Montag, 2. November 2015

Alben des Monats - Oktober 2015



Julien Baker - Sprained Ankle
"I know you left hours ago, I still haven't moved yet.
I knew you were gone months ago, but I can't think of anyone else."

Julien Baker vermisste auf dem College ihre alte Band aus High School-Zeiten . Also fing sie an alleine Songs zu schreiben. Auf Anraten ihrer Freunde veröffentlichte sie diese Songs. Ein Jahr später hat sie jetzt ein Label und die Aufmerksamkeit der Musikpresse:  Zum Glück! Sprained Ankle ist eines der schönsten, traurigsten Alben des Jahres und ein absurd ausgereiftes, poetisches Debütalbum für eine 19-Jährige.

Es wäre jedoch verfehlt Baker als besonders weise oder reif für ihr Alter anzupreisen. Stattdessen beschreibt sie sich selbst in ihren Songs als zutiefst menschlich, junge Frau, die mit sich selbst, der Liebe, Gott und dem Leben hadert. Ihre Texte sind schmerzhaft persönlich und ehrlich, manchmal voll Selbstmitleid, aber auch überraschend trotzig und kraftvoll. Ihre Themen sind ebenso persönlich wie universell und profitieren von einer täuschend simplen Sprache hinter der sich eine enorme Eleganz, Poesie und vor allem emotionale Wucht verbergen. Der erst Satz des Titelsongs ist "Wish I could write songs about anything other than death". Das ist so etwas wie ein Mission Statement, aber auch täuschend. Denn Bakers Lieder handeln weniger vom Tod, sondern mehr von der Schwierigkeit zu leben. Passend dazu wirft sie auf jedem Song wirklich alles in die Waagschale. 

Mich erinnert Sprained Ankle an die ersten Eps von Daughter und das Debüt-Album von Torres. Mit Beiden hat Julien Baker die große Intensität und Melancholie gemeinsam, ebenso wie die selten gesehene Gänsehaut-Reaktion bei mir vom ersten Hören an. Doch auch bei der Musik ist die simple Eleganz Bakers großes Alleinstellungsmerkmal. Es ist meist nur ihre Stimme und eine Gitarre, die das Gerüst der Songs bilden. Die Melodien sind dabei so trügerisch einfach, wie effektiv. Auf dem Alben-Highlight Something etwa steigert sich Bakers Stimme langsam an Intensität und transportiert dabei unheimlich viel Schmerz, Trauer und Wut, während die hypnotische Gitarrenmelodie im Hintergrund ganz simpel bleibt. Dieses Phänomen zieht sich durch das ganze Album. Die Instrumentierung ist einfach, manchmal minimalistisch, aber nie langweilig oder gleichförmig. Baker doppelt ihre Stimme und arbeitet mit Effekten oder mehreren Gitarrenspuren, sporadisch kommen andere Instrumente zum Einsatz, aber es bleibt im Kern immer ihre hypnotische Gitarre und ihre unglaubliche Stimmgewalt.  

Alle Songs auf Sprained Ankle sind traurig und schmerzhaft, aber auch von einer großen, strahlenden Schönheit. Das alles kulminiert in Go Home, dem abschließenden Klaviersong. Baker verarbeitet Suchtprobleme, Krankheit, Depression und ihr selbstzerstörerisches Verhalten, das daraus resultierte. Und ich habe selten so einen traurigen, wuchtigen und schönen Song gehört. Noch mehr als auf dem Rest des Albums landet jede Zeile wie eine Faust in die Magengegend, zieht jedes Wort aus Bakers Mund am Herzen. Wenn ihre flehende Stimme beim letzten "I wanna go home!" bricht und eine wunderschöne Klaviermelodie und die undeutliche Stimme eines Predigers den Hörer sanft aus dem Album geleiten, ist klar, dass es sich hier um etwas ganz Besonderes handelt. Das beste Debüt-Album des Jahres? Gut möglich. Auf jeden Fall bin ich gespannt, was noch von einer Musikerin kommen wird, die diese fantastischen Songs mehr nebenbei geschrieben hat als sie gerade mal 18 Jahre alt war und ihre Band vermisste!  

Lieblingslieder: Sprained Ankle, Brittle Boned, Something, Go Home

Dilly Dally - Sore
"Don't wanna know you. 
Cause you don't know me, you don't know me, man.
You try and stop me but I'm not dead."

Dilly Dally aus Toronto vermischen Grunge mit triumphalen Rock und klingen manchmal wie eine Mischung aus Nirvana und den Japandroids mit einer Sängerin. Solche Vergleiche sind hilfreich, aber auch zu kurz gegriffen, denn die Band bietet so viel mehr.

Das größte Ausrufezeichen im Sound von Dilly Dally ist auf jeden Fall die Stimme von Katie Monk. Ihre kratzige Reibeisenstimme erinnert oft an Kurt Cobain, aber sie hat eine Energie und Stimmkontrolle, die diesen weit in den Schatten stellt. Dabei klingt sie nie gekünstelt oder angestrengt, sondern strahlt immer ein enormes Selbstbewusstsein aus. Oder besser gesagt: Die Frau hat unheimlich viel "swagger" in der Stimme! Dazu ist Monks Gesang wunderbar dreckig und sexy - schon nach einer gesungenen Zeile hat sie die absolute Aufmerksamkeit sicher.

