Sonntag, 3. April 2016

Musik des Monats - März 2016

Cobalt - Slow Forever
Cobalt war das gemeinsame Projekt von Phil McSorley und Eric Wunder. Sie veröffentlichten drei Alben, die sich immer weiter vom anfänglichen Black Metal-Sound der Band entfernten und dabei immer ambitionierter wurden. 2013 trennten sich die Musiker, rauften sich wieder zusammen, dann wurde McSorley nach einem frauen- und schwulenfeindlichen Ausfall endgültig von Wunder aus der Band geworfen. Das war nicht nur menschlich eine sehr gute Entscheidung, sondern auch musikalisch. Denn mit dem neuen Sänger Charlie Fell nahm Wunder mal eben ein absolutes Biest und unbedingtes Meisterwerk auf. Slow Forever ist für mich das beste Metalalbum seit langer, langer Zeit!

Dabei ist es wirklich schwierig zu beschreiben, was für Musik Cobalt jetzt eigentlich machen. Es wird oft immer noch als Black Metal beschrieben, aber damit hat es eigentlich nur noch wenig zu tun. Stattdessen erinnern die Songstrukturen mal an Death Metal oder Sludge, die Stimmung der Songs an Bands wie Neurosis oder Swans, die Energie und Wut der Band sogar an Crust Punk oder Hardcorebands. Dazu gibt es Intros und Zwischenstücke, die Elemente aus Americana, Folk, fast schon orientalische Melodien und eine Rede von Ernest Hemmingway nahtlos in den Sound der Band einbinden. Gemeinsam ist allen gigantischen Songs dieses Epos aber auf jeden Fall dieses euphorische, mitreißende Gefühl, dass die allerbesten Metalalben auszeichnet.

Einen großen Teil zur Stärke des Albums trägt auf jeden Fall Charlie Fell bei, der auf Slow Forever wirklich alle Kriterien eines Metalsängers erster Güte erfüllt. Er klingt meistens absolut dämonisch, bleibt dabei aber variabel und absolut menschlich. Er schreit sich die Seele aus dem Leib, seine Worte und damit auch seine genialen Texte bleiben dabei aber immer verständlich. Diese handeln von Sucht, Gewalt, (sexueller) Frustration und ähnlichen Themen und jeder Song hat mindestens eine einprägsame, erschütternde Zeile - doppelt so aufgrund Fells unglaublicher Intensität.

Eric Wunder spielt dazu alle Instrumente auf dem Album und sorgt dafür, dass diese Zwei-Mann-Band wie ein eingespieltes und überwältigendes Monstrum wirkt. Die meisten Songs überschreiten die 7- viele sogar die 10-Minuten-Grenze, aber im Gegensatz zu vielen anderen Metalbands füllt Wunder diese Längen nicht mit langsamen Aufbau oder Wiederholungen aus, sondern mit einer ständig in Bewegung bleibenden, unablässigen musikalischen Attacke. Die Lieder jagen von einem Höhepunkt zum nächsten und sind voller genialer Momente. Dadurch scheint es beim Hören gleichzeitig als ob das Album den Hörer komplett umschließt und niemals endet und dann trotzdem irgendwie immer noch zu kurz ist. Das Songwriting ist auf so hohem Niveau, die Songs so kraftvoll - sie würden wohl sogar nur auf einer akustischen Gitarre überwältigend klingen.  

Es ist für mich selten, dass mich ein Album so überwältigt, dass ich es nicht nur kaum adäquat beschreiben kann, sondern es auch kaum aushalte vor lauter Gänsehaut und Adrenalin beim Hören. Wie kann Metal nur so majestätisch und gewaltig klingen und doch auch so dreckig, brutal und direkt? Ein Meisterwerk!  

Lieblingslieder: Hunt The Buffalo, King Rust, Cold Breaker, Elephant Graveyard 

Poliça - United Crushers
Auch auf dem dritten Album von Poliça lebt die Band von ihren scheinbaren Widersprüchen. Sie machen so etwas wie RnB mit elektronischer Schlagseite, aber mit zwei Schlagzeugern; poppig direkt, aber auch irgendwie ätherisch und verschroben. Ihre Songs schweben oft am Hörer vorbei, aber immer wenn man geneigt ist es als "Musik zum Nebenbei hören" zu beschreiben, erzwingen ungewöhnliche Sounds oder die eindringliche Stimme von Channy Leaneagh wieder zu voller Aufmerksamkeit.

