Sonntag, 28. Februar 2016

Musik des Monats - Januar und Februar 2016

Abi Reimold - Wriggling
 
Die Musik von Abi Reimold klingt als ob sie unbedingt raus müsste. Reimolds Stimme ist unglaublich emotionsgeladen und ihre Songs sind unbequeme, kratzige Ungetüme, die immer wieder völlig unerwartete Richtungen einschlagen oder einfach explodieren.

Die Musik erinnert dabei an Torres oder Angel Olsen, in ihrer brutal ehrlichen Intensität auch an Julien Baker. Doch Abi Reimold stellt diese großartigen Musikerinnen oft noch in den Schatten, ihre Musik ist lauter, wilder und schmerzhafter. Man könnte das ganze jetzt persönlich und Singer-Songwriter nennen, aber beides greift zu kurz. Reimold kehrt ihre Innerstes nach außen und erinnert  dabei oft mehr an Punk oder einen musikalischen Exorzismus als an akustisches Geplänkel. Die Songs auf Wriggling lassen sich dabei nur schwer in Genres einordnen und bleiben ohnehin schwer greifbar. Gleichzeitig strahlen sie aber eine absolute Wucht und Körperlichkeit aus, da Reimold wirklich alles in ihre Musik hinein zu werfen scheint. Das Album ist düster und traurig, aber nie kraftlos oder selbstmitleidig. Es haut den Hörer um und reißt ihn mit, aber es zieht nie einfach nur runter. Das liegt neben dem tollen, dynamischen Songwriting vor allem an Reimolds absolut einnehmender, in den Bann schlagender Präsenz.

Lieblingslieder: Arrange, Bad Seed, Vessel, Sugar

Kanye West - The Life Of Pablo
 
Kanye West ist, mal abgesehen vielleicht von Kendrick Lamar, der wichtigste und einflussreichste lebende Rapper bzw. Musiker. Er ist kommerziell erfolgreich, von Kritikern wie Fans geliebt und irgendwie auch ein Genie. Leider ist er auch ein geltungssüchtiges Arschloch mit Gottkomplex, Hang zu Ausrastern, geistigen Ausfällen und Drogen- und/oder psychischen Problemen. Die negativen Aspekte seiner Persönlichkeit machen sicher einen Teil seines Genies aus und lassen sich meistens auch gut ausblenden. Im Vorfeld der Veröffentlichung von The Life Of Pablo überschatteten sie erstmals für mich leider alles andere und sabotierten schließlich die Album-Veröffentlichung vollkommen.

West änderte im Vorfeld Albumtitel und Tracklist unzählige Male, präsentierte das Album schließlich in einer absurden Releaseparty im Madison Square Garden - nur um es dann doch nicht heraus zu bringen. Als das Album schließlich erschien, war es nur für Tidal-Abonennten erhältlich und für Fans, die bereit waren 20$ mit Kreditkarte zu zahlen. Doch dann verschwand auch diese Option und West versprach das Album noch mal zu überarbeiten. Seine letzte Aussage war, dass das Album nie außerhalb von Tidal erscheinen sollte. Bisher ist es dabei geblieben, während er schon wieder ein neues Album ankündigte.

Vor diesem Hintergrund ist es schwer The Life Of Pablo unvoreingenommen zu beurteilen, vor allem, wenn viele Kritiker und Fans das Album schon Stunden nach der Veröffentlichung entweder zu einem weiteren Geniestreich oder zu einer halbgaren Enttäuschung erklärt haben. Und nach meinem Höreindruck tendiere ich leider zu letzterer Gruppe.

Die meisten Songs auf dem Album klingen unfertig, sind entweder zu kurz oder zu lang. Noch mehr als auf Yeezus scheint Kanye die Texte in letzter Minute geschrieben oder generell keine Lust/Inspiration gehabt zu haben. Vieles liest sich deswegen wie Wests Twitter-Feed, inklusive Frauenverachtung und hohem Fremdschäm-Faktor.

Musikalisch leidet The Life Of Pablo an seiner merkwürdigen Reihenfolge, übermäßigen Songlänge und einem tonalen Zickzacklauf zwischen Gospelalbum, nachdenklichen Sequenzen und dem allgegenwärtigen Exzess. Doch es gibt auch einige großartige Momente, eine Handvoll wirklich gute Songs und ein paar positive Überraschungen. Kanye selbst ist in seltener Topform auf Real Friends und No More Parties in LA - nicht überraschend die persönlichsten und nachdenklichsten Songs auf dem Album. Das vorher unerträglich peinliche Facts profitiert in der überarbeiteten Fassung enorm von einem wirklich fiesen Beat und bleibt die größte Überraschung.