Der Bandsound von Dilly Dally hat schon ordentliche Grunge-Einflüsse, ist aber meilenweit entfernt von der Pathos-getränkten Musik des Grunge-Revivals. Stattdessen macht die Band mal Songs, die hingerotzt klingen (im positiven Sinne), dann wieder gibt es große, euphorische Rockmomente und riesige Soundwände, die versuchen mit Monks unglaublicher Selbstsicherheit am Mikrofon und ihren beeindruckenden Schreien mitzuhalten. So kommt es, dass die Songs von Sore in eine dreckige Kneipe kurz vor die Sperrstunde passen würden, aber auch in einer großen Arena nicht fehl am Platz erscheinen würden. Gemeinsam ist diesen beiden Szenarien, dass man bei Dilly Dally schon mit grölen will - ja, fast muss - bevor man die Songs wirklich kennt, geschweige denn singen kann.   

Lieblingslieder:  Desire, Next Gold, Purple Rage, Ice Cream

The Black Heart Rebellion - 
People, when you see the smoke, 
do not think it is fields they're burning
"Where do we go, when we're bound by wild desire?"

The Black Heart Rebellion schrieben schon auf ihrem letzten Album weniger klassische Songs und mehr Events zwischen primitivem Ritual und Seancé. Sie benutzen dafür Elemente von Metal, Post-Rock, Drone, Ambient und etwas was an fernöstliche und indianische Musik erinnert. Genregrenzen verschwimmen dabei vollkommen und machen einem schwer beschreibbaren aber dafür umso greifbaren musikalischen Erlebnis Platz.

Viel hat sich dabei seit dem letzten Album der Belgier eigentlich nicht geändert. Doch wo Har Nevo gelegentlich noch etwas fragmentiert wirkte, ist People... wie aus einem Guss. Pieter Uyttenhoves Gesang ist nach wie vor beeindruckend und bildet den Anker im hypnotischen Sound der Band. Dabei zieht er sowohl als animalisch rufender Schamane in den Bann als auch in einem melancholischen und absolut hypnotischen Duett wie Near To Fire For Bricks.

People... klingt dabei immer wie etwas altertümliches. Nicht im Sinne von altmodisch oder nostalgisch, sondern viel mehr ursprünglich und natürlich. Die Musik zieht ihre Stärke aus ihrer Intensität und Natürlichkeit. Statt Künstlichkeit und Oberflächlichkeit beschwören The Black Heart Rebellion erneut etwas Wahres und Echtes.   

Lieblingslieder: Body Breakers, Near To Fire For Bricks, Rust   

Kelela - Hallucinogen
"You - When it's good I'm questioning. You - Then I stop to take it in."

Kelela verbindet eindrucksvoll eine Verehrung des RnB der 90er Jahre mit einem äußerst modernen und düsteren Sound. Nach einem exzellenten Mixtape 2013 war es lange still um sie, während ähnliche Künstler - allen voran FKA twigs - große Erfolge feierten. Zum Glück ist Hallucinogen aber so gut und gleichzeitig so eigenständig, dass sie Kelela eigentlich wieder ins Rampenlicht befördern müsste.

Der Vergleich zu twigs ist naheliegend. Die Musik ist auf den ersten Blick ähnlich und bei beiden Künstlerinnen hat Arca als Produzent seine Spuren hinterlassen. Doch Kelelas Musik ist direkter und sinnlicher als die oft verstörenden und gekünstelten Songs ihrer Kollegin. Auf Hallucinogen geht es auch düster zu, aber Kelela ist gleichzeitig poppiger und dramatischer. Der oft kühlen, elektronischen Produktion setzt sie ihre warme, sehnsuchtsvolle Stimme entgegen. Die erinnert oft an Aaliyah, wird aber gleichzeitig mehr wie ein sehr vielseitiges Instrument in die Songs eingewoben.

Die sechs Songs auf der EP klingen unterschiedlich durch die verschiedenen Produzenten, trotzdem wirkt Hallucinogen nie unzusammenhängend. Ganz im Gegensatz dazu werden die verschiedenen Stile hier zu einer Stärke. Denn Kelela erzählt in den Texten von einer zerbrechenden Beziehung. Die Produktionen spiegeln dabei gekonnt die Stimmungen, die in den lyrics transportiert werden.       
Aus unerfindlichen Gründen wird diese Geschichte in umgekehrter Reihenfolge erzählt und beginnt mit dem schmerzhaften A Message am Ende der Beziehung. Musikalisch ist das ein Geniestreich, denn der Song ist wie ein schmerzhafter Schlag in die Magengrube, aber auch wahnsinnig schön. Nicht das der Rest der EP dagegen abfallen würde, denn Schwachpunkte gibt es keine. Kelela hat eine gewaltige stimmliche Präsenz, die in den Bann zieht und eine wandelbare Stimme, sodass es nie langweilig wird. 

Lieblingslieder: A Message, Rewind, All The Way Down

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen