Montag, 15. Dezember 2014

Best Of 2014: Alben Top 20

2013 war ein gutes Jahr für Musik, aber im Rückblick und besonders im Vergleich zu diesem Jahr, blieb nicht so viel hängen, was ich in fünf oder zehn Jahren noch oft hören werde. 

Ich habe das Gefühl dieses Jahr wird das anders sein...Abgesehen von meiner klaren und unangefochtenen Nummer 1 waren dieses Jahr viele Alben dabei, die ihre Zeit brauchten um richtig zu klicken oder Alben, die ich erst spät für mich entdeckte. Dafür sind es viele Alben, die nach einer gewissen Zeit dann einen tiefer gehenden Effekt hatten und auch eine viel längere "Haltbarkeit" zu haben scheinen. 

Hier sind die 20 Alben, die ich nach nicht allzu langem Überlegen als die Wichtigsten, Unterhaltsamsten und Besten in diesem Jahr ansehe: 

 
1. Run the Jewels – RTJ2 (Hip Hop)
Das Dream Team ist zurück! El-P und Killer Mike hatten 2012 so viel Spaß und Erfolg bei der gemeinsamen Arbeit am letzten Killer Mike-Album, dass sie letztes Jahr unter dem Namen Run the Jewels ein gemeinsames Album aufnahmen. Das kostenlose Debüt übertraf die hohen Erwartungen noch und zeigte nicht nur zwei fantastische Rapper in Bestform, sondern auch eine unglaubliche Chemie zwischen El-P und Killer Mike.
Und gerade ein Jahr später veröffentlichen Run The Jewels einfach noch ein Album – so fantastisch, dass es das Debüt wie eine Aufwärmübung wirken lässt und die Konkurrenz wie Anfänger. Killer Mike und El-P sind beide auf ihre Art geniale MC's, aber gemeinsam stacheln sie sich zu immer neuen Höhen an. Und über El-P's Produktion wurde schon so viel gesagt, sie ist einfach seit Jahrzehnten weitgehend einzigartig und so unerreichbar, dass sie kaum kopiert wird.

Anders als auf dem fast rein "spaßigen" Debüt kommen auf RTJ2 die Sensibilitäten der beiden Rapper wieder zum Vorschein. Zwischen Meisterklassen in Shit Talk und Bravado gibt es gewohnt eloquente und intelligente Texte über Rassismus, Polizeigewalt und die amerikanische Gesellschaft.
Bemerkenswert ist das dabei alles nicht nur zusammen passt, sondern auch immer glaubwürdig bleibt. Killer Mike ist sozial engagiert und einer der leidenschaftlichsten und intelligentesten Kommentatoren der Proteste in Ferguson und ihrer Ursachen. Gleichzeitig sind er und auch El-P ihren Fans gegenüber so bescheiden, haben so viel Spaß an dem was sie tun und dem Erfolg den sie damit auf einmal haben, dass man ihnen die kreative Angeberei, nicht nur verzeiht, sondern auch vollends gönnt. Das sie dabei noch vollkommen ohne Sexismus, Homophobie und sonstige Rapklischees auskommen ist ein willkommener Bonus.
Es ist oft schwer die Musik von den beteiligten Personen zu trennen. Im Falle von Run The Jewels wird so ein ohnehin schon geniales Album noch viel besser. Killer Mike's politische Kommentare sind so beeindruckend wie notwendig. Jedes Interview mit den Beiden offenbart bescheidene Männer, die überglücklich sind mit Ende 30 noch einmal so viel Erfolg mit etwas zu haben, das sie lieben. Und nebenbei hat das Ganze zwei Rapper und Männer aus so verschiedenen Welten nicht nur zusammen gebracht, sondern auch zu besten Freunden werden lassen.

