Dexter und Sons of Anarchy sind gute, manchmal auch großartige Spannungs-Serien mit innovativen oder zumindest äußerst ungewöhnlichen Konzepten für Produkte der amerikanischen Fernsehkultur. Sie sind auf eine Weise das absolute Gegenteil typischer amerikanischer Fernse-Serien mit ihrem Fokus auf traditionellen Werten, eindeutigen Helden und vorhersehbaren Spannungsbögen. Trotz allem ist sowohl Dexter als auch Sons of Anarchy oft überraschend traditionell, ja fast schon konservativ und wurde auch genau deswegen zu Publikumslieblingen...
Dexter Morgan, die Hauptfigur der gleichnamigen Serie, ist ein Forensiker mit dem Schwerpunkt Blut bei der Polizei von Miami. Gleichzeitig ist er aber ein methodischer und scheinbar mitleidsloser Serienkiller. Sein verstorbener Vater, der Dexters Neigung früh erkannte, schulte ihn darauf seine Mordlust mit einem Code zu zügeln, der ihm nur erlaubt andere Mörder umzubringen, denen die Polizei nicht beikommen kann oder die sich bisher dem Gesetz erfolgreich entziehen konnten.
Diese Tatsache macht Dexter sicherlich zu einem der deutlichsten und bedenklichsten Anti-Helden in der Fernsehgeschichte. Denn besonders am Anfang wird es durchaus deutlich, dass diese Figur ein eiskalter Mörder ist, der das Töten genießt, es braucht und dazu noch von anderen Killern und deren Taten überaus fasziniert ist. Doch die Serie schafft es Dexter Morgan mit unheimlicher Geschwindigkeit zu einem Helden zu machen, einer Person, mit der man sich so sehr identifiziert, dass man oft vollkommen vergisst, was da eigentlich auf dem Fernsehschirm (und in einem selbst) geschieht. Das ist sicher zum Teil der Verdienst von Darsteller Michael C. Hall, der dieser auf dem Papier so eindimensional und böse wirkenden Figur, unheimlich viele Facetten und Nuancen gibt, sowie ein grandioses Mimik-Spiel. Dazu kommt der abschwächende Trick der Serien-Schreiber Dexter Support-Charakter beizustellen, die ihn zunehmend vermenschlichen und Gegner, die noch viel grausamer und gewissenloser sind als er und sich dazu noch an den Unschuldigen und Wehrlosen vergehen. Dagegen versucht Dexter selbst gegen seine Dränge zu kämpfen, um ein normaler Mensch werden zu können. Und so wird aus einem Massenmörder so etwas wie Batman; ein Mann, der die bestraft, die der Polizei entwischt sind oder denken über dem Gesetz zu stehen.
Doch neben diesen Faktoren spielt sicher auch die Faszination vieler Zuschauer mit Mord und den düsteren Ecken der Gesellschaft und auch dem menschlichen Gehirn eine Rolle. Dexter Morgan kehrt seine Dämonen nach außen und geht seinen Trieben nach, nur gesteuert vom eigenen Überlebensdrang und in einem geringeren Ausmaß auch das Wohlbefinden von Familie und Freunden (zumindest am Anfang der Serie). Solche oder ähnliche Fantasien hat sicher jeder einmal und Dexter gibt dafür ein sicheres Ventil.
Sons of Anarchy ist fast noch drastischer. Es geht um Jackson „Jax“ Teller, den „Golden Boy“ einer Motorradgang, die von seinem (verstorbenen)Vater mitbegründet wurde. Er beginnt das Gangleben voller Gewalt und Waffenhandel in Frage zu stellen und ist hin- und hergerissen zwischen den Verlockungen des Ganglebens und der Vorstellung von einem normalen und friedlichen Leben. Der Konflikt mit dieser Ersatzfamilie und vor allem mit seiner Vaterfigur, dem Gang-Anführer Clarence „Clay“ Morrow hat Züge von Hamlet, ist aber in erster Linie eine hervorragende Action/Spannungs-Serie. In Sons of Anarchy werden so die sonst klassischen Serien-Bösewichte zu den Helden der Geschichte. Das geschieht erst einmal durch die allgegenwärtige Korruption und der uneingeschränkten Eigennützigkeit, die aus den Helden (Polizei, FBI, ATF, usw.) im besten Fall Figuren in einer ethischen Grauzone macht und sie im drastischsten Fall zu manipulativen, machthungrigen Karikaturen verkommen lässt (die aber durchaus unterhaltsam sind). So sind die Sympathien schon deutlich zugunsten der Biker verschoben. Dazu kommt eine oft äußerst bedenkliche Glorifizierung des Gangsterlebens in der Freundschaft, Bruderschaft und Loyalität über allem stehen und jeder dazu einfach verdammt cool ist. Da vergisst oder verdrängt der Zuschauer schnell, dass die „Helden“ der Serie allesamt Mörder, Waffenhändler, Drogendealer und Schläger sind, die noch dazu Frauen oft wie Dreck behandeln. Die Identifikationskraft mit diesen coolen Typen und ihrer „Familie“ geht dann sogar soweit, dass Gewaltausbrüche gefeiert und bejubelt werden. Denn immerhin stehen die Mitglieder von Sons of Anarchy für etwas, in einer Welt, wo sonst jeder nur an sich selbst denkt. Der Wunsch nach Familie, Zugehörigkeit und etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt, macht für viele Zuschauer die Serie sicher ebenso reizvoll wie auch die Vorstellung eines Lebens außerhalb des Alltags und der „normalen“ Gesellschaft. Die Macher der Serie versuchen, ähnlich wie bei Dexter, die Brutalität und moralische Fragwürdigkeit der Protagonisten abzumildern durch Nebenfiguren, die entweder die Hauptfiguren in ein wärmeres Licht tauchen oder aber, durch ihre noch viel größere Boshaftigkeit, heldenhafter erscheinen lassen. Dazu kommt auch hier, der Versuch der Hauptfigur der Kriminalität zu entfliehen und ein ehrenhaftes Leben zu führen. Das die auf den ersten Blick so deutliche, moralische Fragwürdigkeit der Serien-Helden schnell unwichtig wird, ist auch hier der guten Arbeit von Schauspielern und Drehbuchschreibern zu verdanken.
