Montag, 6. Mai 2013

Mein April in Musik

Musik:


Seit dem Debüt von Captain Planet hat mich kein deutschsprachiges Album mehr so schnell und vollständig begeistert wie das zweite Album von Love A. Die Band schafft es wunderbar plakative, politische Überzeugungen mit ebenso zynischen wie schwarzhumorigen Alltagsbeobachtungen und pathosgeladenen, persönlichen Texten zu balancieren. Die Musik dazu ist astreiner Punk Rock zwischen eingängigem Midtempo und wütenden, schnelleren Nummern. Textlich ist das oft schräg und seltsam, ebenso aber meistens unheimlich treffend und einfach nur wahr. Das ganze klingt dann auch oft wie eine Mischung aus eben Captain Planet und den großen Vorbildern Turbostaat, bewahrt sich aber auch einen hohen Grad an Eigenständigkeit und vor allem Wiedererkennungswert.

Die Songs auf Irgendwie befassen sich mit alternativen Lebensentwürfen, üben heftige Kritik am deutschen Kleingeist und lassen der Frustration an einer oft so oberflächlichen und stromlinienförmigen Gesellschaft leben zu müssen, freien Lauf. Das kommt manchmal sicher etwas plump rüber, aber in jedem der Songs gibt es genug einfach zu treffende Textzeilen, um Love A leichterftig ab zu tun. Das Ganze hat dadurch nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern auch immer wieder einen überraschenden Tiefgang zwischen all dem Humor und dem Protest. So kommt es dann, dass eine Refrain, der mit „So findet jeder Horst am Ende seine Tanja“ beginnt, nicht nur zu einem der eingängigsten Songs des Jahres gehört, sondern auch trotz all dem Wortwitz eine unerwartete emotionale Wucht entfaltet. Das Album ist voll von solchen Zeilen, die immer wieder eine unglaubliche Beobachtungsschärfe und Wortgewandtheit in den Punk Nummern von Love A aufdecken. So ballt die Kombination aus Text und Musik im abschließenden Reise, Reise eine Menge Wut und Resignation während Songs wie Der tausendste Affe ständig gekonnt zwischen Humor und Melancholie Hin und Her springen. Diese Vielfalt und Balance gilt für alle Songs der Platte, die eigentlich keine Schwachpunkte hat und endlos hörbar bleibt, auch wenn man sie schnell als nur eine weitere Punk Rock Indie-Platte abtun könnte....

Es fällt mir sehr schwer diese EP auch nur halbwegs objektiv zu beurteilen, nachdem ich die meisten Stücke davon zum ersten Mal live aus der ersten Reihe hören konnte und dann das Stück Musik persönlich von der Künstlerin überreicht bekam, inklusive Widmung und kurzer Anekdote zum Entstehungsprozess des Gekauften. Doch auch davon abgesehen ist Haunts ein wunderschönes Stück Musik. Technisch gesehen sind die Songs alles alte Song-Ideen und Überbleibsel, doch klingen sie weder unausgereift noch durchschnittlich. Das einzige, was daran erinnert, dass diese Songs teilweise von einer 16-Jährigen geschrieben wurden, sind die Titel und die Texte. Doch die werden schnell nebensächlich, wenn man die fantastische Stimme von Hollie Fullbrook hört. Sie klingt oft wie die neuseeländische Antwort auf Laura Marling, doch auf Haunts mischen sich erstmals deutliche Blues-Spuren in den Folk Sound von Tiny Ruins. Da reiht sich dann ein Blues-Cover aus den 30er Jahren ganz organisch zwischen die Original-Songs ein. Dazu passt, dass die Lieder auf einer 8-Spur-Kassette aufgenommen wurden, was hier zum Glück mehr erfolgreiches Experiment als bloßes Gimmick ist. Der warme, aber glasklare Sound ist eine Offenbarung und gibt denn ohnehin schon schönen Songs noch mehr Kraft und Schönheit. 

Auch bei der neuen Dear Reader-CD kann ich nur schwer objektiv bleiben. Grund ist hier ebenso ein fantastisches Konzert von Cherilyn MacNeil und ihrem Geiger im Rahmen der TV Noir-Konzertreihe. Vorher fand ich Dear Reader ganz nett, aber zum Konzert ging ich eigentlich nur wegen den ebenfalls spielenden Herrenmagazin. Die waren auch sehr gut, aber die Sieger des Abends waren eindeutig Dear Reader, die mit so viel Enthusiasmus, Charme und nicht zuletzt eben tollem neuen Material zu Werke gingen und das Publikum restlos verzauberten. 

