Car Seat Headrest - Teens of Denial
Will Toledo ist gerade mal 23 Jahre alt und hat
mit seinem ersten offiziellen Album für Matador Records mal eben ein absolut fantastisches
Indie Rock-Debüt heraus gebracht. Doch eigentlich stimmt das schon nicht, denn
seit 2010 hat Toledo sage und schreibe 12 Alben selbstständig über Bandcamp
veröffentlicht. Seine Musik wurde dabei immer weniger Lo-fi, doch erst mit
Teens of Denial wurde aus Car Seat Headrest endgültig eine richtige Rock-Band
und aus Toledo so etwas wie ein Rockstar.
Doch auch diese Behauptung ist eigentlich ungenau,
denn anstelle eingängiger, gradliniger Rocksongs gibt es auf Teens of Denial
zwölf absolut ungewöhnliche, massive Ungetümer, die fast alle die
5-Minuten Marke überschreiten - ohne irgendwann auch nur ansatzweise langweilig oder
vorhersehbar zu werden. Toledo ist absurd selbstsicher und unterhaltsam, obwohl
er sich gleichzeitig als phlegmatisch, sarkastisch, depressiv und vor allem
planlos präsentiert.
Der erste Song des Albums beginnt mit der
wunderbaren Zeile: "I'm so sick of (fill in the blank)" und diese
tiefe Frustration, die sich aus einer Plan-, Richtungs- und Antriebslosigkeit
zusammen setzt, zieht sich durch das ganze Album. Im selben Song wehrt sich
Toledo gegen die Vorwürfe, dass er noch nicht genug gekämpft habe, um depressiv
zu sein. In anderen Songs versucht er es mit Drogen, Alkohol und Partys, doch
die Drogen haben nicht die gewünschte Wirkung, der Alkohol wird zur Gewohnheit
und auf die Partys folgt der Kater und die Melancholie.
Die Frustration und Richtungslosigkeit gipfelt in
der ebenso absurden, wie genialen Ballad of the Costa Concordia. In mehr als 11
Minuten präsentiert sich Toledo als zielloser, wütender Rebell ("I stay up
late every night. Out of some general protest. But with no one to tell you to
come to bed, It’s not really a contest.") und sympathisiert mit einer langen Liste
seiner Fuck-ups und Unzulänglichkeiten mit dem Kapitän des verunglückten
Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia ("It was an expensive mistake").
Und am Ende dieses dreiteiligen Epos steht die Kapitulation ("I give
up!"), aber es ist eine kathartische, stolze Kapitulation, die auch in der
Energie des Songs übertragen wird.
Das ist generell eine Stärke des Albums: Teens
of Denial erzählt sehr persönliche Geschichte über Problemen und das Scheitern,
aber es ist nie eine deprimierende oder leblose Angelegenheit. Die Band rockt
im wahrsten Sinne des Wortes und die Songs strotzen nur so vor ungezügelter, unerwarteter Energie.
Toledo stürzt sich in seine Unzulänglichkeiten und macht Magie daraus. Der
große, durchdachte Sound steht dabei nie im Kontrast zu DIY-Einstellung und Lo-Fi-Produktion,
sondern intensiviert die Wirkung seiner Vision nur noch. Es hilft, dass die
Platte zwar groß, aber immer noch direkt und dreckig klingt.
Insgesamt merkt man dem Album auf jeden Fall an,
dass es das Ergebnis eines ebenso produktiven, wie einfallsreichen Musikers
ist. Es wirkt auf der einen Seite absolut durchdacht - mit Liebe zum Detail,
unzähligen überraschenden Elementen im Sound und einer generell epischen,
ausufernden Qualität. Gleichzeitig wirkt Teens of Denial aber nie wie ein steifes
Konzeptalbum, sondern behält sich diese aufregende Spontanität bei von einem
Typ, der eben einfach macht, was er liebt. Am besten lässt sich das mit einer
Stelle bei "Costa Concordia" verdeutlichen. Mitten im Song taucht
plötzlich eine Melodie auf die ganz vertraut klingt. Toledo hat das wohl auch
gemerkt und singt spielerisch zwei Zeilen von Dido's White Flag. Das wirkt
nicht wie ein Gimmick, sondern passt einfach perfekt.
Leider trug ein ähnlicher Geistesblitz dazu bei, dass alle physikalischen Tonträger des Albums eingestampft werden mussten, weil der Songwriter der Cars, dann doch nicht wollte, dass eines seiner Lieder hier auf vergleichbare Weise gesamplet werden sollte. Das ist ärgerlich, es passt aber auch, dass Toledo danach den Song binnen kürzester Zeit umschrieb, um zumindest die digitale Version seines Albums noch rechtzeitig veröffentlichen zu können. Und das Beste: Der Song ist auch so großartig und verdeutlicht noch einmal die Kreativität eines genialen Indie-Rock-Künstlers, der mal eben so etwas wie ein modernes Meisterwerk geschrieben hat.
Leider trug ein ähnlicher Geistesblitz dazu bei, dass alle physikalischen Tonträger des Albums eingestampft werden mussten, weil der Songwriter der Cars, dann doch nicht wollte, dass eines seiner Lieder hier auf vergleichbare Weise gesamplet werden sollte. Das ist ärgerlich, es passt aber auch, dass Toledo danach den Song binnen kürzester Zeit umschrieb, um zumindest die digitale Version seines Albums noch rechtzeitig veröffentlichen zu können. Und das Beste: Der Song ist auch so großartig und verdeutlicht noch einmal die Kreativität eines genialen Indie-Rock-Künstlers, der mal eben so etwas wie ein modernes Meisterwerk geschrieben hat.
Lieblingslieder: Fill in the Blank, Destroyed by
Hippie Powers, Drunk Drivers/Killer Whales, Unforgiving Girl (She's not An), The Ballad of the Costa
Concordia
Nothing - Tired Of Tomorrow
Dominic Palermo war in verschiedenen Punk Bands und
voll in der Hardcore/Punk-Szene. Dann landete er für eine Messerattacke zwei
Jahre im Gefängnis. Als er wieder frei war, fand er nach eigener Aussage keinen
Zugang mehr zum Leben und dachte immer wieder an Selbstmord. Zum Glück kanalisierte er diese Hoffnungslosigkeit stattdessen in Nothing - eine Band, die gleichzeitig die erfolglose Sinnsuche
im Leben, aber auch irgendwie eine neue Hoffnung verkörpert.
Nothing hat durch Palermo und die anderen
Mitglieder einen Bezug zu Punk und Hardcore, dazu ist die Band noch auf einem
Label, das hauptsächlich für extreme Metalmusik bekannt ist. Und trotzdem
klingt Nothing so ganz anders als erwartet. Auch auf ihrem zweiten Album, Tired
Of Tomorrow, spielen sie etwas, das neben Indie Rock und "Alternative
Rock" vor allem nach Shoegaze und Dream Pop klingt. Palermo singt mit
einer Stimme, die zwar im Sound verwaschen und verzerrt klingt, aber im
wesentlichen doch wehmütig und klar bleibt. Es gibt dazu so viele großen
Melodien und schönen Momente, die man so einfach nicht von einer solchen Band
erwartet hätte. Diese Schönheit entspringt zwar einem durchweg düsteren und
pessimistischen Sound und Weltbild, aber das macht sie nur noch viel
interessanter.
Was Tired Of Tomorrow aber erst recht zu einem
großartigen Album macht ist die Energie der Band. Ich mag Shoegaze und
verwandte Genres für die psychedelische, traumhafte Qualität des Sounds. Aber
viel zu oft klingt die Musik zu verwaschen, gleichförmig und dauerhaft
abschweifend. Nothing nutzen die besten Elemente von Shoegaze und kombinieren es
mit der Eingängigkeit und Zielstrebigkeit von Indie Rock, sowie der Wucht und Intensität von Punk oder Hardcore.
Heraus kommen tolle Popsongs, die gleichzeitig einfach gigantisch klingen
können. Musik zu der man headbangen und melancholisch Tagträumen kann.
Lieblingslieder: Fever Queen, The Dead Are Dumb,
A.B.C.D. (Abcessive Comoulsive Disorder), Our Plague
Radiohead - A Moon Shaped Pool
Nach jahrelangem Warten und Gerüchten um ein
Trennung der Band zeigen Radiohead, dass sie das Spektakel der Albumveröffentlichung nach wie vor
meisterhaft beherrschen. Die Band verteilte zuerst mysteriöse Flyer an Fans,
löschte dann ihre gesamte Internetpräsenz, veröffentlichte zwei Musikvideos in
kürzester Zeit und kündigte schließlich A Moon Shaped Pool für den 8. Mai an - ein
Sonntag, wohlgemerkt. Und auch nach so langer Abwesenheit und trotz ihrem für viele enttäuschenden letzten Album, war der Hype ungebremst und das Internet
überschlug sich schnell mit Lobeshymnen. Da bleibt es schwer LP9 noch
unvoreingenommen und als Durchschnittsfan von Radiohead zu betrachten.
The King Of Limbs war nicht wirklich schlecht, aber
nach dem Triumph von In Rainbows und mindestens 2 absoluten Meilensteinen im
Rücken, blieb es für Radiohead-Verhältnisse eher unzugänglich, etwas blutleer
und dazu noch ziemlich kurz. In den folgenden Jahren war Thom Yorke mit
elektronischen, oft seltsamen Solosachen beschäftigt, während Gitarrist Jonny
Greenwood weiter Lobesyhmnen als Filmkomponist sammelte. Zum Glück werden diese
Einflüsse auf A Moon Shaped Pool sehr gut zusammen gebracht und Radiohead
zeigen wieder mal, was für eine eingespielte Band sie sind.
Burn the Witch, war eine gute erste Single, aber ein im Albumkontext
irreführender Song: Er klingt dramatisch, dringlich und ziemlich mächtig. Doch
alle folgenden Songs sind eher ruhig, traurig und (auf eine oft sehr beunruhigende Art) verträumt. Trotz der
prominenten Streicher, die dem Album eine orchestrale Qualität verleihen,
klingt A Moon Shaped Pool oft wie "Ambient"-Radiohead.
Das soll aber nicht heißen, dass das Album nicht
aufregend und großartig ist. Daydreaming besteht hauptsächlich aus einer
einfachen Klaviermelodie und Thom Yorkes flehender Stimme, wird aber
meisterhaft angereichert und verfremdet von nur schwer zu kategorisierenden
musikalischen Elementen zwischen Elektronik, Orchester und Noise. Der Song
entfaltet sich langsam und ruft dabei viele Erinnerungen an verschiedene
klassische Radiohead-Songs hervor, ohne dabei wie eine bloße Kopie zu klingen. Am
Ende widerholt Yorke die Zeilen "Half of my Life" immer wieder,
rückwärts abgespielt. Man kann das als Hörer als Anspielung auf seine
geschiedene Ehe (nach eben der Hälfte seines Lebens) werten, aber ehrlich
gesagt auch so merkt man, dass es ein zutiefst persönlicher Song ist. Das gilt für das gesamte Album. A Moon Shaped Pool hat, politische und ökologische
Themen hin oder her, wieder die emotionale Wucht und persönliche Note, die ich
bei King Of Limbs vermisst habe.
Was auch auffällt ist, dass die Songs oft an so
etwas wie die Greatest Hits von Radiohead erinnern, ohne, dass man wirklich den
Finger darauf legen kann. Einige der Songs existieren schon sehr lange und
wurden in anderer Form schon live gespielt, aber vielleicht ist es auch einfach
das Radiohead-Phänomen. Es gibt einfach keine Band, die so leicht zu erkennen
ist und doch so unkopierbar scheint. Auf A Moon Shaped Pool ist das noch
verstärkt so. Die Band klingt so eingespielt und selbstsicher, aber auch so
fremdartig, fast außerirdisch. Sind das Gitarren oder ein Klavier? War das ein
halbes Orchester oder klingt die Band mit kleinen Mitteln nur auch schon so
groß und mächtig?
Das macht es auch sehr schwierig die Songs zu beschreiben, es gibt einfach so viel zu entdecken. Und das während die Lieder hier abwechselnd überwältigen und dann wieder einfach vorüber zu ziehen scheinen. Jeder Song verdient lange Abhandlungen, aber stattdessen will ich einfach nur noch ein paar Highlights heraus picken: Der erbarmungslose Basslauf, der Ful Stop vorantreibt und zu einem absolut atemlosen Song formt, der fiebrig-euphorische Gitarrenlauf am Ende von Identikit, die Klaviermelodie, das Gitarrenriff und die Streicher, die aus The Numbers im Wettstreit Magie machen und das wiederholte "Don't leave" am Ende des letzten Songs True Love Waits, der nach zwanzig Jahren endlich ein Studioversion bekommt und als 100. Radioheadsong noch mal alle Herzen bricht.
Das macht es auch sehr schwierig die Songs zu beschreiben, es gibt einfach so viel zu entdecken. Und das während die Lieder hier abwechselnd überwältigen und dann wieder einfach vorüber zu ziehen scheinen. Jeder Song verdient lange Abhandlungen, aber stattdessen will ich einfach nur noch ein paar Highlights heraus picken: Der erbarmungslose Basslauf, der Ful Stop vorantreibt und zu einem absolut atemlosen Song formt, der fiebrig-euphorische Gitarrenlauf am Ende von Identikit, die Klaviermelodie, das Gitarrenriff und die Streicher, die aus The Numbers im Wettstreit Magie machen und das wiederholte "Don't leave" am Ende des letzten Songs True Love Waits, der nach zwanzig Jahren endlich ein Studioversion bekommt und als 100. Radioheadsong noch mal alle Herzen bricht.
