wird es (im Vergleich zu sonst)kaum geben. Trotzdem
oder gerade deswegen ist das Album aber durchaus spannend und trotz der
Probleme sehr unterhaltsam. Für die Verhältnisse des mysteriösen Popstars mit
Songwriting-Teams ist ANTI dabei überraschend persönlich und inhaltlich
interessant. Die Songs bewegen sich in ganz verschiedene Richtungen, streifen
unterschiedliche Genres und Stimmungen. Doch grob lässt sich das Album in zwei
Teile unterteilen - den ersten, unbeschwerten Teil voll mit Sex, Drogen und
Party und den zweiten Teil, der von den Konsequenzen dieses Lebensstils
erzählt. Entgegen von Rihannas Musik sonst, funktionieren hier die Balladen auf
der zweiten Hälfte besonders gut. Mittendrin gibt es ein Cover von Tame Impala,
das mehr eine Karaokeversion des Originals ist und trotzdem irgendwie gut ist.
Das größte Problem insgesamt ist die
Skizzenhaftigkeit vieler Songs. Lieder fangen vielversprechend an und enden
dann einfach oder fallen in den schlimmsten Fällen einfach nicht auf. Gleichzeitig
gibt es aber mit Higher einen Song, der mehr Zwischenstück ist und trotzdem
großartig ist. Und auch den übrigen Skizzen kann man mit etwas
Eingewöhnungszeit fast allen etwas abgewinnen. Und es bleiben immer noch genug
tolle, vielseitige Songs und vor allem erstmals ein gutes Gesamthörerlebnis von
einer Single-Künstlerin.
Lieblingslieder:
Kiss It Better, Woo, Needed Me, Higher
Shearwater
- Jet Plane & Oxbow
Seit 15 Jahren machen Shearwater majestätische,
ausufernde Musik bei der kraftvoll und wuchtig kein Widerspruch ist zu zarten
und melancholischen Momenten. Die Band begann als Nebenprojekt von Okkervil
River, um ruhigere Songideen verwenden zu können. Mittlerweile haben Shearwater
den Nebenprojekt-Status längst hinter sich gelassen und blicken auf eine
beindruckende Diskographie - kein einziges auch nur durchschnittliches Album
und ständige Weiterentwicklung und Verfeinerung des Sounds.
Jetplane & Oxbow ist überraschend rockig
geworden und noch hymnischer als die bisherige Musik von Shearwater. Die
ruhigen Momente sind seltener geworden, dafür gibt es mehr dezente
80er-Einflüsse und eine stärkere Konzentration auf die Percussion. Diese wird
diesmal von Brian Reitzell verantwortet (zuletzt bekannt durch seine
Soundtracks für z.B. Lost in Translation, Hannibal), der auch eine Reihe
anderer mehr oder weniger obskurer Instrumente spielt und dem Album so Dynamik
und Einzigartigkeit verleiht.
Der uneingeschränkte Mittelpunkt von Shearwater
bleibt aber Jonathan Meilburg, dessen beeindruckende Baritonstimme und dramatischer,
leicht affektierter Gesang einfach genial und zutiefst berührend ist.
Lieblingslieder:
Quiet Americans, A Long Time Away, Filaments, Radio Silence
School
Of Seven Bells - SVIIB
Unter dem Namen School Of Seven Bells machten
Benjamin Curtis und Alejandra Deheza wunderbaren und bewegenden Electro Pop. Ihre
letzte EP "Put Your Sad Down" ist definitiv eine meiner Lieblinge in
diesem Bereich. Doch leider lernte ich die Band erst kennen, als es schon zu
spät war. Meine erste Berührung war das Video zu "I Got Knocked Down (But I’ll Get Up).", einem Cover von Joey Ramone, das Curtis aus dem
Krankenhaus schrieb, kurz bevor er an Leukämie starb.
Das Video ist eine Verabschiedung Dehezas von
Curtis und steht mit seiner Traurigkeit in starkem Kontrast zu dem trotzigen
und hoffnungsvollen Cover. Da ist es ein wirkliches Geschenk, dass es jetzt
noch ein letztes Album der Band gibt, das vor Curtis' Erkrankung entstanden ist
und jetzt als angemessene Erinnerung an ihn posthum veröffentlicht wird. Auch
auf dem selbstbetitelten SVIIB macht die Band gefühlvollen Electro Pop, bei dem
sich Tanzbarkeit und eine gewisse Melancholie nicht im Wege stehen. Gleichzeitig
ist das Album aber offenbar auch ein passendes, deswegen aber keineswegs
weniger trauriges Ende der Beziehung zwischen Benjamin Curtis und Alejandra
Deheza. Die beiden machten seit 2007 Musik zusammen, wurden ein Paar, trennten
sich und blieben danach weiter Freunde, die Musik zusammen machen. Und auf
SVIIB schrieb Deheza die Songtexte über Curtis und ihre Geschichte. Er konnte
das jedoch nicht mehr vor seinem Tod lesen und das ist eine zusätzliche
Ungerechtigkeit. Aber immerhin bleiben sie jetzt der Mittelpunkt im
angemessenen Schwanengesang einer tollen Band.
Lieblingslieder: Ablaze, A Thousand Times More,
This Is Our Time
Songs:
LUH -
I&I: Die Musik von Ellery Roberts und Ebony Hoorn lässt sich am besten
mit den Worten "Zusammen ist man weniger allein" beschreiben. Die
sporadisch veröffentlichten Songs leben von der musikalischen und persönlichen
Symbiose des Paars und weben daraus ebenso intime wie politische Liebeslieder. I&I
ist der bisher "kommerziellste" Song mit Video und Veröffentlichung
als CD und auf Spotify. Die Wucht, Leidenschaft und Kraft ist dabei zum Glück
geblieben. (Link)
Tinashe -
Ride Of Your Life: Einfach ein fantastischer Pop/RnB-Song - Tinashe strotzt
vor Selbstbewusstsein, ist sexy ohne Ende und webt ihre verführerische Stimme
um die kühle, hypnotische Produktion von Metro Boomin. (Link)
Aesop Rock -
Rings: Mein Lieblingsrapper ist endlich zurück mit seinem ersten Soloalbum
seit 2012! Rings macht dort weiter wo Skelethon damals aufgehört hatte - die
lyrics sind überraschend persönlich und fast schon gradlinig, die Musik etwas
melancholisch und nachdenklich. Steht im gut, auch der etwas entspannte Flow -
beweisen muss er sowieso schon lange nichts mehr. (Link)
FKA twigs -
Good To Love: Good To Love ist nach dem ersten Höreindruck ein verführerischer RnB-Song für das
Schlafzimmer. Aber irgendwie klingt das auch rein und liebevoll. Und hinter den
großen Statements und dem lasziven Räkeln steckt auch noch eine gewisse
Melancholie und Schmerz. Deshalb ist twigs so einzigartig. (Link)
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