Leaneagh ist noch mehr als auf den vorherigen Alben der faszinierende Mittelpunkt von united chrushers. Ihre Stimme ist bearbeitet und effektbeladen, aber ihr Wut, Schmerz, Erschöpfung, ihr massives Charisma kommen trotzdem mühelos durch. Die Band nutzt ihre Stimme sicherlich wie ein Instrument, aber mehr noch als bisher bleibt sie immer auch eine unmittelbare, zutiefst menschliche Präsenz. Im Gegensatz zu den beiden persönlichen, vorherigen Alben der Band, sind ihre Texte diesmal, nach eigener Aussage, politischer. united chrushers ist aber trotzdem nicht wirklich ein Protestalbum. Zum einen sind Leaneaghs Texte oft kryptisch und bruchstückhaft, zum anderen strahlt die Musik von Poliça besonders auf diesem Album Erschöpfung, unterdrückte Wut und Melancholie aus, die das Ganze doch wieder sehr persönlich anmuten lassen.

Das soll aber nicht heißen, dass United Crushers nicht erfolgreich ist. Im Gegenteil, kann es das Album sogar locker mit dem fantastischen Debüt der Band aufnehmen. Es klingt dringlich, erweitert die Soundpalette der Band erfolgreich und hat eine große Anzahl an packenden, unverwechselbaren Songs. Das alles kann man leicht verpassen, da es einen vielleicht nicht sofort packt. Stattdessen ist es definitiv ein Kopfhöreralbum, auf dem die Band mit Liebe zum Detail Songs webt, die das aufmerksame Hören und etwas Geduld belohnen. Dafür gibt es dann ein zutiefst faszinierendes Stück Musik, das nach hinten raus sogar noch immer stärker wird.

Lieblingslieder: Someway, Wedding, Top Coat, Berlin, Lose You      

Låpsley - Long Way Home
Holly Lapsley Fletcher ist erst 19 Jahre alt, veröffentlicht aber bereits seit 3 Jahren selbst produzierte Popsongs mit RnB- und Trip Hop-Einflüssen, die ihr neben viel Lob ebenso schmeichelnde, wie passende Vergleiche mit Adele, James Blake und the xx eingebracht haben. Ihr erstes Album vermischt nun diese Einflüsse mit einer tollen Stimme und wirklich enormen Songwriting-Talent. Ich habe nur leichte Probleme die verschiedenen Seiten der Künstlerin beim Hören unter einen Hut zu bringen, auch wenn mir fast alles gefällt, was ich höre...

Aufmerksam geworden auf Låpsley bin ich durch ihre wunderschönen ersten Songs, bei denen sie es schaffte aus einem Sound, der sehr an James Blake erinnerte, etwas durchweg Eigenständiges zu zaubern. Begleitet von oft minimaler Instrumentierung setzte sie ihre beeindruckende Stimme und jede Menge Effekte ein, sang mit sich selbst im Duett und rang unglaubliche Emotionen aus, auf dem Papier kühlen Songs, heraus.

Die neueren Songs öffneten sich dagegen immer mehr dem Pop und der großen Geste. Låpsley entwickelte scheinbar mehr Selbstvertrauen in ihre tolle Stimme und orientierte sich generell mehr an den 80ern und der dramatischen Popmusik.

Auf Long Way Home stehen diese Art von Songs jetzt nebeneinander und es wirkt manchmal als seien es zwei EP's einer Künstlerin, die sich nicht so richtig entscheiden konnte. Und auch wenn beide Hälften mehr oder weniger großartig sind, ist der Übergang oft wirklich abrupt. Die triumphalen Hits Heartless, Hurt Me und besonders Love is Blind, könnten nicht nur wegen der ähnlichen Stimme auch von Adele stammen (nur mit deutlich weniger "Drama"). Operator (He Doesn't Call Me) wirkt wie ein aus der Zeit gefallener Popsong, der  heute wie in den 80ern sicher als Radiohit funktionieren würde. Doch direkt daneben steht auf dem Album das etwas ältere Painter, ein zum Weinen schönes, intimes Schlaflied. Und vor dem bereits erwähnten Love is Blind steht der Song Station, eine Meisterklasse der minimalistischen Soundmanipulation.

Wo die Reise für Låpsley wohl langfristig hingehen wird, zeigt das Album aber auch. Die geradlinigen, nostalgischen Popsongs überwiegen hier deutlich und es gibt auch Songs, die sich etwa mittig zwischen den verschiedenen Einflüssen ansiedeln. Doch auch wenn ich das musikalische Mischmasch auf Long Way Home nicht immer gut finde, wäre es schade, wenn die Sängerin in Zukunft nur noch eine experimentelle Version von Adele bleiben würde. Lieber hoffe ich auf eine Låpsley, die weiterhin so gute, unterschiedliche Songs produziert, auch wenn dabei kein einheitlicher Sound oder ein schlüssiges Hörerlebnis heraus kommen.