Der Kern des Auftritts bildeten vorher unbekannte Stücke von Rivonia. Das kann schief gehen, aber die Songs waren restlos wunderbar, nicht zuletzt auch wegen der gewinnenden Ansagen und Annektoden von MacNeil. Die Erklärungen wären sicher auch auf dem Album interessant, da es auf Rivonia nicht um persönliche Dinge geht, sondern um nichts geringeres als die Geschichte von Südafrika, dem Heimatland von Dear Reader. Ein so ambitioniertes „Konzept“-Album kann dröge und anstrengend sein, aber hier gibt es stattdessen mal lustige, mal tragische Einblicke in die so lebhafte Geschichte eines Landes, über das ich bisher viel zu wenig wusste. Die Texte lassen aufhorchen und wecken Interesse an einer tieferen Beschäftigung mit dem Thema, aber Rivonia funktioniert auch ohne diese Ebene einfach als eine absolut fehlerlose Sammlung wunderschöner Lieder. 
 
Cherilyn MacNeils Stimme ist wie Balsam für die Seele, aber auch wandlungsfähig und zutiefst unterhaltsam. Eine überaus talentierte Geschichtenerzählerin ist sie dazu auch noch. Neben dem großen Herz der Musik waren es vor allem die ungewöhnlichen Arrangements, die Rivonias Songs live zu einem solchen Erfolg machten. Und überraschenderweise wurde das auch auf Platte so gut umgesetzt, dass die Erinnerungen an das schon relativ weit zurückliegende Konzert schon beim ersten Hördurchgang greifbar werden. Dazu kommen noch jede Menge Chöre, ungewöhnliche Instrumente von Saxophon bis Akkordeon und ein kristallklarer, warmer Sound, die dem Ganzen eine zusätzliche Dimension verleihen. Rivonia ist eine triumphale, euphorische Liebeserklärung an die Heimat und schon jetzt eines der besten Alben des Jahres!


Die Musik von The Knife stand meistens in Kontrast zu dem Auftreten der Geschwister Karin Dreijer Andersson und Olof Andersson. Ihre Abneigung gegenüber dem kommerziellen Medienzirkus und öffentlichen Auftritten allgemein stand eine zwar schräge und komplexe, aber doch auch oft zugängliche, poppige und eingängige, elektronische Musik gegenüber. Ihr Debüt Deep Cuts war feinster Electro Pop und auch auf dem Nachfolger Silent Shout gab es trotz einem düsteren und kühleren Sound noch jede Menge eingängige Momente.

Auf Shaking the Habitual werden solche Dinge, zumindest auf den ersten Blick, hinten angestellt; Stattdessen gibt es ein monströses, oft anstrengendes Doppelalbum aus dem sich der Hörer die Eingängigkeit, die Schönheit oder gar Hörbarkeit der Musik erst erkämpfen muss. Schon im Vorfeld war es schnell klar, dass Shaking the Habitual anders werden würde. Zu einem augenkrebserregenden CD-Cover gab es ein ausführliches politisches Manifesto und dazu eine 10-minütige, erschreckende „Single“. Da kam schnell der Gedanke auf, die Band mache alles um potentielle Hörer zu vergraulen. Doch gleichzeitig zeigten nicht nur das Manifesto, sondern auch die ebenso politischen wie „provokanten“ Musikvideos und natürlich die Texte der vorab veröffentlichten Songs, dass der Band die Inhalte ihrer Musik wichtig wie nie zuvor waren. Und für so etwas machen Popsongs, die man nebenbei hören kann, einfach keinen Sinn. Mit etwas Geduld und Wille die Musik wirken zu lassen, wird Shaking the Habitual aber doch schnell zu einer äußerst spannenden Reise, einem Album mit überraschend vielen Facetten. Die bereits genannte Single Full of Fire ist ein stampfendes, wütendes Bassmonstrum mit selten gehörter Eindringlichkeit. Songs wie A Tooth for an Eye, Without you my Life would be boring oder Raging Lung könnten dagegen so ähnlich auch auf den anderen Alben der Band stehen, auch wenn The Knife ihren typischen Sound hier mit viel Experimentierfreude erweitert und vertieft haben. Es sind immer noch Popsongs, aber mit wunderbar vielen Haken und Seltsamkeiten. Die restlichen Tracks sind noch düsterer und weniger zugänglich. Genau das macht sie aber im Kontrast mit den leicht verdaulichen Tracks umso interessanter. Besonders gut funktioniert das auf dem fantastischen Stay out Here, auf dem Karin Dreijer Anderson und Shannon Funchess von Light Asylum sich gemeinsam durch ein Trance-induzierendes Stimmungsmeisterwerk singen oder auf dem ebenso unheilvollen wie hypnotischen Wrap your Arms around me.