Und da ist da noch das Versprechen einer Spaß-Version des Albums, bestehend nur aus Katzen-Geräuschen, die Run The Jewels für 40.000 $ verkaufen wollten. Nachdem ein ins Leben gerufener Kickstarter diese Summe spielend aufbrachte, versprach El-P das Album wirklich auf zu nehmen, rekrutierte jede Menge namhafte Produzenten und spendete das Geld an Opfer von Polizeigewalt. Diese Leidenschaft und Glaubwürdigkeit machen das ohnehin beste Album des Jahres noch ein ganzes Stück besser.

Highlights: Oh My Darling Don't Cry, Lie, Cheat, Steal, Early (feat. BOOTS), All Due Respect (Feat. Travis Barker)


2. Angel Olsen – Burn Your Fire For No Witness 
(Folk, Indie Rock)
Angel Olsen hat eine fast schon unheimliche stimmliche Präsenz, egal ob sie über eine einsame Gitarre murmelt oder der aufregende Mittelpunkt überraschender Rocksongs ist. Die Produktion klingt dazu warm und vage nach vergangenen Zeiten, ohne das die Songs jemals Gefahr laufen altbacken oder niedlich zu wirken. Angel Olsens Stimme ist neben ihrer Unmittelbarkeit auch unglaublich variabel: mal wirkt alles mühelos, dann zieht sie den Hörer in dunkle Tiefen, nur um dann Minuten später wieder kraftvoll oder verspielt zu wirken. Die Instrumentierung folgt ihr dabei und wandelt sich von Country, Folk, Rock n Roll bis hin zu Pop ohne jemals den roten Faden zu verlieren. 
Es fällt mir schwer ein Album angemessen zu beschreiben, das mich vom ersten Hördurchgang an so bewegt hat und bis heute wie kein anderes fasziniert. Die Vielseitigkeit macht Burn Your Fire für alle Jahreszeiten und Stimmungen zum passenden Album, Olsens Authenzität und hypnotische Präsenz zwingen fast zum immer und immer wieder hören...  

Highlights: Forgiven/Forgotten, Hi-Five, White Fire, Stars, Windows


3. Swans – To Be Kind 
(Noise Rock, Experimental)
Michael Gira hat den Namen Swans gewählt, weil es schöne, majestätische Tiere mit hässlichem Temperament seien – eine Beschreibung, die seit je her perfekt auf die Musik seiner Band passt. Nach einer langen Pause genoß Gira seit 2010 einen zweiten (oder vierten?) Frühling, der mit dem monströsen 2-Stunden-Album The Seer einen schwindelerregenden Höhepunkt fand. Auf To Be Kind schaffen es Swans absurderweise diese bereits schwindelnden Höhen noch einmal zu überbieten. Das neue Album ist in seiner Klangpalette und Atmosphäre heller (bunter?) als der Vorgänger, von Eingängigkeit ist das Ganze aber immer noch sehr weit entfernt. Stattdessen bleibt Gira eine Art Schamane des kontrollierten Lärms, der, zusammen mit einer perfekt eingespielten Band, den geneigten Hörer zu Trance, Erfüllung und Ekstase führt. 

Highlights: Just A Little Boy (For Chester Burnett), Bring The Sun / Toussaint L'Ouverture, She Loves Us


4. Bombay Bicycle Club – So Long, See You Tomorrow (Indie Rock)
Nachdem ich es eigentlich gar nicht hören wollte, schäme ich mich jetzt fast, dass ich So Long, See You Tomorrow beinahe ungehört ignoriert hätte. Es ist ein lupenreines Indie Pop-Album voll mit tollen Ideen und Gastmusikern, allen voran den wunderschönen Back Up-Vocals von Rae Morris und Lucy Rose. 

Bombay Bicycle Club sehen dabei zwar immer noch aus wie eine Schulband, zelebrieren hier aber mit äußerst ansteckender Energie und Leidenschaft euphorische Popmusik mit ebenso viel verdientem Bombast wie tollen Gitarren-Riffs. Besonders auffällig ist dabei die hohe Dichte der absoluten Hits, die trotzdem nicht zu Lasten der Langlebigkeit dieser Songs fallen. 

Highlights: Overdone, Carry Me, Whenever Wherever, Luna


5. The War on Drugs – Lost In The Dream 
(Indie Rock, Folk Rock)
Lost in the Dream klingt jetzt schon wie ein zeitloses Rock-Album, das seit den 60ern problemlos in jedem Jahrzehnt erscheinen könnte und trotzdem nicht einfach Nostalgie und alt Hergebrachtes ist. Schon beim ersten Hören scheinen die Songs vertraut wie alte Freunde. Das liegt aber nicht daran, dass The War On Drugs von anderen Bands kopieren oder hirnlose Hits schreiben. Stattdessen sind es durchweg ausufernde und gedankenvolle Lieder, die liebevoll, leidenschaftlich vorgetragen werden, ohne dabei irgend etwas von ihrem Unterhaltungswert ein zu büßen. Zeitlose Rockmusik eben.

Highlights: Under the Pressure, Red Eyes, Eyes to the Wind, Burning


6. S – Cool Choices (Folk, Indie "Rock")
Zwei Dinge unterscheiden Cool Choices vom bisherigen Schaffen von Jenn Ghetto als S. Das komplette Album ist eine Verarbeitung/Auseinandersetzung mit einer zerbrochenen Beziehung. Das fällt nicht weiter auf, in einer Diskographie, die sich fast ausschließlich mit (Herz)-Schmerz auseinander setzt. Auffälliger ist der Wandel von verhuschter Schlafzimmermusik zu voller Band und sanften Pop-Anklängen. Mit der Hilfe von Chris Walla (Ex-Death Cab for Cutie) erweitert Ghetto ihren Sound, macht aber nach wie vor wunderschöne, todtraurige Popsongs. So wird aus Cool Choices ein Album, das zunächst fast unauffällig daher kommt, aber schnell und lange Spuren bei dem Hörer hinterlässt.

Highlights: Losers, Vampires, Brunch, Pacific


7. How to Dress Well – What Is This Heart? 
(R&B, Pop)
Die schrecklichen Bezeichnungen Post-R&B oder gar Soft Rock schrecken zunächst ab, sind aber zum Glück nur hoffnungslose Versuche dieses phänomenale Album zu kategorisieren. Tom Krells hypnotischer, tiefgründiger R&B steckt voller Abwechslungsreichtum und ist trotzdem ein berührendes und geschlossenes Universum von enormer Schönheit. Für Freunde „cooler“ Musik ist dieses Album sicher ein Alptraum voller Kitsch und „cheesiness“, allen anderen sei es auch gerade aus diesen Gründen wärmstens ans Herz gelegt.

Highlights: Face Again, Words I Don't Remember, Childhood Faith in Love (Everything Must Change, Everything Must Stay the Same), A Power
  
 
8. alt-j – This Is All Yours 
(Indie Rock, Art Rock)
This Is All Yours ist noch verschrobener als der überraschend erfolgreiche Vorgänger, dabei zwar auf den ersten Blick mit weniger Hits, dafür aber mit einer überwältigenden Schönheit und Melancholie ausgestattet, die aus schrägen Songs strahlende Hymnen macht. Das alt-j mittlerweile große Hallen füllen, kann man einer ausgeklügelten Werbekampagne oder der Durchsetzungsfähigkeit von Qualität zuschreiben, erfreulich ist es aber auf jeden Fall. Ich freue mich jedenfalls jetzt schon darauf noch viele schön-schräge Alben der Band langsam auszupacken.

Highlights: Nara, Hunger Of The Pine, Warm Foothills, Bloodflood, part II

 
9. Nux Vomica – Nux Vomica 
(Crust Punk, Hardcore, Death Metal, Post-Rock)
Nux Vomica vermischen auf den drei absolut epischen Songs ihres neuen Albums die besten Elemente von unzähligen Genres: Crust Punk, Hardcore, Melodic Death Metal, Post-Rock und vieles mehr. Das dabei keine lose Aneinanderreihung von Ideen, sondern ein endlos unterhaltsames und mitreißendes Gesamtkunstwerk heraus kommt, ist schon ein kleines Wunder. Das die Songs trotz ihrer enormen Länge nie langweilig werden, stattdessen neben der obligatorischen Härte auch noch eine emotionale Resonanz entfalten, die ihres gleichen sucht, ist eine absolute Meisterleistung.

Highlights:
  

10. FKA twigs – LP1 (R&B)
Von ihrer ungewöhnlichen Stimme zur detaillierten, düsteren Produktion bis hin zu Look, Musikvideos und Tanzchoreographien hat Tahliah Barnett die volle Kontrolle über ihre musikalische Vision. Das offenbart nicht nur ihr großes Talent, sondern auch den Willen in der oft sehr vorhersehbaren Welt der Popmusik etwas Besonderes, Einzigartiges zu schaffen.
Und wie schon auf den zwei EP's, schafft Barnett das auf ihrem ersten Album scheinbar mühelos. Hilfe bekam sie dafür von einer Galerie an aufstrebenden und etablierten Produzenten, doch im Mittelpunkt steht immer noch Barnetts wunderbare Stimme und FKA twigs, die gleichzeitig als vollendete Kunstfigur daher kommt und doch irgendwie authentisch erscheint.

Highlights: Two Weeks, Pendulum, Video Girl, Numbers 
  

11. Self Defense Family – Try Me 
(Post-Hardcore, Punk)
Dieses Album zu beschreiben oder gar zu kategorisieren fällt mir schwer und genau das macht es so aufregend. Post-Hardcore, Spoken Word und schräge, hypnotische Songstrukturen in allen Ecken machen Try Me zu einem fordernden Hörgenuss. Patrick Kindlons trägt seine kryptischen, wütenden Texte oft fast mantra-artig vor, seine kaputte Stimme immer kurz vor dem kippen, versagen oder explodieren. Die mächtigen Riffs und das Schlagzeugspiel wirken dazu oft zu groß und nur mühsam eingedämmt von den umgebenden Songstrukturen. Manchmal führen diese Songs zu explosiven Entladungen, noch viel effektiver ist aber die meisterhaft gespielte Verzögerung dieser Entladungen, die sich in einer immer präsenten, nervösen Energie manifestiert. 
Neben diesem Album brachten Self Defense Family noch eine sehr schöne, viel ruhigere EP heraus in der Caroline Corrigan die gesangliche Hauptolle übernahm, sowie unzählige Splits, Tracks und sonstige Releases. Das macht die Band zu einer der kreativsten und spannendsten des Jahres.

Highlights: Turn The Fan On, Apport Birds, Aletta, Weird Fingering 

 
12. The Hotelier – Home, Like No Place Is There (Emo, Pop Punk)
Der Begriff „Emo Revival“ wird in letzter Zeit vielen tollen Alben aufgedrückt, aber hier passt es schon. Mindestens seit La Dispute hat mich keine Band zwischen Emo, Punk Rock, Post-Hardcore und Pop Punk so mitgenommen und -gerissen. Von Songnamen, über die üblichen Themen, bis hin zu Christian Holdens dramatischem Gesang, weisen The Hotelier viele Standards von Emo- und Post-Hardcore-Bands auf. Das Ganze ist jedoch bis zum bersten mit kleinen, wunderbaren Momenten gespickt. Und Bersten ist sicherlich genau das richtige Wort, den Holden und seine Mitstreiter stecken so viel Gefühl, Emotionen und Ehrlichkeit in Musik und Texte, das jeder Vorwurf der Künstlichkeit sofort lächerlich wirkt. Dazu überzeugt das schiere Vokabular von Holden, das ihn zu einem großartigen Geschichtenerzähler macht.
 
