Donnerstag, 1. Oktober 2015

Alben und Songs des Monats - September 2015

Empress Of - Me

"Why don't we make up our own rules. And break them when we like."

Ich hatte noch nie von Empress Of gehört, dann wurde sie gleichzeitig von Pitchfork und Stereogum in den Himmel gelobt. Das macht neugierig, aber auch skeptisch. Die Skepsis war schon nach Sekunden weg geblasen, da "Me" meine Erwartungen bei weitem übertroffen hat...
Empress Of ist das Projekt von Lorely Rodriguez, die das Album fast vollkommen alleine geschrieben, aufgenommen und produziert hat. Doch entgegen meiner Vorurteile macht sie mit Empress keine Lo-Fi oder Singer-Songwriter-Musik, sondern wirklich exzellent produzierten, ambitionierten Dance Pop.

Rodriguez ist eine klassisch ausgebildete Sängerin, verzichtet aber hier auf gesangliche Schnörkel zugunsten eines einfachen, erzählerischen Gesangsstils. Gleichzeitig hat die Sängerin enormes Charisma und eine beeindruckende gesangliche Präsenz auf diesen Songs.  Me wirkt am Anfang kurz wie ein persönliches, intimes Album. Doch das macht es nur um so aufregender, wenn die Musik sich plötzlich Richtung Tanzfläche bewegt und da auch erst mal bleibt. Die Songs sind auf jeden Fall Pop und oft sehr tanzbar, gleichzeitig bewahren sie sich einen experimentellen Charakter und haben ungewöhnliche Ideen, die das Album davor bewahren jemals oberflächlich oder vorhersehbar zu werden. Ganz im Gegenteil gibt es bei Empress Of immer wieder Momente in denen ich nicht fassen kann, wie gut das eigentlich ist und was da überhaupt gerade passiert. Die Musik klingt so vertraut, aber doch nie wie eine Kopie von etwas anderem. Schon beim ersten Hören überlegte ich mir woher ich das bloß schon kannte, nur um dann wieder ganz aus dem Häuschen zu sein, weil etwas spannendes, unerwartetes in einem Song passierte.

Rodriguez erfindet das musikalische Rad natürlich nicht neu, aber es fällt doch schwer die Musik zu beschreiben oder etwas vergleichbares zu finden. Nach einiger Überlegung fallen mir nur Iamamiwhoami und Dillon ein. Doch die Musik von Empress Of klingt viel größer, positiver und aufregender als diese eher düsteren und mysteriösen Projekte. Und vor allem vollführt sie erstaunlich gut den Balanceakt zwischen Pop und Indie. Rodriguez' Songs könnten problemlos in großen Clubs laufen, funktionieren aber auch allein zuhause im dunklen Zimmer.  

Lieblingslieder: Water Water, How Do You Do It, Kitty Kat, Make Up

Carly Rae Jepsen - E•MO•TION

"Not a flower on the wall, I am growing ten feet, ten feet tall.
In your head and I won't stop, Until you forget me, get me not."

Carly Rae Jepsen hat ein Problem und das heißt "Call Me Maybe". Der Song wurde zum Hit und dann zum kulturellen Phänomen. Jepsen hatte weitere erfolgreiche Songs und macht gute Popmusik, schreibt sie sogar oft selbst und kommt doch nie aus dem Schatten dieses einen Songs heraus. Nicht zuletzt wird sie von einem Großteil der Musikhörer wegen Call Me Maybe sofort mit Ignoranz oder Verachtung gestraft. Und das ist wirklich schade, denn Emotion ist ein großartiges Gutelaune-Popalbum.

Das Album ist vor allem 80er-Nostalgie und Dance Pop, vollgepackt mit Hits aber auch einer guten Prise künstlerischer Freiheit und Experimentierfreude. Das kommt sicher davon, dass neben Sia und Ariel Rechtshaid auch Rostam Batmanglij von Vampire Weekend und Dev Hynes an der Produktion beteiligt waren. Vor allem aber hilft es, dass Carly Rae Jepsen musikalisch genau zu wissen scheint, was sie will und enorm viel Spaß dabei hat.  

Die erste Single I Really Like You versuchte noch ein wenig das zweite Call Me Maybe zu sein, ist aber trotzdem ein schöner Song. Und der Rest von Emotion ist so randvoll mit Hits, dass es schon merkwürdig ist, dass das Album nicht viel erfolgreicher ist. Das liegt zwar sicher auch an der katastrophalen Veröffentlichungspolitik ihres Labels, aber wohl auch an dem Popstar selbst. Jepsen ist keine kontroverse Sexbombe, sondern eher Girl Next Door. Wenn einen das aber nicht stört und man dann noch ihre musikalische Vergangenheit ausblendet, sollten die Songs eigentlich für sich sprechen. Run Away With Me und der Titelsong haben gigantische Refrains und wären in den 80ern sicher Superhits geworden. Und so geht es immer weiter auf dem Album. Es gibt kleine Überraschungen wie das psychedelische, hypnotische Warm Blood, aber alles in allem gibt es bei Carly Rae Jepsen typische Popmusik mit typischen Texten. Doch die Songs auf Emotion haben eine einzigartige Wirkung. Man merkt Jepsen einfach an, wie viel Spaß sie hat. Man kann sie auf jedem Song förmlich grinsen hören und ihr ehrlicher Spaß an der Sache ist einfach ansteckend. Es hilft natürlich auch, dass es hier einfach nur wunderbare Songs zu hören gibt...

Lieblingslieder: Run Away With Me, Emotion, Making The Most Of The Night,  Let's Get Lost,  Warm Blood

Chvrches - Every Open Eye

"We are made of our longest days. We are falling but not alone.
We will take the best parts of ourselves. And make them gold."

The Bones Of What You Believe, das Debüt-Album von Chvrches, war ein kleines Wunder. Es war ein modernes Synth Pop-Album voller Hits, aber auch mit jeder Menge Gefühl und Persönlichkeit und überzeugte Kritiker ebenso wie Indie Musik- und Popmusikfreunde. Binnen kürzester Zeit schafften es die Mitglieder von der Vergangenheit in geliebten, aber mäßig erfolgreichen Post Rock-Bands zu großen Hallen, ins Fernsehen und zu kommerziellem Erfolg. Und es hätte keine bessere Band treffen können. Abgesehen von ihrer tollen Musik traten Chvrches als sympathische, bodenständige Freunde auf, die sich mutig gegen Onlinehetze und Frauenfeindlichkeit aussprachen.
Vor diesem Hintergrund muss der Druck sicher enorm gewesen sein, einen würdigen Nachfolger zu präsentieren. Auch ich war skeptisch und befürchtete eine schwache Kopie ihres Erstlings. Doch schon nach einem Hördurchgang ist klar: Every Open Eye ist seinem Vorgänger mindestens ebenbürtig und Chvrches haben es geschafft genau heraus zu arbeiten, was ihre Musik so besonders macht...und natürlich haben sie auch einfach wieder grandiose Songs geschrieben.

Die Band macht immer noch strahlenden Synth Pop mit einer bemerkenswerten Balance aus Pop-Sensibilitäten und einer gewissen emotionalen Wucht, die vielen ähnlichen Bands total abgeht. Auf Every Open Eye sind die Synths insgesamt noch größer und besser produziert. Es gibt eine etwas stärkere Hinwendung zur Tanzfläche und man merkt, dass diese Songs das Ergebnis von ausgiebigen Touren sind und deshalb hervorragend bei Konzerten funktionieren werden.

Sängerin Lauren Mayberry verzichtet immer noch auf Effekte oder Gesangsakrobatik. Stattdessen vertraut sie ganz auf ihre klare Stimme und die Kraft ihrer Texte und Betonungen. Dank Gesangsunterricht und vermutlich auch der Live-Erfahrung klingt sie auf Album Nr. 2 aber selbstsicherer. Das gibt den Liedern oft noch einen weiteren Schub. Sie gehen sofort ins Ohr, haben aber trotzdem auch wieder eine bemerkenswerte "Halbwertszeit" im Vergleich zu ähnlich gelagerten Bands. Da kann man nur hoffen, dass der Erfolg noch größer wird und vor allem auch anhaltend ist!   

Lieblingslieder:  Leave A Trace, Make Them Gold, Clearest Blue, Bury It

Miley Cyrus - Miley Cyrus And Her Dead Petz

"They say love grows, but I've only seen it die. I'm too young to feel like I'm runnin' out of time."