Ansonsten sind es vor allem die Gäste, die das Beste aus dem Album heraus holen. Chance The Rapper ist das uneingeschränkte Highlight auf Ultralight Beams und Kendrick Lamar ist gewohnt großartig auf No More Parties in LA. Dazu kommen ein wunderbarer Hook von The Weeknd, der das ohnehin tolle FML zu einem absoluten Highlight macht und das funkelnde Outro von Frank Ocean, das den durchwachsenen Song Wolves rettet.

Insgesamt hätten die Highlights diesmal leider nur für eine sehr gute EP gereicht, in diesem ausufernden, frustrierenden Album gehen sie leider etwas unter.        

Lieblingslieder: FML, Real Friends, No More Parties in LA

Rihanna - ANTI
Rihanna's neues Album ANTI hat ein in jeglicher Hinsicht passenden Namen. Nach Jahren in denen sie wie eine Hitmaschine fast jährlich ein Album heraus brachte, schien es manchmal fast als ob ANTI niemals veröffentlicht würde. Während ihre vorherigen Alben zu gleichen Teilen aus Hits und Füllersongs bestanden, gibt es hier erstmals ein richtiges Album, ganz ohne offensichtliche Hits. Und während Rihanna bisher immer Bilderbuchveröffentlichungen mit großen Singles und Verkaufsrekorden hatte, scheint ihr Label diesmal einfach aufgegeben zu haben; Nach endlosen Verschiebungen schien ANTI einfach geleaked zu sein und wurde dann offiziell verschenkt, ohne ihre erfolgreichen Singles der letzten Jahre wohl gemerkt.

ANTI selbst hat wirklich keine Songs, die zu Hits werden könnten und Albenverkäufe wird es (im Vergleich zu sonst)kaum geben. Trotzdem oder gerade deswegen ist das Album aber durchaus spannend und trotz der Probleme sehr unterhaltsam. Für die Verhältnisse des mysteriösen Popstars mit Songwriting-Teams ist ANTI dabei überraschend persönlich und inhaltlich interessant. Die Songs bewegen sich in ganz verschiedene Richtungen, streifen unterschiedliche Genres und Stimmungen. Doch grob lässt sich das Album in zwei Teile unterteilen - den ersten, unbeschwerten Teil voll mit Sex, Drogen und Party und den zweiten Teil, der von den Konsequenzen dieses Lebensstils erzählt. Entgegen von Rihannas Musik sonst, funktionieren hier die Balladen auf der zweiten Hälfte besonders gut. Mittendrin gibt es ein Cover von Tame Impala, das mehr eine Karaokeversion des Originals ist und trotzdem irgendwie gut ist.

Das größte Problem insgesamt ist die Skizzenhaftigkeit vieler Songs. Lieder fangen vielversprechend an und enden dann einfach oder fallen in den schlimmsten Fällen einfach nicht auf. Gleichzeitig gibt es aber mit Higher einen Song, der mehr Zwischenstück ist und trotzdem großartig ist. Und auch den übrigen Skizzen kann man mit etwas Eingewöhnungszeit fast allen etwas abgewinnen. Und es bleiben immer noch genug tolle, vielseitige Songs und vor allem erstmals ein gutes Gesamthörerlebnis von einer Single-Künstlerin.       

Lieblingslieder: Kiss It Better, Woo, Needed Me, Higher

Shearwater - Jet Plane & Oxbow
Seit 15 Jahren machen Shearwater majestätische, ausufernde Musik bei der kraftvoll und wuchtig kein Widerspruch ist zu zarten und melancholischen Momenten. Die Band begann als Nebenprojekt von Okkervil River, um ruhigere Songideen verwenden zu können. Mittlerweile haben Shearwater den Nebenprojekt-Status längst hinter sich gelassen und blicken auf eine beindruckende Diskographie - kein einziges auch nur durchschnittliches Album und ständige Weiterentwicklung und Verfeinerung des Sounds.