Diese post-“whatever“-modernen Serienhelden sind also das absolute Gegenteil klassischer Fernsehhelden, die mehr oder weniger geradlinig, Verbrecher schnappen und parallel die Frau fürs Leben suchen und/oder Freundschaften pflegen, während sie bei all dem immer einem klar ausformulierten, moralischen Kodex folgen. Doch bei genauerer Betrachtung gehorchen die Protagonisten von Sons of Anarchy und Dexter größtenteils den gleichen Konventionen amerikanischer Fernsehkultur. Die Figuren sind deutlich vielschichtiger und stehen an einer ungewöhnlichen Stelle des Helden-Schurken-Spektrums, gleichzeitig steht aber auch hier das Identifikationspotential für die Zuschauer und deren Verlangen nach den üblichen Geschichten an erster Stelle. So wird aus dem emotionslosen, asexuellen Massenmörder zunehmend ein Familienmensch, der Liebe findet, ebenso wie ein reiches, emotionales Innenleben. Und aus dem ruchlosen Biker wird ein liebevoller Familienmensch, der Gewalt mehr zum Schutz seiner Familie einsetzt und allgemein sein Gehirn einsetzt, anstatt nur seine Fäuste. Diesen Zwängen der Fernsehunterhaltung können auch solche provokanten Serien nicht entkommen. Doch gerade dieser Anteil klassischer Fernsehmechanismen macht diese vielschichtige Fernsehunterhaltung voller tiefgründiger, konfliktbeladener Figuren, die den Zuschauer nicht nur berieseln, sondern heraus fordern und zum Denken anregen, erst möglich. Warum fasziniert mich das so? Warum gefällt mir das so? Ist es in Ordnung, es gut zu finden? Graustufen statt nur schwarz und weiß.
Natürlich haben die Serien auch ihre Probleme: Dexter hat in sich geschlossene Handlungsanteile in jeder Folge und eine Hintergrundhandlung, die sich durch eine ganze Staffel zieht. Dadurch kommt es zwangsläufig dazu, dass der Anfang von Staffeln oft mit Füllmaterial angereichert wird, bevor es zur Mitte hin langsam immer spannender wird. Dazu kommt die oft leider viel zu starke Geschlossenheit der einzelnen Staffeln. Die weitreichenden, schockierenden Entwicklungen in einer Staffel hat größtenteils keine Auswirkungen auf die nächste Staffel und vergangene Ereignisse bleiben frustrierender weise unerwähnt. Die Kehrseite davon ist, dass sich Dexter oft für eine Staffel hervorragende und angesehene Gastdarsteller aussuchen kann, die sich gegenseitig in Charisma und Talent überbieten.
Die Serie beschränkt sich dazu noch zu sehr auf die Perspektive und das Innenleben von Dexter Morgan. Nebenfiguren sind dadurch unterentwickelt und werden mit zunehmender Länge der Serie nahezu überflüssig für die Haupthandlung. Doch die, vor allem am Ende einer Staffel, erzeugte Spannung und der ungewöhnliche, absolut grandios gespielte Protagonist gleichen das größtenteils aus.
Bei Sons of Anarchy fängt das Problem mit dem Serienschöpfer Kurt Sutter an, dessen riesiges Ego ihn zwar zu einem hervorragenden Kritiker macht, aber Kritik an der eigenen Person bzw. Problemen in der Serie unmöglich macht. Auch seine Serie leidet in etwas eingeschränkterem Ausmaß an den fehlenden Konsequenzen. Am Ende einer Staffel kommen alle davon und zu Beginn der nächsten Staffel geht es mehr oder weniger von vorne los, ohne das eine Weiterentwicklung stattgefunden hätte. Dazu kommt mit Jax eine Hauptfigur, die von den Konflikten zwischen Club vs. Familie vs. Liebe vs. Selbsterhaltung so gelähmt ist, dass sie zu einer rein reaktiven Figur wird, die nur selten aktiv ins Geschehen eingreift. Dagegen stehen aber auch hier Schauspieler, die aus auf den ersten Blick für sie unpassend erscheinenden Rollen, alles heraus holen und ein großartig angelegten Spannungsbogen, der am Ende einer Staffel sowohl schlüssig, mitreißend und am wichtigsten - überraschend aufgelöst wird.
Was beide Serien darüber hinaus so faszinierend macht ist ihre thematische Vielschichtigkeit: Anteile von Drama, Comedy und Action werden größtenteils mühelos in die Serien eingefügt und ergänzt durch ethische, psychologische und gesellschaftliche Thematiken. Dazu kommt der hohe serielle Anteil, der das Suchtpotential noch einmal deutlich vergrößert („nur noch eine Folge!“). Dadurch vereinen Dexter und Sons of Anarchy das Beste von alt und neu. Alle Mechanismen, die für erfolgreiche Serien notwendig sind, werden auch hier angewandt und sorgen für ein hohes Identifikationspotential. Dazu kommen aber ungewöhnliche, vielschichtige Protagonisten, die unsere eigenen Moralvorstellungen in Frage stellen, sie gegen unsere geheimen Sehnsüchte ausspielen und dazu noch die in Hollywood oft viel zu klaren (und langweiligen) Grenzen zwischen gut und böse verwischen....
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