Ist Miley Cyrus eine selbst verliebte, exhibitionistische und aufmerksamkeitsgeile Nervensäge ohne Filter oder ein selbstbestimmter, feministischer und kreativer Lichtblick im langweiligen Popgeschäft? Die Antwort liegt sicher irgendwo dazwischen und wird immer schwerer zu beantworten, je länger Mileys Karriere voran schreitet.
Auch wenn ich nie wirklich Musik von Miley Cyrus gehört habe und bis vor kurzem hauptsächlich etwas von ihren "schockierenden" Klatsch-Stories mitbekam, wurde mir der ehemalige Teenie Star langsam sympathischer. Sie erzählte freimütig von ihrem Leben als Kinderstar in dem sie keinerlei Selbstbestimmung hatte und von ihrem Selbstbild, das nicht wirklich in die typische Rolle Mann-Frau zu passen scheint. In diesem Licht macht ihr bewusster und anhaltender Bruch mit dem Leben eines Kinderstars doch schon mehr Sinn. Und nicht zuletzt gründete sie eine Stiftung, die sich für obdachlose Jugendliche und Mitglieder der LGBTQ-Gemeinde einsetzt und spielte unter anderem mit Laura Jane Grace von Against Me!. Das lässt das Image der oft etwas hirnlosen Skandalnudel nicht vergessen, hilft aber dabei ihr neues Überraschungsalbum etwas unvoreingenommener anzuhören.

Miley Cyrus And Her Dead Petz erschien kostenlos und unabhängig von Mileys Label oder dem Druck der Popindustrie. Sie konnte also machen, was sie wollte.
Das ist die größte Stärke und die größte Schwäche des Albums zugeich. Die Schwäche wurde in Form von Kritikpunkten schon an ganz vielen Orten zusammen gefasst. Dead Petz hat 23 Songs und ist 90 Minuten lang. Es gab also offenbar keinen Auswahlprozess und keinen Filter, alles durfte mit und das Gute ertrinkt angeblich in den vielen schlechten Ideen. Dazu kommt die Kritik, dass viele Songs klingen wie Überbleibsel von Aufnahmen der Flaming Lips, die bei vielen Liedern mitgeschrieben haben. Das kann ich nicht beurteilen, da ich die Band nie wirklich gehört habe. Und zuletzt werden die albernen Texte kritisiert, die von Sex, Drogen und toten Haustieren handeln.

Ich halte dagegen, dass es auf einem Album von dem ich wirklich nichts erwartet habe, wirklich viele tolle Momente, Ideen und Songs gibt. Ich finde nichts unhörbar, aber einiges einfach gut, ja sogar berührend. Der erste Song ist ziemlich nervig und auch andere Songs wirken eher albern oder anstrengend. Doch Miley Cyrus hält die Songs zusammen mit ihrer wandelnden und großen Stimme. Man merkt ihr an, dass sie Spaß hat, ihr die Musik am Herzen liegt und sie wirklich hinter diesem psychedelischen Kiff- und Sexalbum steht, das drei toten Haustieren gewidmet ist.

Lieblingslieder: Karen Don't Be Scared, BB Talk, I Get Scared, Tiger Dreams (featuring Ariel Pink)       


Songs:



Ane Brun - Hanging: Ich bin noch nicht wirklich dazu gekommen das neue Album von Ane Brun zu hören. Das liegt zu einem großen Teil an diesem Opener des Albums. Hanging führt die Wandlung von Bruns Musik zu ihrer logischen Konsequenz. Von ihren akustischen Anfängen bleibt nur noch die Intimität der Musik und die fantastische Stimme der Norwegerin. Auf Hanging schafft es die Künstlerin gefühlt ein gesamtes Orchester in den Song zu integrieren, ohne das er überladen wirkt. Stattdessen strahlt Hanging eine Leichtigkeit und Wärme aus, obwohl er dann auch doch wieder eine Melancholie ausstrahlt, die fast überwältigend ist. In gut fünf Minuten hebt und senkt sich Hanging, löst ganz große Gefühle aus und macht es unmöglich ihn nicht sofort wieder und wieder zu hören. (Link)

Amenra - The Longest Night: Die akustische Seite von Amenra schaffte es schon immer auf beeindruckende Weise die Emotionalität und Intensität der Band zu vermitteln, ganz ohne die Härte oder Wucht des üblichen Bandsounds. The Longest Night wurde scheinbar schon länger live gespielt, aber erst jetzt veröffentlicht mit einer Widmung an das ertrunkene Flüchtlingskind Aylan Kurdi und alle Opfer der Flüchtlingskatastrophe. Der Text des Liedes bekommt so eine tragische, neue Bedeutung, der Song bleibt wunderschön, aber auch fast erdrückend traurig. (Link)

Kelela - Rewind: A Message, Kelelas letzte Single, war ein düsterer, kraftvoller Abgesang auf eine schmerzhafte Beziehung. Rewind dagegen beschreibt die Aufregung und Unsicherheit des ersten Verliebens. Der Song ist leicht, flatterhaft und sexy, hat Hitpotential und trotzdem eine beeindruckend detaillierte Produktion und natürlich Kelelas große, wandelbare Stimme. (Link)