Musik:
Seit dem Debüt von Captain Planet hat mich
kein deutschsprachiges Album mehr so schnell und vollständig begeistert wie das zweite Album von Love A. Die Band schafft es
wunderbar plakative, politische Überzeugungen mit ebenso zynischen
wie schwarzhumorigen Alltagsbeobachtungen und pathosgeladenen,
persönlichen Texten zu balancieren. Die Musik dazu ist astreiner
Punk Rock zwischen eingängigem Midtempo und wütenden, schnelleren
Nummern. Textlich ist das oft schräg und seltsam, ebenso aber
meistens unheimlich treffend und einfach nur wahr. Das ganze klingt
dann auch oft wie eine Mischung aus eben Captain Planet und den großen
Vorbildern Turbostaat, bewahrt sich aber auch einen hohen Grad an
Eigenständigkeit und vor allem Wiedererkennungswert.
Die
Songs auf Irgendwie befassen sich mit alternativen
Lebensentwürfen, üben heftige Kritik am deutschen Kleingeist und
lassen der Frustration an einer oft so oberflächlichen und
stromlinienförmigen Gesellschaft leben zu müssen, freien Lauf. Das
kommt manchmal sicher etwas plump rüber, aber in jedem der Songs
gibt es genug einfach zu treffende Textzeilen, um Love A leichterftig
ab zu tun. Das Ganze hat dadurch nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern
auch immer wieder einen überraschenden Tiefgang zwischen all dem Humor und
dem Protest. So kommt es dann, dass eine Refrain, der mit „So
findet jeder Horst am Ende seine Tanja“ beginnt, nicht nur zu einem
der eingängigsten Songs des Jahres gehört, sondern auch trotz all
dem Wortwitz eine unerwartete emotionale Wucht entfaltet. Das Album
ist voll von solchen Zeilen, die immer wieder eine unglaubliche
Beobachtungsschärfe und Wortgewandtheit in den Punk Nummern von Love
A aufdecken. So ballt die Kombination aus Text und Musik im
abschließenden Reise, Reise eine Menge Wut und Resignation
während Songs wie Der tausendste Affe ständig gekonnt
zwischen Humor und Melancholie Hin und Her springen. Diese Vielfalt und Balance
gilt für alle Songs der Platte, die eigentlich keine Schwachpunkte
hat und endlos hörbar bleibt, auch wenn man sie schnell als nur eine
weitere Punk Rock Indie-Platte abtun könnte....
Es fällt mir sehr schwer diese EP auch nur
halbwegs objektiv zu beurteilen, nachdem ich die meisten Stücke
davon zum ersten Mal live aus der ersten Reihe hören konnte und dann
das Stück Musik persönlich von der Künstlerin überreicht bekam,
inklusive Widmung und kurzer Anekdote zum Entstehungsprozess des Gekauften.
Doch auch davon abgesehen ist Haunts
ein wunderschönes Stück Musik. Technisch gesehen sind die Songs
alles alte Song-Ideen und Überbleibsel, doch klingen sie weder
unausgereift noch durchschnittlich. Das einzige, was daran erinnert,
dass diese Songs teilweise von einer 16-Jährigen geschrieben wurden,
sind die Titel und die Texte. Doch die werden schnell nebensächlich,
wenn man die fantastische Stimme von Hollie Fullbrook
hört. Sie klingt oft wie die neuseeländische Antwort auf Laura
Marling, doch auf Haunts mischen sich erstmals deutliche Blues-Spuren
in den Folk Sound von Tiny Ruins. Da reiht sich dann ein
Blues-Cover aus den 30er Jahren ganz organisch zwischen die
Original-Songs ein. Dazu passt, dass die Lieder auf einer
8-Spur-Kassette aufgenommen wurden, was hier zum Glück mehr
erfolgreiches Experiment als bloßes Gimmick ist. Der warme, aber
glasklare Sound ist eine Offenbarung und gibt denn ohnehin schon
schönen Songs noch mehr Kraft und Schönheit.
Auch
bei der neuen Dear
Reader-CD
kann ich nur schwer objektiv bleiben. Grund ist hier ebenso ein
fantastisches Konzert von Cherilyn MacNeil und ihrem
Geiger im Rahmen der TV Noir-Konzertreihe.
Vorher fand ich Dear Reader ganz nett, aber zum Konzert ging
ich eigentlich nur wegen den ebenfalls spielenden Herrenmagazin. Die waren auch sehr gut, aber
die Sieger des Abends waren eindeutig Dear Reader, die mit so viel
Enthusiasmus, Charme und nicht zuletzt eben tollem neuen Material zu
Werke gingen und das Publikum restlos verzauberten.