Lieblingslieder: Hurt Me, Falling Short, Operater (He Doesn't Call Me), Painter       

Alessia Cara - Know-It-All
Das erste Album des kanadischen Pop-Wunderkinds hat ein typisches Luxusproblem: Die ersten fünf Songs sind einfach die komplette EP von Alessia Cara aus dem letzten Jahr. Und die ist eigentlich ziemlich perfekt. "Here", ihr größter Hit, ist immer noch überraschend - ein Popsong, der mehr nach Trip Hop klingt und auf dem Cara ehrlich über ihre Abneigung sinnloser Partys singt. Die übrigen Songs der EP sind typischere Poplieder, irgendwo zwischen Taylor Swift und Carly Rae Jepsen, wobei die Energie, Persönlichkeit und Energie zum Glück mehr an Zweitere erinnern. Die Themen sind dabei typisch für Teenager: Liebe, Freundschaft, Selbstfindung. Nichts weltbewegendes, aber sympathisch vorgetragen und nicht ganz so oberflächlich.

Bei Kenntnis der EP kann der Rest des Albums dann nur etwas enttäuschend sein, da die neuen Songs nicht ganz an die Qualität heran reichen und etwas wie Fremdkörper wirken. Die neue Single Wild Things ist nicht schlecht, klingt aber ein wenig nach Selbstkopie. Dasselbe gilt auch für den Abschlusstrack Scars To Your Beautiful. Bleiben die beiden Balladen Stone und Stars, die ungewohnt sind, aber auf jeden Fall Potential haben und das grausig glatt polierte Overdose.

Insgesamt bleibe ich dann doch lieber bei der EP, aber Alessia Cara hat auf jeden Fall genug Talent und Charisma ein Star zu werden und es könnte wirklich schlimmeres in den Charts geben.    

Lieblingslieder: Seventeen, Here, I'm Yours, Stone   

2 Chainz - COLLEGROVE
Collegrove ist auf dem Papier ein Soloalbum von 2 Chainz, aber Lil Wayne ist auf 8 der 12 Tracks als einziger Gast vertreten und das Cover zeigt 2 Chainz mit dessen Gesichtstätowierungen. Es war wohl die einzige Möglichkeit für Lil Wayne Musik zu veröffentlichen, da seine Karriere seit Jahren wegen einem bitteren Labelstreit gelähmt ist. Und für 2 Chainz ist eine Möglichkeit seine Dankbarkeit zu zeigen, da seine Karriere erst richtig begann als er schon Mitte 30 war und von Lil Wayne protegiert wurde - damals wohl mit der größte und wichtigste Rapper der Welt.

Heute ist nicht ganz klar, wer hier wem den größeren Gefallen tut. 2 Chainz ist kein Superstar, aber bekannt und hier eindeutig der bessere Rapper und Texter. Lil Wayne ist meilenweit entfernt von seiner weltbeherrschenden Bestform aber auf Collegrove stellenweise wieder richtig gut und unterhaltsam. Da ich nicht sehr gut vertraut bin mit der Musik der beiden Rapper, kann ich das Album nur unabhängig beurteilen und das ganz ohne irgendwelche Erwartungen...und bin wirklich positiv überrascht.

Collegrove ist weder anspruchsvoll, noch bahnbrechend, dafür aber wirklich unterhaltsamer Party Rap mit einigen fantastischen Momenten und durchgängig guten Songs. Lil Wayne variiert für mich, wie meistens, zwischen extrem unterhaltsam und extrem nervig, hier profitiert das Album aber meistens von seiner manischen Energie. Er wird gut ausbalanciert von 2 Chainz, der etwas konventioneller rappt, dafür aber mit mehr einprägsamen lyrics aufwartet.

Zusammen schleichen sich die Beiden mit eher hirnlosen aber einfach spaßigen Ohrwürmern in die Gehörgänge und verlassen diese nicht mehr so schnell.

Lieblingslieder: Bounce, Gotta Lotta, 100 Joints, Rolls Royce Weather Every Day 

The Body - No One Deserves Happiness
Der Albumtitel sagt eigentlich schon alles: The Body spielen ultradüsteren, experimentellen Metal, gepaart mit schmerzhaft intensiven Noise-Attacken. Und No One Deserves Happiness ist ihr brutalstes, zielstrebigstes Werk bisher.

