"My teachers
told me we was slaves. My mama told me we was kings.
I don't know who to
listen to. I guess we somewhere in between."
Das lang erwartete Debüt-Album
von Vince Staples übertrifft Erwartungen und ist dabei in vielerlei Hinsicht
auf angenehme Weise äußerst überraschend.
Staples wurde bekannt durch seine
Zusammenarbeit mit Odd Future und zeigte bereits dort, dass von ihm noch großes
zu erwarten ist. Richtig bekannt wurde er dann durch seine gefeierte EP Hell
Can Wait auf der Staples aus Gangsta Rap, fantastischen Lyrics und seinem
düsteren Weltbild absolute Banger machte. Doch statt diesen Weg konsequent
weiter zu gehen, gibt es mit Summertime '06 ein unheimlich düsteres, monolithisches
Konzept-Doppel-Album. Und entgegen aller Befürchtungen hat er sich dabei auch
noch selbst übertroffen. Es gibt weniger Hits und definitiv keine Radio-Singles
auf Summertime, aber ein kompromissloses, abwechslungsreiches Meisterwerk, das
trotzdem immer nach Vince Staples klingt und bei 20 Songs keine einzelne
Schwachstelle aufweist.
Großen Anteil daran hat sicher
auch der legendäre Produzent No I.D., der den Großteil des Albums produzierte
und daneben Beats von Clams Casino und DJ Dahi mühelos in das Ganze einflechtete,
ohne ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten zu opfern. Wo viele andere
Rap-Alben entweder unter nicht zusammen passenden Tracks leiden oder aber unter
einer zu großen Gleichförmigkeit, formten No I.D. und Staples ein ganzes
Doppel-Album wie aus einem Guss, das dennoch beeindruckend vielseitig bleibt. Die
Beats an sich sind größtenteils minimalistisch und düster, behalten aber dabei
immer Glanz und Größe .
Das entscheidende für den Erfolg
dieses Albums ist aber natürlich das immense Talent von Vince Staples, der mit
seinen gerade einmal 21 Jahren selbstbewusst und abgeklärt klingt, aber auch
hungrig und energisch wie noch nie. Mein Eindruck eines "Side-Kicks"
anderer Rapper, der regelmäßig die Show stiehlt, wird hier schnell widerlegt -
Staples ist trotz vieler Gäste der uneingeschränkte Star auf Summertime und
erzwingt die Aufmerksamkeit zu jeder Sekunde. Die Features sind mehr Teil der
Produktion, fügen sich nahtlos in die Geschichte ein und verstärken die Wirkung
des Hauptdarstellers nur noch. Und der ist nicht nur ein großartiger Rapper und
Texter, sondern auch ein glaubwürdiger Erzähler. Als ehemaliges Gang-Mitglied
zeichnet er ein realistisches Bild einer Jugend ohne Perspektiven und Ausweg. Der
Titel des Albums steht für das Jahr in dem Staples und seine Freunde ihre
Unschuld verloren und ihre Kindheit endete. Er rappt wie so viele andere über
das Gangleben, verzichtet aber vollständig auf seine Glorifizierung. Dieser
Realismus macht Summertime zu einem bedrückenden und oft hoffnungslosen Album,
aber auch zu einem intensiven, fesselnden Hörerlebnis.
Lieblingslieder: Lift Me Up, Dopeman (feat. Joey Fatts & Kilo
Kish), Señorita, Summertime, Surf (feat. Kilo Kish), Get Paid (feat. Desi Mo), Like
It Is
"Watch out for the
Riders - YEAH, Watch out!"
Der Hype für Hudson Mohawkes
neues Album verpuffte überraschend schnell, was aber keineswegs an der Qualität
von Lantern lag, sondern vermutlich viel mehr an falschen Erwartungen und einem
Künstler, der sich absolut nicht festlegen will oder kann.
Mohawke wurde durch TNGHT, sein
gemeinsames Projekt mit Lunice, bekannt und produzierte danach Musik für
hochkarätige Hip Hop-Stars wie Kanye West. Auf Lantern gibt es mehr von dieser
Art von Musik (auch wenn keine Rapper auftauchen), aber auch ganz viel anderes.