Jetplane & Oxbow ist überraschend rockig geworden und noch hymnischer als die bisherige Musik von Shearwater. Die ruhigen Momente sind seltener geworden, dafür gibt es mehr dezente 80er-Einflüsse und eine stärkere Konzentration auf die Percussion. Diese wird diesmal von Brian Reitzell verantwortet (zuletzt bekannt durch seine Soundtracks für z.B. Lost in Translation, Hannibal), der auch eine Reihe anderer mehr oder weniger obskurer Instrumente spielt und dem Album so Dynamik und Einzigartigkeit verleiht.  

Der uneingeschränkte Mittelpunkt von Shearwater bleibt aber Jonathan Meilburg, dessen beeindruckende Baritonstimme und dramatischer, leicht affektierter Gesang einfach genial und zutiefst berührend ist.


Lieblingslieder: Quiet Americans, A Long Time Away, Filaments, Radio Silence

School Of Seven Bells - SVIIB
 

Unter dem Namen School Of Seven Bells machten Benjamin Curtis und Alejandra Deheza wunderbaren und bewegenden Electro Pop. Ihre letzte EP "Put Your Sad Down" ist definitiv eine meiner Lieblinge in diesem Bereich. Doch leider lernte ich die Band erst kennen, als es schon zu spät war. Meine erste Berührung war das Video zu "I Got Knocked Down (But I’ll Get Up).", einem Cover von Joey Ramone, das Curtis aus dem Krankenhaus schrieb, kurz bevor er an Leukämie starb.

Das Video ist eine Verabschiedung Dehezas von Curtis und steht mit seiner Traurigkeit in starkem Kontrast zu dem trotzigen und hoffnungsvollen Cover. Da ist es ein wirkliches Geschenk, dass es jetzt noch ein letztes Album der Band gibt, das vor Curtis' Erkrankung entstanden ist und jetzt als angemessene Erinnerung an ihn posthum veröffentlicht wird. Auch auf dem selbstbetitelten SVIIB macht die Band gefühlvollen Electro Pop, bei dem sich Tanzbarkeit und eine gewisse Melancholie nicht im Wege stehen. Gleichzeitig ist das Album aber offenbar auch ein passendes, deswegen aber keineswegs weniger trauriges Ende der Beziehung zwischen Benjamin Curtis und Alejandra Deheza. Die beiden machten seit 2007 Musik zusammen, wurden ein Paar, trennten sich und blieben danach weiter Freunde, die Musik zusammen machen. Und auf SVIIB schrieb Deheza die Songtexte über Curtis und ihre Geschichte. Er konnte das jedoch nicht mehr vor seinem Tod lesen und das ist eine zusätzliche Ungerechtigkeit. Aber immerhin bleiben sie jetzt der Mittelpunkt im angemessenen Schwanengesang einer tollen Band.

Lieblingslieder: Ablaze, A Thousand Times More, This Is Our Time 


Songs:


LUH - I&I: Die Musik von Ellery Roberts und Ebony Hoorn lässt sich am besten mit den Worten "Zusammen ist man weniger allein" beschreiben. Die sporadisch veröffentlichten Songs leben von der musikalischen und persönlichen Symbiose des Paars und weben daraus ebenso intime wie politische Liebeslieder. I&I ist der bisher "kommerziellste" Song mit Video und Veröffentlichung als CD und auf Spotify. Die Wucht, Leidenschaft und Kraft ist dabei zum Glück geblieben. (Link)




Tinashe - Ride Of Your Life: Einfach ein fantastischer Pop/RnB-Song - Tinashe strotzt vor Selbstbewusstsein, ist sexy ohne Ende und webt ihre verführerische Stimme um die kühle, hypnotische Produktion von Metro Boomin. (Link)







Aesop Rock - Rings: Mein Lieblingsrapper ist endlich zurück mit seinem ersten Soloalbum seit 2012! Rings macht dort weiter wo Skelethon damals aufgehört hatte - die lyrics sind überraschend persönlich und fast schon gradlinig, die Musik etwas melancholisch und nachdenklich. Steht im gut, auch der etwas entspannte Flow - beweisen muss er sowieso schon lange nichts mehr. (Link) 




FKA twigs - Good To Love: Good To Love ist nach dem ersten Höreindruck ein verführerischer RnB-Song für das Schlafzimmer. Aber irgendwie klingt das auch rein und liebevoll. Und hinter den großen Statements und dem lasziven Räkeln steckt auch noch eine gewisse Melancholie und Schmerz. Deshalb ist twigs so einzigartig. (Link)

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