Die Zutaten des Bandsounds sind ebenso einfach wie effektiv. Chip King spielt schleppende Riffs zwischen Doom und Noise und schreit dazu hoch, verzweifelt, abgehakt und furchteinflößend. Lee Buford wechselt präzises Drumming mit ebenso präzisen Drum Loops. Heraus kommt etwas, dass musikalisch und von der Intensität an Khanate oder Burial Hex erinnert, aber "musikalischer", "eingängiger" und "poppiger" ist als diese oder ähnliche Bands.

Das liegt zum einem an den etwas konventionelleren Songstrukturen. Auch wenn The Body natürlich meilenweit von Pop entfernt sind, versehen sie ihre Songs mit klaren, mitreißenden Spannungsbögen. Zum anderen balancieren die Gastsängerinnen Chrissy Wolpert und Maralie Armstrong die wüsten Schreie von King aus und geben dem Album einen Anstrich zwischen Chamber Pop und klassischem Doom Metal.  Das soll aber nicht heißen, dass sie nur schmückender Kontrast sind. Stattdessen verstärken sie die Atmosphäre der absoluten Verzweiflung und Dunkelheit des Albums noch ungemein. Besonders Wolpert trägt dazu bei, dass The Fall And The Guilt der wohl niederschmetterndste Song auf No One Deserves Happiness ist. Nach einer halben Stunde schleppender, aber atemloser Zerstörung ist der Song die Ruhe nach dem Sturm, aber auch erdrückend hoffnungslos.

Das gesamte Album ist ein kleines Meisterstück der Negativität, ein zielstrebiger Brocken aus Wut und Schmerz. Sicher nicht für jeden und für jede Stimmung, aber unheimlich effektiv und gut.

Lieblingslieder: Shelter Is Illusory, Hallow/Hollow, The Fall And The Guilt  


Songs/Videos:


P.O.S - sleepdrone/superposition


In dem ersten Solosong von P.O.S nach seiner Nierentransplantation vor zwei Jahren, verarbeitet Stef Alexander die vielen Emotionen, die er nach der Operation durchlebte, als er versuchte wieder ins Leben zu finden. sleepdrone/superposition zeigt einen Rapper, der viel zu sagen hat, sich beweisen will und das auch äußert beeindruckend in Szene setzt. Der Song ist ein 9-minütiges Monster, der durch düstere Synths und echte Drums eine große Aggression und Dringlichkeit ausstrahlt. Trotz der vielen Features ist es absolut Alexanders Show und eine beeindruckende Rückmeldung des Rappers.

Anna Wise - Bitchslut


Auf Bitchslut singt Anna Wise über all die Herabsetzungen, Belästigungen und Zurechtweisungen, denen sich Frauen täglich ausgesetzt sehen, weil sie sich auf eine bestimmte Weise verhalten, kleiden oder sonst was. Ihr Song ist ein großes "Fuck You" an all diese Männer und gleichzeitig ein euphorisches Zelebrieren selbstbestimmter Weiblichkeit. Darüber hinaus ist es auch noch ein ansteckend eingängiger und positiver Popsong - musikalisch weit entfernt von ihrer Arbeit mit Kendrick Lamar, aber ebenso gut.      

Aesop Rock - Blood Sandwich


Man könnte sagen, dass die Lebenskrise und der Rückzug in eine umgebaute Scheune Aesop Rock einen neuen, musikalischen Frühling beschert haben..nur ist er ein Künstler, der seit Jahrzehnten so gut wie ausschließlich großartige Musik heraus gebracht hat. Trotzdem gelingt ihm auch der melancholische Stil und die autobiographischen, direkten lyrics phänomenal. Blood Sandwich ist eine bittersüße Erinnerung an seine beiden Brüder - ebenso persönlich wie poetisch. 

Frightened Rabbit - Get Out


Die übliche Entwicklung vieler Folk Bands von intimer Akustik-Musik zu Stadion-Rock, parallel zur steigenden Popularität, haben Frightened Rabbit zum Glück nie so ganz durch gemacht. Dennoch wurde der Sound definitiv größer, die Gefühle manchmal etwas platter und glatter. Get Out ist zwar auch so etwas, wie ein Rocksong, wartet aber mit ganz großen Gefühlen auf, die echt und umwerfend klingen. Sicherlich trägt zur Wirkung des Songs aber auch das explosive und herzzerreißende Zusammenspiel der beiden Hauptdarstellerinnen des Musikvideos bei.