Ist A Moon Shaped Pool ein Meisterwerk? Dafür
brauche ich definitiv noch mehr Zeit und Abstand - wohl aber eher nicht. Ist es ein großartiges
Radiohead-Album und generell wunderschöne Musik? Definitv!
Lieblingslieder: Daydreaming, Ful Stop, The Numbers
White Lung - Paradise
Viele Punk- oder Metal-Bands stoßen irgendwann an
die Grenzen ihrer Sänger. Der Gesangsstil sorgt für abgebrochene Konzerte,
kaputte Stimmbänder und schließlich oft den Sängerwechsel oder eine
Stiländerung in sanftere Gefilde. Das geht oft einher mit einer kommerzielleren
Ausrichtung der Band und generell einer Enttäuschung der Fans.
Auch White Lung
hatten dieses Problem. Nach drei hervorragenden Punk-Alben und endlosen
Touren war die Stimme von Sängerin Mish Barber-Way kaputt und auch die punkige,
aber leichtsinnige Therapie aus Husten-Sirup und hartem Alkohol half nicht
mehr. Doch anders als viele andere Bands machte Barber-Way aus ihren
Limitationen eine Stärke. Mit Hilfe eines Gesangs-Coachs lernte sie ihre Stimme
besser können, sie machte tägliche Stimm-Übungen und auf dem neuen Album
Paradise singt sie im Einklang mit ihrer Stimme, ohne dabei an Kraft
einzubüßen.
Die Veränderungen im Sound, die damit einhergehen,
deuten auf eine größere Eingängigkeit und Poppigkeit hin, aber eigentlich war
das schon immer die Richtung, die White Lung eingeschlagen haben. Unter dem
erbarmungslosen Punksound steckten schon immer große Refrains und einprägsame
Melodien. Auf Paradise geht die Band nur den nächsten logischen Schritt. Die Vorab-Singles Hungry
und Below befassen sich mit der Vergänglichkeit von Ruhm und Schönheit aus der
Sicht von Frauen. Dabei integrieren White Lung etwas in ihren Sound, dass man ganz
ohne Abwertung "Power Balladen" nennen könnte. Barber-Way wandelt
dabei ihre kratzige Wut in eine erhabene Stimmgewalt.
Paradise ist trotzdem zum Glück kein bequemes
Pop-Album geworden. Barber-Way schlüpft in die Rolle weiblicher Serienkiller,
alternder Hollywoodstars, sie singt über weibliche Körper in den USA und vor allem
über die eigenen Widersprüche einer frisch und glücklich verheirateten Frau, die
gleichzeitig authentische Punk-Ikone und Vorzeige-Feministin ist.
Mindestens genauso wichtig für die Entwicklung von White Lung ist aber Gitarrist Kenneth Williams. Während die Rhythmus-Sektion White Lung mit Zielstrebigkeit und Kompromisslosigkeit in der Spur hält, ist es Williams' Gitarrenarbeit, die nach wie vor das größte Alleinstellungsmerkmal der bleibt.
Mindestens genauso wichtig für die Entwicklung von White Lung ist aber Gitarrist Kenneth Williams. Während die Rhythmus-Sektion White Lung mit Zielstrebigkeit und Kompromisslosigkeit in der Spur hält, ist es Williams' Gitarrenarbeit, die nach wie vor das größte Alleinstellungsmerkmal der bleibt.
Wo die meisten Punk-Gitarristen zwischen adäquat
und einfallslos agieren, verbindet Williams scheinbar mühelos diese großen,
erhabenen Riffs mit einem Sound, der absolut frenetisch und brutal klingt. Auch
wenn es auf Paradise melodischer zugeht, gibt es immer noch genug Riffs auf die
sehr viele Metal- und sogar Mathcore-Bands sicher neidisch wären. Schon Opener Dead Weight beginnt mit diesem atemlosen, nervösen Riff, das die
Energie sofort hoch zieht, gleichzeitig sofort einprägsam und
wiedererkennbar ist. Und so lange sich das nicht ändert, wird diese Band auch
weiterhin etwas ganz Besonderes bleiben.
Lieblingslieder: Dead Weight, Below, Kiss Me When I
Bleed, Sister, Vegas
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