Der einzige Schwachpunkt für mich ist das über 19 Minuten lange Old Dreams waiting to be realized. Ich bin ein Fan von Ambient und Drone, aber das können andere Bands einfach besser und auf einem ohnehin schon sehr langen Album, das am besten am Stück funktioniert, zerstört so ein Monster-Zwischenstück ein wenig den Hör-Fluss, vor allem wenn es noch zwei ähnlich lange, wenn auch spannendere Experimente auf Shaking the Habitual gibt. Das ist aber wirklich nur ein minimales Problem auf einem so vielseitigen und ausgereiften Album, das eindrucksvoll die Bedeutung von The Knife unterstreicht, wenn schon nicht politisch, dann zumindest musikalisch.

Ein richtiges Grindcore-Album zu schreiben ist schon eine hohe Kunst. Die Musik muss kurzweilig, darf aber nicht eintönig sein und einen umhauen, ohne seinen Wiedererkennungswert zu verlieren. Schlechte Grindcore-Alben klingen oft wie Baustellenlärm, unterteilt in 1-Minuten-Happen. Abandon All Life ist da zum Glück das genaue Gegenteil. Die wütenden Songs peitschen an einem vorbei und trotzdem klingt das gerade mal 17 Minuten lange Album deutlich länger als es ist – und das meine ich auf die aller positivste Weise. 
 
Das auffälligste ist zunächst der satte, frische und knallharte Sound von Kurt Ballou (Converge). Hier gibt es kein dünnes Schlagzeug oder Lo-Fi Sound. Stattdessen klingt alles einfach nur unglaublich fett und satt! Die Musik ist dann auch kein reiner Grind, die Band reichert ihren Sound mit jede Menge Crust, ein wenig Doom und sogar dem einen oder anderen Gitarrensolo an. Das machen zwar auch noch jede Menge andere Bands, aber die Dynamik und der Kontrast der verschiedenen Elemente erreicht hier größtmögliche Durchschlagskraft. Der Sänger klingt dazu noch wie eine runter gestimmte, fast noch entfesseltere Version von Jacob Bannon und gibt dem musikalischen Ungetüm den passenden Mittelpunkt. Abandon All Life wird so zu keiner Sekunde langweilig, bis es schließlich in dem gigantischen Wutbrocken Suum Cuique kulminiert, der schleppend und heavy as Fuck alles niederwalzt, was die vorhergehenden gut 10 Minuten nicht schon dem Erdboden gleich gemacht haben. Und kaum ist es vorbei, will man wieder von vorne anfangen...


Musik Videos:
(Ein Klick auf die Bilder führt zu den Videos...)

Laura Marling – Brave Bird Saved
Ich wollte das bevorstehende Album von Laura Marling nicht wieder vorneweg als mein Album des Jahres abstempeln, aber mit diesem Kurzfilm, der die vier ersten Songs des nächsten Albums beeindruckend visuell untermalt, bleibt mir jede Kritik schon wieder im Halse stecken. Die traumhaft düsteren Bilder und die fantastischen Tanzdarbietungen sind eine perfekte Begleitung für die überraschend "rockigen", aber wie immer fantastischen, neuen Songs von Marling. 
 
Cat Power – Manhattan
Mein Lieblingssong des letzten Cat Power Albums bekommt ein herrlich passendes Video in dem Cat Power einen Tag/Nacht im titelgebenden Stadtteil verbringt und einfach nur Spaß hat. 
 
MS MR – Hurricane
„Welcome to the inner workings of my mind“ - Farbexplosion, Alptraum, Sextraum, perfekte Umkehrung eines typischen Popvideos? Irgendwie alles zusammen und sicher eines der besten Musikvideos des Jahres! 
 
The Soft Moon – Want
Ein atemloser, aufwühlender Song bekommt ein perfekt passendes Video zur Seite gestellt, dass einen steig eskalierenden Drogentrip beunruhigend hyperrealistisch darstellt
 
Savages – Shut Up
Die Band wird gerade ohne Ende gehyped, aber das stilvolle Live-Video und das fantastische Spoken Word-Intro machen schon Gänsehaut und Lust auf mehr!

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