Das hört sich bestenfalls wie eine Compilation von Hits an, klingt aber oft einfach
etwas unausgegoren und ziemlich durcheinander. Die bereits erwähnten
instrumentalen Tracks, die an TNGHT erinnern, wechseln sich mit poppigen Hymnen,
inklusive hochkarätiger Gastsänger, ab. Daneben gibt es dann noch Tracks, die
wie Teiles eines bombastischen Filmsoundtracks klingen oder einfach fröhliche
Clubsongs. Auch wenn Mohawke sich nach eigener Aussage offenbar viel dabei
gedacht hat, wirkt das Album insgesamt wie drei oder vier unterschiedliche EPs,
die wild zusammen gewürfelt wurden.
Bevor das zu negativ klingt, muss
ich sagen, dass mir das Album nach anfänglicher Skepsis trotzdem enorm gefällt.
Ich betrachte das ganze einfach mehr wie eine Song-Sammlung, bei der ich mir je
nach Stimmung, die passenden Lieder raus picke. das euphorische Ryderz etwa mit
seinem perfekt in Szene gesetzten Soul-Sample ist ein Gute-Laune-Garant. Dann
gibt es das wunderbar behämmerte Shadows, das gleichzeitig an 8-Bit-Musik und
Eurodance erinnert und gerade deswegen viel Spaß macht. Und auch die Popsongs
sind wirklich toll, auch wenn sie nicht zum Rest passen. Besonders Miguel und
vor allem der immer wunderbare Antony Hegarty werden von Mohawke wunderbar umschmeichelt.
Alles in allem gibt es also keinen einfachen oder durchgehenden Hörgenuss auf
Lantern, aber auch keinerlei schwache Songs.
Lieblingslieder: Ryderz, Indian Steps (feat. Antony), Scud Books,
Deepspace (feat. Miguel)
"No one taught
me better than you. There will be highs and there will be lows. Not a lot has
to change, things just can't stay the same."
Der Albumtitel des zweiten Albums
von MS MR ist ziemlich passend, da ich auch nach vielen Hördurchgängen nicht wirklich
weiß, wie ich das Album finden oder bewerten soll. Und irgendwie gilt das auch
für das ganze Schaffen der Band.
2012 veröffentlichten MS MR ihre
erste EP, die bereits das Beste der Band zeigte. Vier perfekte Pop-Songs,
bombastisch aber stimmungsvoll und dabei fast etwas unheimlich. Größte Stärke
war dabei die riesige Stimme von Lizzy Plapinger, die den Songs gleichzeitig
Hymnen-Status und großes Gefühl gab.
Das erste Album kam dann ein
halbes Jahr später und war vor allem mehr desselben. Das lag vor allem daran,
dass die vier Songs der EP auch hier zu finden waren und fast alle anderen
Songs deutlich in den Schatten stellten.
Und drei Jahre später kommt dann
ein Album, das, trotz einiger vorsichtiger Experimente, wieder ziemlich ähnlich
klingt. Und das macht es schwer zu sagen, wie ich How Does It Feel eigentlich
finde. Die meisten Bands, die sich immer wiederholen, sind sehr langweilig. Aber
trotz allem, finde ich einige Songs hier wieder ziemlich mitreißend und
Plapingers Stimme ist nach wie vor eine absolute Wucht. Es sind dann vor allem
auch jene Songs meine Highlights, in denen sie ihre Stimme besonders ausreizt. Dann
funktioniert auch die eigentlich seltsame Mischung aus Synth Pop mit
80er-Nostalgie, düsterer Stimmung und You-Can-Do-It-Mentalität besonders gut.
Doch es gibt auch genug Songs,
die trotz toller Stimme und bombastischem Sound beim Hören einfach verpuffen
und keinen großen Eindruck hinter lassen. Und insgesamt ist das Album auch
etwas "fröhlicher" und verliert dadurch den verträumten und düsteren
Unterton - einer der größten Stärken der Band bisher.
Es lässt sich deshalb wieder fest
stellen; zurecht gestutzt auf EP-Länge wäre How Does It Feel immer noch eine
Selbstkopie, aber trotzdem ziemlich großartig. So muss man sich dann doch die
Highlights raus picken und ausmalen, wie viel Potential da noch vorhanden
wäre...
Lieblingslieder: Painted, No Guilt In Pleasure, Leave Me Alone,
Pieces
The Armed - Untitled
"Don't tell me
what to do. Don't tell me how to think.
Don't tell me anything at all. It's all just noise."
Don't tell me anything at all. It's all just noise."
Ich bin großer Fan von richtig
dreckigem Punk Rock und auch von brutalem, technisch beeindruckenden Math Rock.
The Armed vermischen diese beiden Genres so mühelos und auf hohem Niveau, dass
still sitzen zur Unmöglichkeit wird beim zuhören.
Ich weiß nicht, wieso mir diese
Band bisher unbekannt war, obwohl der Meister persönlich, Kurt Ballou
(Converge), ihre Musik produzierte. Und wie alles, was der Mann berührt, klingt Untitled fantastisch warm, klar und doch so schweißtreibend und unmittelbar
wie ein Tritt ins Gesicht.
Aufmerksam bin ich auf die Band
vor allem geworden, weil der übernatürlich begabte Nick Yacyschyn (Baptists,
Sumac) auf dem Album Schlagzeug spielt. Im Gegensatz zu seinen anderen Bands, scheint
er, angespornt vom Rest von The Armed, sogar noch eine Schippe drauf zu legen. Das
Drumming ist technisch präzise, komplex und doch nie klinisch oder angeberisch.
Der Rest der Band steht Yacyschyn
in nichts nach und prügelt den Hörer auf 14 Songs fast in die
Besinnungslosigkeit. Die größte Leistung ist dabei die bereits erwähnte
Verbindung von Genres. Für jede Math Rock-Explosion gibt es melodische Stellen,
unglaublich eingängiges Songwriting und eine immer absolut mitreißende
Stimmung, egal wie technisch oder brutal die Musik gerade ist. The Armed
funktionieren wie eine perfekt geölte Maschine, eine Hitfabrik der härtesten
und experimentellsten Sorte. Ich glaube nicht, dass mir ein Album aus dem
Hardcore/Metal-Bereich dieses Jahr mehr Spaß bereiten wird. Und das beste Album
zum Sport treiben seit Ewigkeiten ist Untitled sowieso.
Lieblingslieder: Future Drugs, Forever Scum, Blessings, No Risk,
Paradise Day
Jenny Hval -
Apocalypse, girl
"Could I give
you that, that which sometimes expects nothing?
Accepting restlessness, accepting no direction, accepting this fearful wanting that isn't desire?"
Accepting restlessness, accepting no direction, accepting this fearful wanting that isn't desire?"
Jenny Hval macht experimentelle
Popmusik, die sich trotz ihrer Seltsamkeiten und abstrakter Texte eine
unerwartete Eingängigkeit bewahrt. Ihr letztes Album Innoncence Is Kinky war
trotz experimentellem Charakter und tiefgreifenden Konzepten angenehm direkt
und hatte mit dem Titelsong einen kleinen Hit.
Apocalypse, Girl schraubt die
Zugänglichkeit zugunsten von Improvisation und Experimentierfreude, noch etwas
weiter zurück. Doch auch hier schimmern funkelnde Melodien immer wieder durch
und bilden einen faszinierenden Kontrast. Stimmlich ist Hval unverändert
beeindruckend, aber sicher auch nach wie vor polarisierend. Ihr Gesang ist mal
kindlich verspielt, mal flüsternd und unheimlich, dann wieder groß und
beeindruckend. Er ist jedoch immer recht hoch und wird, ähnlich wie bei Joanna
Newsom oder Björk, mehr als vielseitiges (und technisch äußerst
beeindruckendes) Instrument eingesetzt.
Das kann beim zuhören anstrengend sein, ist aber auch immer wieder absolut
fesselnd. Die Texte der Songs sind dabei kaum konventionelle lyrics, sondern
mehr vertonte Gedichte, abstrakte Traumbilder und durchdachte Provokationen.
Darin geht es immer wieder um das Verhältnis der Geschlechter und
Körper(bilder) im Kapitalismus - Themen, die neben vielen anderen, mit Humor
aber auch in einer aufschreckenden Deutlichkeit behandelt werden.
Die Musik auf Apocalypse, Girl
ist, im Gegensatz auch zu den Vorgänger-Alben, noch zurück genommener. Der
experimentelle Sound, mit seinen Ambient- und Drone-Anflügen erinnert mich an
Swans oder Xiu Xiu, aber die oft furchteinflößende Wut und Bedrohlichkeit
dieser Bands wird bei Jenny Hvals Musik ersetzt durch eine unbestimmte
Bedrohlichkeit und den spannenden Kontrast von Songs, die zugleich zutiefst
körperlich und doch auch abstrakt und ätherisch wirken.