Highlights: An Introduction To The Album, Your Deep Rest, Life In Drag 


13. Clark – Clark 
(Electronic, IDM, Ambient, Techno)
Das selbst betitelte Album von Clark ist das erste, was ich von dem britischen Künstler höre und ich kann es aufgrund mangelnder Kenntnisse weder in sein eigenes Schaffen noch in ein Genre einordnen. Aber auch für den „Laien“ ist erkennbar, dass Chris Clark ein spannungsgeladenes Meisterwerk abgeliefert hat. Die durchweg düstere Stimmung des Albums ruft apokalyptische Vorstellungen ins Gedächtnis, die sich ebenso in beängstigendem Noise, wie in schönen, aber immer auch beunruhigenden Melodien manifestieren. Die Songs sind aufregend strukturierte Bruchstücke, die immer wieder unerwartete Richtungen einschlagen und sich nahtlos zu einem majestätischen Gesamtkunstwerk zusammenfügen.

Highlights: Unfurla, Sodium Trimmers, The Grit In The Pearl, There's A Distance In You
   

14. Banks – Goddess (R&B, Pop)
Jillian Rose Banks hat ein Luxusproblem: zu viele grandiose Singles. Seit Mitte letzten Jahres hat sie ganze acht davon veröffentlicht, die fast alle großartig waren. Als dann endlich ihr Album erschien, war die Enttäuschung zunächst groß, da fast alle guten Stücke schon längst bekannt waren. Sieht man darüber hinweg, bleibt aber eine Sammlung fast durchweg großartiger R&B-Songs. Banks Stimme ist sinnlich, kraftvoll und emotionsgeladen. Eine beeindruckende Sammlung von Produzenten verhilft ihr zu einem einheitlichen, düsteren Sound mit so vielen Hits, dass man über einige Beliebigkeiten gerne hinweg sieht.

Highlights: Alibi, Waiting Game, Drowning, Begging For Thread


15. Hundred Waters – The Moon Rang Like A Bell (Electronic, Art Rock)
Wenn ich Hundred Waters sehe oder höre, denke ich manchmal, dass es doch etwas zu viel des Guten ist: Zu schön, zu zärtlich, zu entspannend, zu perfekt. Aber dann versinke ich in diesem genialen Album und schalte mein Gehirn aus. Nicole Miglis schraubt ihre eigentlich tiefe, unglaubliche sinnliche Stimme mit scheinbarer Leichtigkeit in unglaubliche Höhen. Ein gesungenes Wort von ihr versetzt ganze Räume in staunendes Schweigen und ihre Mitstreiter schaffen es diese Qualität noch zu unterstreichen in dem sie pulsierende, strahlende Soundteppiche um sie weben in denen nicht mal eine Querflöte unpassend wirkt.

Highlights: Mumurs, Cavity, Chambers (Passing Train), [Animal]

 
16. Warpaint – Warpaint 
(Indie Rock, Psychedelic Rock)
Warpaint sind so fantastisch aufeinander eingespielt, man vergisst schnell wie gut dieses scheinbar mühelos eingespielte Album eigentlich ist. Hypnotische, ätherische Melodien fügen sich zu Songs, die so in den Bann ziehen, dass erst hinterher auffällt wie einprägsam und eingängig sie eigentlich sind. Hier fügen sich perfekt zusammen passende Teile nicht zu glatter Langeweile, sondern zu einem wunderbar anschmiegsamen Indie Rock-Album zusammen.

Highlights: Keep It Healthy, Love Is To Die, Disco//Very, CC


17. Caribou – Our Love (Electronic)
Nach flüchtigem Hören war die Enttäuschung erst mal groß: Das klang ganz anders als der tolle Vorgänger und es klang viel mehr nach beliebiger elektronischer Musik zum nebenbei hören. Doch zum Glück gab ich nicht so schnell auf und es offenbarte sich nach und nach ein großartiges Album, deutlich tanzbarer als die bisherige Musik von Daniel Victor Snaith und doch unverkennbar Caribou. Die Songs ergeben auf den ersten Blick kein geschlossenes Ganzes, glänzen dafür mit viel Abwechslung und unzähligen Nuancen. Das Our Love mit etwas Geduld nicht nur als „Hit“-Sammlung funktioniert, sondern auch als Gesamtkunstwerk ohne Schwächen oder Füller ist eine schöner Bonus. 

Highlights: All I Ever Need, Our Love, Second Chance, Back Home


18. Cold Specks – Neuroplasticity 
(Soul)
Cold Specks ist die Musik einer 26-jährigen Kanadierin, die aus Rücksicht auf ihre religiöse Familie unter dem Pseudonym Al Spx arbeitet. Ihre kraftvolle, raumfüllende Stimme erinnert an christliche Spirituals und Gospel, aber mit deutlich düsteren Untertönen. Auf ihrem neuen Album wird der musikalischen Mischung aus Soul, Jazz, Gospel und Folk nicht nur mehr Experimentierfreudigkeit, sondern auch eine dunklere Seite hinzugefügt, weswegen Cold Specks Musik von Kritikern gerne als Doom Soul bezeichnet wird. Dazu passen die Gastauftritte von Swans-Sänger Michael Gira und Spx kryptische, dramatische Texte.

Noch mehr wie bei ihrem Debüt-Album ist es aber wieder diese imposante Stimme, die mit unzähligen Nuancen der Musik eine Seele jenseits musikalischer Kategorien verleiht. Al Spx könnte damit mühelos ganze Hallen zum Schweigen bringen, sie offenbart aber auch immer eine Verletzlichkeit und Wärme. Dieser Kontrast wird auch in ihren Texten offenbar: Während sie in der Mitte des Albums noch selbstbewusst "I remain unshakeable" donnert, beendet sie es mit dem brüchigen Geständnis "I got an unrelenting desire to fall apart".

Highlights: Bodies At Bay, Let Loose The Dogs, Absisto, A Season Of Doubt


19. Gridlink – Longhena (Grindcore)
Es passiert selten, dass Metalalben mir noch durch eine Mischung aus musikalischer Virtuosität, extremer Härte und enormer Spielfreude ein andauerndes, debiles Grinsen aufs Gesicht zaubern. Das letzte Mal geschah das bei dem letzten Black Metal-Hirnfick von Krallice und dieses Jahr ganz unverhofft bei Gridlink. Aber auch wenn diesen beiden Bands eine unglaubliche Intensität gemeinsam ist, gibt es auf Longhena doch lupenreinen Grindcore zu hören. Die kurzen Songs und pausenlose Härte in diesem Genre bedeutet für mich oft Langeweile oder Kopfschmerzen, doch Gridlink räumen diese Bedenken durch enormen Einfallsreichtum und geniales Songwriting aus. Es klingt absurd, aber dieses Album kann gleichzeitig als kompromisslos, leidenschaftlich und irgendwie eingängig bezeichnet werden.

Es ist schade, dass Longhena schon vor Veröffentlichung als das letzte Album der Band geplant war, aber wirklich tragisch, dass Gitarrist Takafumi Matsubara nach einer Hirninfektion wohl nie wieder Gitarre spielen kann. Aber gerade auch deswegen ist es schön, dass sein möglicherweise letztes Album ein solches Highlight ist. 

Highlights: Constant Autumn, Stay Without Me, Retract Perdition, Island Sun, Look To Windward


20. The Notwist – Close To The Glass 
(Electronic, Indie Rock)
The Notwist vermischen schon lange detailverliebte elektronische Musik mit verschrobenen Indie Rock-Melodien. Nach mindestens einem allgemein anerkannten Meisterwerk und einer innovativen, einflussreichen Karriere waren die Erwartungen an ein neues Album sicher hoch. Das eher ruhige und zunächst unauffällige Close to the Glass brachte abgesehen von dem „Hit-Song“ Kong nur wenig Aufmerksamkeit. Absolut zu unrecht, denn nach einiger Zeit fräsen sich die hypnotischen, perfekt konstruierten Songs allesamt zunächst unbemerkt in die Gehörgänge und bleiben dort auch – dieser lange Atem ist eine Qualität, die so vielen Alben heutzutage abgeht.

Highlights: Kong, Into Another Tune, Run Run Run, They Follow Me

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