Der Kern des Auftritts bildeten vorher
unbekannte Stücke von Rivonia.
Das kann schief gehen, aber die Songs waren restlos wunderbar, nicht
zuletzt auch wegen der gewinnenden Ansagen und Annektoden von
MacNeil. Die Erklärungen wären sicher auch auf dem Album
interessant, da es auf Rivonia nicht
um persönliche Dinge geht, sondern um nichts geringeres als die
Geschichte von Südafrika, dem Heimatland von Dear Reader.
Ein so ambitioniertes „Konzept“-Album kann dröge und anstrengend
sein, aber hier gibt es stattdessen mal lustige, mal tragische
Einblicke in die so lebhafte Geschichte eines Landes, über das ich
bisher viel zu wenig wusste. Die Texte lassen aufhorchen und wecken
Interesse an einer tieferen Beschäftigung mit dem Thema, aber
Rivonia funktioniert
auch ohne diese Ebene einfach als eine absolut fehlerlose Sammlung
wunderschöner Lieder.
Cherilyn MacNeils Stimme
ist wie Balsam für die Seele, aber auch wandlungsfähig und zutiefst
unterhaltsam. Eine überaus talentierte Geschichtenerzählerin ist
sie dazu auch noch. Neben dem großen Herz der Musik waren es vor
allem die ungewöhnlichen Arrangements, die Rivonias Songs
live zu einem solchen Erfolg machten. Und überraschenderweise wurde
das auch auf Platte so gut umgesetzt, dass die Erinnerungen an das
schon relativ weit zurückliegende Konzert schon beim ersten
Hördurchgang greifbar werden. Dazu kommen noch jede Menge Chöre,
ungewöhnliche Instrumente von Saxophon bis Akkordeon und ein
kristallklarer, warmer Sound, die dem Ganzen eine zusätzliche
Dimension verleihen. Rivonia
ist eine triumphale, euphorische Liebeserklärung an die Heimat und
schon jetzt eines der besten Alben des Jahres!
Die
Musik von The
Knife
stand meistens in Kontrast zu dem Auftreten der Geschwister Karin
Dreijer Andersson und Olof Andersson. Ihre Abneigung gegenüber dem
kommerziellen Medienzirkus und öffentlichen Auftritten allgemein
stand eine zwar schräge und komplexe, aber doch auch oft
zugängliche, poppige und eingängige, elektronische Musik gegenüber.
Ihr Debüt Deep Cuts war feinster Electro Pop und auch auf dem
Nachfolger Silent Shout gab es trotz einem düsteren und
kühleren Sound noch jede Menge eingängige Momente.
Auf Shaking the Habitual werden
solche Dinge, zumindest auf den ersten Blick, hinten angestellt; Stattdessen gibt es ein monströses,
oft anstrengendes Doppelalbum aus dem sich der Hörer die
Eingängigkeit, die Schönheit oder gar Hörbarkeit der Musik erst
erkämpfen muss. Schon im Vorfeld war es schnell klar, dass Shaking
the Habitual anders werden würde. Zu einem augenkrebserregenden
CD-Cover gab es ein ausführliches politisches Manifesto und
dazu eine 10-minütige, erschreckende „Single“. Da kam schnell
der Gedanke auf, die Band mache alles um potentielle Hörer zu
vergraulen. Doch gleichzeitig zeigten nicht nur das Manifesto,
sondern auch die ebenso politischen wie „provokanten“ Musikvideos
und natürlich die Texte der vorab veröffentlichten Songs, dass der
Band die Inhalte ihrer Musik wichtig wie nie zuvor waren. Und für so
etwas machen Popsongs, die man nebenbei hören kann, einfach keinen
Sinn. Mit etwas Geduld und Wille die Musik wirken zu lassen, wird
Shaking the Habitual aber doch schnell zu einer äußerst
spannenden Reise, einem Album mit überraschend vielen Facetten. Die
bereits genannte Single Full of Fire ist ein stampfendes,
wütendes Bassmonstrum mit selten gehörter Eindringlichkeit. Songs
wie A Tooth for an Eye, Without you my Life would be boring
oder Raging Lung könnten dagegen so ähnlich auch auf den
anderen Alben der Band stehen, auch wenn The Knife ihren typischen
Sound hier mit viel Experimentierfreude erweitert und vertieft haben. Es sind immer noch Popsongs,
aber mit wunderbar vielen Haken und Seltsamkeiten. Die restlichen
Tracks sind noch düsterer und weniger zugänglich. Genau
das macht sie aber im Kontrast mit den leicht verdaulichen Tracks
umso interessanter. Besonders gut funktioniert das auf dem
fantastischen Stay out Here, auf dem Karin Dreijer Anderson
und Shannon Funchess von Light Asylum sich gemeinsam durch ein
Trance-induzierendes Stimmungsmeisterwerk singen oder auf dem ebenso
unheilvollen wie hypnotischen Wrap your Arms around me.
Der einzige Schwachpunkt für mich ist
das über 19 Minuten lange Old Dreams waiting to be realized.
Ich bin ein Fan von Ambient und Drone, aber das können andere Bands
einfach besser und auf einem ohnehin schon sehr langen Album, das am
besten am Stück funktioniert, zerstört so ein Monster-Zwischenstück
ein wenig den Hör-Fluss, vor allem wenn es noch zwei ähnlich lange, wenn auch spannendere Experimente auf Shaking the Habitual gibt. Das ist aber wirklich nur ein minimales
Problem auf einem so vielseitigen und ausgereiften Album, das
eindrucksvoll die Bedeutung von The Knife unterstreicht, wenn schon
nicht politisch, dann zumindest musikalisch.
Ein
richtiges Grindcore-Album zu schreiben ist schon eine hohe Kunst. Die
Musik muss kurzweilig, darf aber nicht eintönig sein und einen umhauen, ohne seinen Wiedererkennungswert zu verlieren. Schlechte Grindcore-Alben
klingen oft wie Baustellenlärm, unterteilt in 1-Minuten-Happen.
Abandon All Life ist da zum Glück das genaue Gegenteil. Die
wütenden Songs peitschen an einem vorbei und trotzdem klingt das
gerade mal 17 Minuten lange Album deutlich länger als es ist – und
das meine ich auf die aller positivste Weise.
Das
auffälligste ist zunächst der satte, frische und knallharte Sound
von Kurt Ballou (Converge). Hier gibt es kein dünnes Schlagzeug oder
Lo-Fi Sound. Stattdessen klingt alles einfach nur unglaublich fett und satt!
Die Musik ist dann auch kein reiner Grind, die Band reichert ihren
Sound mit jede Menge Crust, ein wenig Doom und sogar dem einen oder
anderen Gitarrensolo an. Das machen zwar auch noch jede Menge andere
Bands, aber die Dynamik und der Kontrast der verschiedenen Elemente
erreicht hier größtmögliche Durchschlagskraft. Der Sänger klingt
dazu noch wie eine runter gestimmte, fast noch entfesseltere Version
von Jacob Bannon und gibt dem musikalischen Ungetüm den passenden
Mittelpunkt. Abandon All Life wird so zu keiner Sekunde
langweilig, bis es schließlich in dem gigantischen Wutbrocken Suum
Cuique kulminiert, der schleppend und heavy as Fuck alles
niederwalzt, was die vorhergehenden gut 10 Minuten nicht schon dem
Erdboden gleich gemacht haben. Und kaum ist es vorbei, will man
wieder von vorne anfangen...
Musik Videos:
(Ein Klick auf die Bilder führt zu den Videos...)
Laura
Marling – Brave Bird Saved
Ich wollte das bevorstehende Album von
Laura Marling nicht wieder vorneweg als mein Album des Jahres
abstempeln, aber mit diesem Kurzfilm, der die vier ersten Songs des
nächsten Albums beeindruckend visuell untermalt, bleibt mir jede
Kritik schon wieder im Halse stecken. Die traumhaft düsteren Bilder
und die fantastischen Tanzdarbietungen sind eine perfekte Begleitung
für die überraschend "rockigen", aber wie immer fantastischen, neuen
Songs von Marling.
Cat
Power – Manhattan
Mein Lieblingssong des letzten Cat Power Albums
bekommt ein herrlich passendes Video in dem Cat Power einen Tag/Nacht
im titelgebenden Stadtteil verbringt und einfach nur Spaß hat.
MS MR
– Hurricane
„Welcome to the inner workings of my mind“ -
Farbexplosion, Alptraum, Sextraum, perfekte Umkehrung eines typischen
Popvideos? Irgendwie alles zusammen und sicher eines der besten
Musikvideos des Jahres!
The
Soft Moon – Want
Ein atemloser, aufwühlender Song bekommt ein perfekt passendes Video zur Seite gestellt, dass einen steig eskalierenden Drogentrip beunruhigend hyperrealistisch darstellt.
Savages
– Shut Up
Die Band wird gerade ohne Ende gehyped, aber das
stilvolle Live-Video und das fantastische Spoken Word-Intro machen
schon Gänsehaut und Lust auf mehr!
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