Was jedoch bei diesen
hochtrabenden Worten nicht vergessen werden darf, ist, dass Apocalypse, Girl
auch einfach nur sehr unterhaltsam und immer wieder auch äußerst bewegend ist.
Lieblingslieder: Take Care
Of Yourself, That Battle Is Over, Sabbath
Songs:
Julien Baker - Sprained Ankle: Das Internet ist schon was tolles.
Es ermöglicht mir eine noch nahezu unbekannte Künstlerin, die tausende
Kilometer entfernt lebt und Musik macht, durch Zufall zu entdecken. Ein
fesselndes Foto und dann ein absolut umwerfender Song und die Welt ist sofort
schöner. In nicht mal 2 1/2 Minuten zaubert Baker nur mit ihrer zarten, aber
vollen Stimme und hypnotischen Gitarrenklängen ein kleines Meisterwerk voller
Gefühl. (Link)
Chvrches - Leave a Trace: Das unglaublich sympathische Trio aus
Glasgow macht immer noch tollen Synth Pop mit großen Refrains. Die erste Single
des zweiten Albums knüpft nahtlos am bisherigen Sound der Band an, ist dabei
neben einem besonders großartigen Refrain aber auch mit einer überraschenden
Portion Wut ausgestattet, die ihm sehr gut steht. (Link)
Foals - Mountain At My Gates: Foals entwickeln sich konstant
weiter, aber spätestens mit dem zweiten Album in einer kontinuierlichen
Richtung: Dramatische Rockmusik mit Pop- und auch leichtem Post-Rock-Einschlag.
Die ersten Singles des vierten Albums machen da keinen Unterschied, scheinen
aber insgesamt noch eine ganze Ecke gewaltiger daher zu kommen. (Link)
Laura Marling - I Feel Your
Love (Director's Cut): Short Movie
war Laura Marlings elektrisches und rockiges Album, da liegt es nur nahe den
Songs eine Rock n Roll-Überarbeitung zu schenken. Bei Feel Your Love wird die
akustische Gitarre von einem stampfenden, elektrischen Blues-Riff ersetzt und
die Streicher durch einen Background-Chor. Steht dem wütenden, sexy Song
ausgesprochen gut. (Link)
Bully - I Remember: Auch wenn ich die Band sehr mag, fiel es mir schwer über Bullys Debüt-Album zu schreiben. Sie sind eine weitere Band in einer scheinbar endlosen Reihe an 90er-Fans. Grunge, Pop Punk und Emo bilden auch hier einen typischen Sound. Aber abgesehen davon, dass Bully wirklich gute Songwriter sind, haben sie in Alicia Bognanno eine Wunderwaffe im Arsenal. Sie hat eine angenehme Singstimme und kann dazu schreien wie Kurt Cobain, aber mit viel mehr Power... (Link)
Carly Rae Jepsen - Run Away With Me: Ich bin kein großer Verfechter von "Poptimism", große Teile der Radiohits sind nach wie vor billig und langweilig, auch wenn sie von Indie-Schreibern schön geredet werden. Aber es gibt auch Ausnahmen wie Carly Rae Jepsen. Wer hätte gedacht, dass sich die Sängerin des unsäglichen "Call Me Maybe", mit Hilfe geachteter Songwriter, mal in eine Produzentin wirklich mitreißender, ansteckend positiver und irgendwie einfach guter Popsongs verwandeln würde? (Link)
Meow the Jewels - Meowrly: Letztes Jahr versprachen EL-P und Killer
Mike scherzhaft, dass sie ihr Album erneut aufnehmen würden und die Produktion
komplett durch Katzengeräusche ersetzen würden, wenn jemand eine Deluxe-Version
ihres Albums für 40.000 $ kaufen würde. Dann sammelte ein Kickstarter von Fans
das nötige Geld in Rekordzeit ein und brachte die Band in Zugzwang. Doch Run
The Jewels machten keinen Rückzieher, sondern begannen das Album tatsächlich zu
produzieren, bekamen noch jede Menge hochkarätige Unterstützung dazu UND gaben
das gesammelte Geld an die Hinterbliebenen von Eric Garner und Michael Brown. Bei
all dem ist das eigentliche Produkt schon fast egal, aber jetzt ist der erste
Song veröffentlicht und klingt wenig überraschend gleichzeitig fast unhörbar
und fantastisch. (Link)